Medialist 26.97: Digital-TV im Rahmen

Martin Recke (mr94@prenzlnet.in-berlin.de)
23 Jul 1997 19:29:56 GMT

Medialist 26.97: Digital-TV im Rahmen
Hgg. von Martin Recke

        Themen dieser Ausgabe:
        - Hundert,6 bekommt neue Lizenz
        - Interview mit MABB-Direktor Hans Hege
        

Hundert,6 bekommt neue Lizenz

Hundert,6 geht zurück zu den Wurzeln.  Für das geplante
informationsorientierte, journalistische Radio bekam die Berliner
Station nun eine neue Lizenz von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg
(MABB).  Im Unterschied zur ersten, "jungfräulichen" (MABB-Sprecherin
Susanne Grams) Zulassung vor mehr als zehn Jahren will die
Aufsichtsbehörde die zugesagten Programminhalte diesmal in der Lizenz
festschreiben.

Die neue Lizenzvergabe war notwendig geworden, weil Kirch-Sohn Thomas
Ende Mai die Station vollständig übernommen hatte.  In der MA 97
verlor Hundert,6 erneut an Hörern.  Um die reichweitenstarke Frequenz
hatte sich neben anderen auch Thomas Thimme beworben, der gemeinsam
mit dem Süddeutschen Verlag zurück zu "altem Radioprofil" will und
einen "mehrheitsfähigen" Sender für die Zielgruppe der Erwachsenen von
40 bis 59 Jahren plant.


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"Eine Reihe unternehmerischer Fehlentscheidungen" -- Ein Interview mit
MABB-Direktor Hans Hege

Medialist: Die Ministerpräsidenten haben Anfang Juli einen neuen
Ordnungsrahmen für digitales Kabel-TV in Auftrag gegeben.  Welche
Regeln sollten Ihrer Meinung nach darin enthalten sein?

Hege: Die medienrechtlichen Prinzipien, Vielfalt und Wettbewerb zu
fördern, offenen Zugang sowohl für Anbieter von Inhalten wie für die
Nutzer zu gewährleisten, können künftig weniger auf der Ebene der
Zulassung und der Kapazitätszuteilung verwirklicht werden, den
traditionellen Ebenen des Rundfunkrechts. Jetzt geht es um die
Fortentwicklung zur Zugangsfreiheit zu technischen und
Programmplattformen, wie sie im § 53 des jetzigen
Rundfunkstaatsvertrages bereits als Ansatz enthalten ist.
Must-Carry-Regelungen für Netzbetreiber sind nur ein Ausschnitt, eine
Frage, die im übrigen auch für künftige digitale terrestrische
Multiplexbetreiber zu beantworten sein wird.  

Medialist: Wäre in Ihrem Szenario Platz für die nun vereinbarte enge
Zusammenarbeit der Telekom mit der CLT/UFA und der Kirch-Gruppe?

Hege: Über die Fortentwicklung der Konzentrationsregeln entscheidet
der Gesetzgeber. Zunächst ist das geltende Recht anzuwenden. Was das
konkret bedeutet, hat bei der Zulassung neuer Programme die KEK zu
beurteilen, bei Fragen in Zusammenhang mit der Telekom und dem Zugang
zu Plattformen die Landesmedienanstalten.   

Zunächst müssen wir wissen, wie die Zusammenarbeit zwischen CLT-UFA
und der Kirch-Gruppe im einzelnen aussieht, wie weit sie sich über das
engere Segment der Premium-Programme hinaus auf andere Felder
erstreckt und damit auch das frei empfangbare Fernsehen erfaßt.  

Medialist: Neuer Ärger zeichnet sich zwischen der Telekom und den
privaten Kabelnetzbetreibern ab, die viele Endkunden bedienen.  Heißt
die Lösung hier Konzentration?

Hege: Im Kabel ist die Telekom nach wie vor weit davon entfernt, ein
kundenfreundliches Unternehmen zu sein. Wenn nun bei den Kabelkunden
der Eindruck entsteht, sie müßten mit ihren Gebührenerhöhungen die
digitale Plattform für Kirch-Bertelsmann mitfinanzieren, auch wenn sie
sie nicht nutzen, muß dies der Vermarktung des Kabels schaden. Die
anderen Netzbetreiber sind näher am Kunden. Auf sich allein gestellt
sind sie allerdings zu schwach, eine Gegenmacht gegen die dominierende
Position von Kirch-Bertelsmann auf der Inhalteseite zu bieten. Daher
wird eine Kooperation mit der Telekom erforderlich sein, auch eine
Konzentration innerhalb der telekomunabhängigen Netzbetreiber. Aber
wir brauchen auch den Wettbewerb, insbesondere für innovative
Nutzungen des Kabels, an denen die Telekom kein Interesse hat.  

