Medialist 19.97: Apokalypse Revisited Hgg. von Martin Recke Berlin: Deutliche Kritik an Reiter-Plänen zur ARD-Reform -- Diepgen: Vorschläge "weiterentwickeln und konkretisieren" Auf deutliche Kritik sind die Planskizzen des ARD-Vorsitzenden Udo Reiter gestoßen, mit denen Reiter die Gründung einer neuen, von der ARD und dem Land Berlin getragenen Körperschaft "ARD-Berlin" vorgeschlagen hatte. "Er setzt mit diesen Äußerungen die Axt an die gesamte ARD", sagte die SFB-Rundfunkratsvorsitzende Marianne Brinckmeier am 14. April. Sie warf dem MDR-Intendanten vor, er wolle "um jeden Preis" in die Hauptstadt. Die ARD-Strukturüberlegung sei dabei nur nebensächlich. Die Argumentation, daß der SFB unterfinanziert sei und deshalb der Aufgabe als Hauptstadtsender nicht gerecht werde, gelte nicht, weil diese Aufgabe durch das Hauptstadtstudio übernommen werden könne. Reiter hatte in einem am 13. April veröffentlichten Zeitungsinterview für eine von sechs mittleren und großen ARD-Anstalten und dem Land Berlin getragene öffentlich-rechtliche Anstalt in Berlin plädiert. Die Aufgaben dieser Einrichtung sieht der ARD-Chef neben der Grundversorgung Berlins mit Hörfunk- und Fernsehprogrammen in der Hauptstadt-Berichterstattung und in zentralen Dienstleistungen für die ARD. In den Aufsichtsgremien sollen nach den Reiter-Vorschlägen die ARD-Mitglieder und das Land Berlin gleichermaßen vertreten sein. Reiter verwies auf das Modell des Deutschlandradios, das vom ZDF und der gesamten ARD getragen werde. Für die beiden kleinen ARD-Häuser in Bremen und im Saarland sieht Reiter die Möglichkeiten, entweder mit größeren Nachbaranstalten zu fusionieren oder Aufgaben und Personalbestand zu reduzieren und sich "praktisch aus dem Ersten Programm" zurückzuziehen. "Sie wären dann nur noch Regionalsender, also ARD-Anstalten zweiter Klasse", so Reiter wörtlich. Den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB), der bislang ohne Finanzausgleich auskommt, erwähnte Reiter nicht. Anfang April hatte der MDR-Chef seine Pläne bereits dem Medienausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses vorgetragen (Medialist 17.97). Der SFB erklärte inzwischen, er werde bei der nächsten ARD-Hauptversammlung in Baden-Baden fragen, ob angesichts der Reiter-Vorschläge die ARD-Fernsehprogrammdirektion aus München und "ARD-aktuell" aus Hamburg nach Berlin abgegeben würden. Der Sender wies darauf hin, daß ein gemeinsames Hauptstadtstudio der ARD derzeit bereits entstehe und allen ARD-Anstalten zur Verfügung stehen werde. Mit den Reiter-Vorschlägen stehe der Föderalismus der ARD auf dem Prüfstand, hieß es. Auf den Regierenden Bürgermeister könne Reiter sich nicht berufen, da dieser an einer starken Landesrundfunkanstalt interessiert sei. Der Berliner Regierungschef Eberhard Diepgen begrüßte am 14. April "alle Überlegungen zu einem stärkeren Engagement der ARD" in Berlin und nannte eine Reihe von "unverzichtbaren Eckpunkten" für die Diskussion: Die Regionalberichterstattung sei Teil des Grundversorgungsauftrags und müsse durch einen "leistungsstarken Hauptstadtsender" sichergestellt werden. Dabei seien alle denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten auszuloten. Die Gebühreneinnahmen des SFB seien um ein Vielfaches größer als die von Radio Bremen und dem Saarländischen Rundfunk. Nach einem eventuellen Auslaufen des Finanzausgleichs ab dem Jahr 2001 müsse der SFB finanziell auf eigenen Füßen stehen können. Ein "Hauptstadtsender" verdiene nur dann seinen Namen, wenn er "originär aus der und über die Hauptstadt berichtet, also nicht lediglich ein Zulieferer zum ARD-Gemeinschaftsprogramm ist", so die Erklärung Diepgens. Er forderte die ARD auf, die Vorschläge weiterzuentwickeln und zu konkretisieren und dies mit Berlin zu besprechen. Beobachter sehen in den Äußerungen Diepgens eine abwartende Skepsis gegenüber den Plänen Reiters. Kritik äußerte auch der Vorsitzende der Bundestags-Enquetekommission "Zukunft der Medien", Siegmar Mosdorf. Mit einer derartigen Neuordnung ginge die regionale Identität der Rundfunkanstalten verloren, so Mosdorf am 14. April. Es gebe zwar "ohne Zweifel institutionellen Reformbedarf" bei der ARD, mit dem Modell Reiters jedoch würde "auch der kulturelle Föderalismus in Deutschland nicht mehr richtig wiedergegeben", erklärte Mosdorf. Die neue ARD-Architektur solle durch die Ministerpräsidenten der Länder ausgearbeitet werden. Der Verwaltungsrat des SFB wird sich am 16. April mit dem Vertrag zwischen SFB und ORB über eine Kooperation bei zwei weiteren Hörfunkprogrammen befassen (Medialist 12, 15 und 16.97). Es gilt als unsicher, ob das Gremium dem Vertrag zustimmen wird (Medialist 18.97). Die Rundfunkratsvorsitzende Marianne Brinckmeier forderte im Zusammenhang mit den Vorschlägen Reiters, die Kooperation der beiden Häuser fortzusetzen. Sie hätte immer davor gewarnt, daß SFB und ORB daran scheitern könnten, "einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk" in der Region zu gestalten, und so zum "Spielball der großen Anstalten" würden. (mr) -- The Medialist distributes various news about media topics. It's in German. Die Medienliste verbreitet diverse Medienmeldungen mit dem Schwerpunkt Berlin. Sie erscheint in den Newsgroups de.soc.medien, bln.medien und prenzlnet.medien sowie auf http://userpage.fu-berlin.de/~mr94/medialist/. Die Liste ist moderiert. Beitraege nimmt Martin Recke <mr94@prenzlnet.in-berlin.de> entgegen. Um die Medienliste per Mail zu beziehen, genuegt eine Mail an <medialist-request@prenzlnet.in-berlin.de> mit SUBSCRIBE im Body. HELP im Body schickt einen Hilfstext. Kommerzielle Weiterverwertung der Medienmeldungen ist generell nicht gestattet. 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