Medialist 19.97: Apokalypse Revisited

Martin Recke (mr94@prenzlnet.in-berlin.de)
15 Apr 1997 09:12:47 GMT

Medialist 19.97: Apokalypse Revisited
Hgg. von Martin Recke


Berlin: Deutliche Kritik an Reiter-Plänen zur ARD-Reform -- Diepgen:
Vorschläge "weiterentwickeln und konkretisieren"

Auf deutliche Kritik sind die Planskizzen des ARD-Vorsitzenden Udo
Reiter gestoßen, mit denen Reiter die Gründung einer neuen, von der
ARD und dem Land Berlin getragenen Körperschaft "ARD-Berlin"
vorgeschlagen hatte.  "Er setzt mit diesen Äußerungen die Axt an die
gesamte ARD", sagte die SFB-Rundfunkratsvorsitzende Marianne
Brinckmeier am 14. April.  Sie warf dem MDR-Intendanten vor, er wolle
"um jeden Preis" in die Hauptstadt.  Die ARD-Strukturüberlegung sei
dabei nur nebensächlich.  Die Argumentation, daß der SFB
unterfinanziert sei und deshalb der Aufgabe als Hauptstadtsender nicht
gerecht werde, gelte nicht, weil diese Aufgabe durch das
Hauptstadtstudio übernommen werden könne.

Reiter hatte in einem am 13. April veröffentlichten Zeitungsinterview
für eine von sechs mittleren und großen ARD-Anstalten und dem Land
Berlin getragene öffentlich-rechtliche Anstalt in Berlin plädiert.
Die Aufgaben dieser Einrichtung sieht der ARD-Chef neben der
Grundversorgung Berlins mit Hörfunk- und Fernsehprogrammen in der
Hauptstadt-Berichterstattung und in zentralen Dienstleistungen für die
ARD.  In den Aufsichtsgremien sollen nach den Reiter-Vorschlägen die
ARD-Mitglieder und das Land Berlin gleichermaßen vertreten sein.
Reiter verwies auf das Modell des Deutschlandradios, das vom ZDF und
der gesamten ARD getragen werde.

Für die beiden kleinen ARD-Häuser in Bremen und im Saarland sieht
Reiter die Möglichkeiten, entweder mit größeren Nachbaranstalten zu
fusionieren oder Aufgaben und Personalbestand zu reduzieren und sich
"praktisch aus dem Ersten Programm" zurückzuziehen.  "Sie wären dann
nur noch Regionalsender, also ARD-Anstalten zweiter Klasse", so Reiter
wörtlich.  Den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB), der bislang
ohne Finanzausgleich auskommt, erwähnte Reiter nicht.  Anfang April
hatte der MDR-Chef seine Pläne bereits dem Medienausschuß des Berliner
Abgeordnetenhauses vorgetragen (Medialist 17.97).

Der SFB erklärte inzwischen, er werde bei der nächsten
ARD-Hauptversammlung in Baden-Baden fragen, ob angesichts der
Reiter-Vorschläge die ARD-Fernsehprogrammdirektion aus München und
"ARD-aktuell" aus Hamburg nach Berlin abgegeben würden.  Der Sender
wies darauf hin, daß ein gemeinsames Hauptstadtstudio der ARD derzeit
bereits entstehe und allen ARD-Anstalten zur Verfügung stehen werde.
Mit den Reiter-Vorschlägen stehe der Föderalismus der ARD auf dem
Prüfstand, hieß es.  Auf den Regierenden Bürgermeister könne Reiter
sich nicht berufen, da dieser an einer starken Landesrundfunkanstalt
interessiert sei.

Der Berliner Regierungschef Eberhard Diepgen begrüßte am 14. April
"alle Überlegungen zu einem stärkeren Engagement der ARD" in Berlin
und nannte eine Reihe von "unverzichtbaren Eckpunkten" für die
Diskussion:  Die Regionalberichterstattung sei Teil des
Grundversorgungsauftrags und müsse durch einen "leistungsstarken
Hauptstadtsender" sichergestellt werden.  Dabei seien alle denkbaren
Gestaltungsmöglichkeiten auszuloten.  Die Gebühreneinnahmen des SFB
seien um ein Vielfaches größer als die von Radio Bremen und dem
Saarländischen Rundfunk.  

Nach einem eventuellen Auslaufen des Finanzausgleichs ab dem Jahr 2001
müsse der SFB finanziell auf eigenen Füßen stehen können.  Ein
"Hauptstadtsender" verdiene nur dann seinen Namen, wenn er "originär
aus der und über die Hauptstadt berichtet, also nicht lediglich ein
Zulieferer zum ARD-Gemeinschaftsprogramm ist", so die Erklärung
Diepgens.  Er forderte die ARD auf, die Vorschläge weiterzuentwickeln
und zu konkretisieren und dies mit Berlin zu besprechen.  Beobachter
sehen in den Äußerungen Diepgens eine abwartende Skepsis gegenüber den
Plänen Reiters.

Kritik äußerte auch der Vorsitzende der Bundestags-Enquetekommission
"Zukunft der Medien", Siegmar Mosdorf.  Mit einer derartigen
Neuordnung ginge die regionale Identität der Rundfunkanstalten
verloren, so Mosdorf am 14. April.  Es gebe zwar "ohne Zweifel
institutionellen Reformbedarf" bei der ARD, mit dem Modell Reiters
jedoch würde "auch der kulturelle Föderalismus in Deutschland nicht
mehr richtig wiedergegeben", erklärte Mosdorf.  Die neue
ARD-Architektur solle durch die Ministerpräsidenten der Länder
ausgearbeitet werden.

Der Verwaltungsrat des SFB wird sich am 16. April mit dem Vertrag
zwischen SFB und ORB über eine Kooperation bei zwei weiteren
Hörfunkprogrammen befassen (Medialist 12, 15 und 16.97).  Es gilt als
unsicher, ob das Gremium dem Vertrag zustimmen wird (Medialist 18.97).
Die Rundfunkratsvorsitzende Marianne Brinckmeier forderte im
Zusammenhang mit den Vorschlägen Reiters, die Kooperation der beiden
Häuser fortzusetzen.  Sie hätte immer davor gewarnt, daß SFB und ORB
daran scheitern könnten, "einen starken öffentlich-rechtlichen
Rundfunk" in der Region zu gestalten, und so zum "Spielball der großen
Anstalten" würden. (mr)


-- 
The Medialist distributes various news about media topics.  It's in
German.

Die Medienliste verbreitet diverse Medienmeldungen mit dem Schwerpunkt
Berlin.  Sie erscheint in den Newsgroups de.soc.medien, bln.medien und
prenzlnet.medien sowie auf http://userpage.fu-berlin.de/~mr94/medialist/.
Die Liste ist moderiert.  Beitraege nimmt Martin Recke
<mr94@prenzlnet.in-berlin.de> entgegen.

Um die Medienliste per Mail zu beziehen, genuegt eine Mail an
<medialist-request@prenzlnet.in-berlin.de> mit SUBSCRIBE im
Body.  HELP im Body schickt einen Hilfstext.

Kommerzielle Weiterverwertung der Medienmeldungen ist generell nicht
gestattet.  Falls Sie dies dennoch beabsichtigen, wenden Sie sich bitte
an Martin Recke <mr94@prenzlnet.in-berlin.de>.  Nichtkommerzielle
Weiterverbreitung der Medienliste ist nur komplett gestattet.  Alle
Rechte vorbehalten.