Medialist: Die MABB hat wiederholt gefordert, im digitalen
Fernsehkabel nicht nur den Pay-TV-Anbietern, sondern auch den werbe-
und gebührenfinanzierten Sendern Chancen zu geben.  Ist dem nun mit
der "Programmanbieter-neutralen technischen Plattform" der Telekom
Rechnung getragen?  

Hege: Gebühren- und werbefinanzierte, unverschlüsselte Programme sind
auch ohne eine technische Plattform der Telekom zu empfangen; der
einheitliche Standard hat nur für die entgeltfinanzierten Programme
Bedeutung. Strategisch wichtig wird er damit auch für eine
Mischfinanzierung, also eine Finanzierung von Programmen durch Anteile
an den Kabelentgelten neben der Werbefinanzierung, wie sie für
thematisierte Kanäle im Ausland üblich ist und auch deutschen
werbefinanzierten Veranstaltern eine zusätzliche Einnahmequelle
verschaffen könnte.   

Wesentlicher als die technische Plattform ist dabei eine
Programmplattform, die diese Programme den Kabelkunden anbietet. Die
Telekom ist hier vom einen Extrem, zunächst ausschließliche
Kundenbeziehungen zu allen an das Kabel angeschlossenen Haushalten zu
verlangen, zum anderen geschwenkt, nun nur noch eine technische
Plattform zu bieten; von einer Programmplattform, also der
entscheidenden Dienstleistung, wie sie alle Kabelunternehmen im
Ausland anbieten, ist in ihren Erklärungen nicht mehr die Rede. Das
würde bedeuten, daß alle kleineren Veranstalter auf Dienstleistungen
von Kirch-Bertelsmann angewiesen wären.  

Medialist: Welche Rolle spielen die großen Sender?

Für mich ist aufklärungsbedürftig, warum große Programmanbieter wie
RTL, SAT.1 und Pro Sieben anders als die öffentlich-rechtlichen
Anstalten nicht den Weg in die digitale Zukunft nehmen; in
Großbritannien und den USA sind entsprechende Veranstalter mit an der
Spitze der Entwicklung. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß ihre
Gesellschafter bei ihrem Digitalpakt auf entgeltfinanzierte Programme
setzen. Die Konkurrenzfähigkeit des freien Fernsehens muß ein
zentrales Anliegen von Medien- wie Kartellrecht sein. Die Veranstalter
sollten allerdings auch von der Illusion Abschied nehmen, daß ihre
Probleme mit weiteren analogen Kanälen gelöst würden.  

Medialist: Schon 1994 ist mit der Media Service GmbH eine auf den
ersten Blick vergleichbare Konstruktion von Bertelsmann, Kirch und
Telekom gescheitert.  Geben Sie der neuen Lösung größere Chancen vor
den Augen der Kartellbehörden in Brüssel und Berlin?  

Hege: Wir haben heute eine Reihe unternehmerischer Fehlentscheidungen
hinter uns, durch die die praktischen Chancen auf wirklichen
Wettbewerb gegenüber 1994 gesunken sind. Gleichzeitig ist aber auch
die Gefahr gewachsen, daß die mögliche Dynamik der digitalen
Entwicklung in Deutschland durch lähmende Strukturen von
Großkooperationen behindert wird.  

In keinem europäischen Land werden so viele Zugangsebenen von so wenig
Unternehmen kontrolliert. Zunächst geht es nun darum, Transparenz zu
schaffen, nicht nur für die Kartellbehörden, sondern auch für die
Öffentlichkeit. Es wird mit Sicherheit zusätzliche Maßnahmen zugunsten
des Zugangs kleinerer und innovativer Veranstalter geben müssen. Eine
Kernfrage bleibt die Rolle der Telekom, die zusammen mit den anderen
Netzbetreibern die einzige, bisher nicht genutzte Chance auf eine mit
Kirch-Bertelsmann konkurrierende Programmplattform darstellt. Aber
weder Kartell- noch Medienrecht können ein Unternehmen
wettbewerbsfähig machen.  


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