Medialist 17.97: Kraft des Faktischen Hgg. von Martin Recke Themen dieser Ausgabe: - Reiter verteidigt Strukturüberlegungen zum Sender Freies Berlin - Berliner Senatskanzlei strebt "größere Flexibilität" im Umgang mit MABB-Mitteln - "Must-carry"-Regeln im Medienstaatsvertrag Berlin-Brandenburg geplant Reiter verteidigt Strukturüberlegungen zum Sender Freies Berlin -- Ende des Finanzausgleichs ist "Faktum Brutum" Udo Reiter hat seine Vorschläge für eine Neuordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Berlin verteidigt. Sein Vorschlag sei es, "Berlin als Gemeinschaftsaufgabe der ARD" zu sehen und den Stadtsender, das ARD-Hauptstadtstudio sowie weitere in Berlin zu konzentrierende Gemeinschaftseinrichtungen in einer neuen Einheit zusammenzufassen, erklärte Reiter am 3. April vor dem Medienausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses. In den Aufsichtsgremien dieser neuen Anstalt sollen nach den Überlegungen des ARD-Vorsitzenden die Stadt Berlin und die ARD repräsentiert werden. Reiter bezeichnete es als "Faktum Brutum", daß der ARD-Finanzausgleich mit dem Jahr 2001 wegfallen werde. "Wenn nur ein Stein herausfällt, wird das Gebäude zusammenbrechen", sagte der MDR-Intendant. Es sei "auch sehr schwer moralisch zu begründen", warum die Gebührenzahler anderer Bundesländer die kleinen Anstalten im Saarland, in Bremen "und sonst noch irgendwo" unterstützen sollten. Unter diesen Voraussetzungen gebe es die Möglichkeit einer Fusion mit einem stärkeren Partner zu einer Mehrländeranstalt. Einen solchen Partner sehe er für Berlin jedoch nicht, so Reiter. Der Sog der Hauptstadt sei so stark, daß sich keine der bestehenden Mehrländeranstalten eine Fusion mit dem SFB leisten könne. Berlin lasse sich nicht von Leipzig oder Hamburg aus regieren, erklärte Reiter, aber auch Leipzig und Hamburg liessen sich nicht aus Berlin regieren. Eine Fusion mit dem ORB bringe hingegen unter finanziellen Gesichtspunkten "wenig bis gar nichts". Als Alternative bleibe nur die Reduzierung auf einen Regionalsender und eine Kostenreduktion, die mit radikalem Personalabbau und einem Verzicht auf eine Beteiligung an ARD-Gemeinschaftsaufgaben einhergehe, wie sie der NDR-Intendant Jobst Plog vorgeschlagen habe. Einen solchen "Sender zweiter Kategorie" halte er in Berlin jedoch für unvorstellbar, meinte Reiter. Sein Modell sei eine Antwort auf diese "fast ausweglose Lage". Das Problem der kleinen Anstalten sei nicht deren Unwirtschaftlichkeit, sondern die Unterfinanzierung. Daher erwarte er eine "Flurbereinigung" der ARD, so Reiter. SFB-Fernsehdirektor Horst Schättle erklärte vor dem Ausschuß, die ARD wäre "in der Tat gefährdet", wenn die von Reiter angestoßene Debatte nicht geführt würde. Der Finanzausgleich zwischen den Bundesländern sei im Föderalismus "relativ unbestritten", meinte Schättle. Vor diesem Hintergrund sei nicht klar, warum der Finanzausgleich zwischen den ARD-Anstalten "etwas unmoralisch" sein solle. Der amtierende SFB-Intendant räumte ein, daß die derzeitige Rolle des WDR für die politische Berichterstattung aus Bonn in Berlin und für den SFB nicht mehr durchsetzbar war. Senatssprecher Michael-Andreas Butz nannte den Vorschlag des MDR-Chefs im Hinblick auf den Beitrag Berlins im Rahmen der ARD "ausgesprochen interessant". Die Interessen des Landes seien es, daß die Versorgung mit regionalem Rundfunk und Fernsehen durch eine regionale Rundfunkanstalt wahrgenommen werden können. Mit dem Reiter-Vorschlag könnte Berlin im ersten Programm der ARD gestärkt werden. Entsprechende Staatsverträge sollen nach Ansicht von Butz im Jahre 1999 ratifizierbar sein. (mr) --------------------- Berliner Senatskanzlei strebt "größere Flexibilität" im Umgang mit MABB-Mitteln an -- Mittelfristige MABB-Finanzplanung sieht 2,5 Mio. Mark pro Jahr für den SFB vor Die Berliner Senatskanzlei will "größere Flexibilität" im Umgang mit den Mitteln der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) erreichen. Dies erklärte der Senatssprecher Michael-Andreas Butz am 3. April vor dem Medienausschuß des Berliner Abgeordetenhauses. Eine gesetzlich garantierte jährliche Mindestsumme für den Sender Freies Berlin (SFB), die SFB-Chef Günther von Lojewski mehrfach gefordert hatte (Medialist 7, 8 und 9.96, 1 und 2.97), lehne der Senat jedoch ab. Die Medienanstalt habe in ihrer mittelfristigen Finanzplanung für die gegenwärtige Gebührenperiode jährliche Überschuß-Abführungen an den SFB in Höhe von 2,5 Millionen Mark vorgesehen, erklärte Butz. Mit der anstehenden Novellierung des Medienstaatsvertrags Berlin-Brandenburg (siehe weitere Meldung in dieser Ausgabe) sei beabsichtigt, die bisherige Zweckbindung dieser Mittel beim SFB zu lockern. Während die Verwendung für die Rundfunkorchester und Chöre GmbH (ROC) weiterhin im Berliner Zustimmungsgesetz erwähnt werden soll, will der Senat die Finanzierung eines Programms "für die ausländische Bevölkerung" nicht mehr im Zustimmungsgesetz festschreiben. Diese Klausel verpflichtet den SFB bislang, die vielsprachige Welle SFB 4 Multikulti auch aus MABB-Rückflüssen zu bezahlen. SFB 4 Multikulti gehöre zur öffentlich-rechtlichen Grundversorgung, so Butz, und sei daher aus Haushaltsmitteln des SFB zu speisen. Mit den garantierten Abführungen der Medienanstalt stehen nach Ansicht des Senats die notwendigen Mittel zur Verfügung. Die Verwendung dieser Mittel würde künftig jedoch im Ermessen des SFB liegen. Der Senatssprecher erteilte den Plänen der SPD-Medienpolitiker eine Absage, mit den Überschüssen der MABB wie in anderen Ländern auch Filmförderung zu betreiben. Butz forderte von SFB und ORB, sich an Gesprächen mit dem Filmboard Berlin-Brandenburg zu beteiligen. Nach Brancheninformationen ist die künftige Aufteilung der MABB-Mittel der einzige noch umstrittene Punkt zwischen der Berliner Senatskanzlei und der Potsdamer Staatskanzlei. Über den Entwurf des novellierten Medienstaatsvertrags bestehe ansonsten Einigkeit. Ungeklärt ist noch, wie ein Gleichgewicht zwischen Berlin und Brandenburg erzielt werden kann. Der aus dem MABB-Etat finanzierte Offene Kanal im Berliner Kabelnetz kostet derzeit knapp zwei Millionen Mark im Jahr. Im Dezember hatte ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer gefordert, das von der Medienanstalt geplante Digital-Sendezentrum in Potsdam anzusiedeln (Medialist 9.96). Dies sei ein "fairer Ausgleich" für die Finanzierung des Berliner Offenen Kanals, der letztlich auch aus Gebührenmitteln der Brandenburger bezahlt würde, die ihn nicht sehen können. Im Februar beschloß die ARD, ihr digitales Sendezentrum beim ORB einzurichten. Nach MABB-Vorstellungen sollen die Pläne für ein digitales Sendezentrum der ARD und der Region gebündelt werden. Nach Angaben von MABB-Chef Hans Hege will seine Anstalt sich jedoch nicht als Gesellschafter beteiligen. Die Fraktion Bündnis90/Grüne forderte in einem Antrag an das Abgeordnetenhaus, vom zweiprozentigen Gebührenanteil der Medienanstalt künftig 0,65 Prozent direkt an die beiden öffentlich-rechtlichen Sender SFB und ORB abzuführen. Außerdem soll nach dem Willen der Bündnisgrünen im Medienstaatsvertrag festgeschrieben werden, daß MABB-Mittel nicht zur Schaffung einer technischen Infrastruktur für kommerzielle Rundfunkveranstalter verwendet werden dürfen. Dies zielt auf die Pläne der Medienanstalt, ein digitales Sendezentrum in der Region zu fördern. Der Antrag fordert außerdem, Regelungen für die Zulassung nichtkommerziellen Hörfunks einzuführen, die auch die Förderung der technischen Infrastruktur aus MABB-Mitteln vorsieht. Die regionalen Programmanbieter sollen nach Vorstellungen der bündnisgrünen Medienpolitiker maximal ein Vollprogramm oder ein "informationsorientiertes Spartenprogramm" veranstalten dürfen. Der vorliegende Medienstaatsvertrags-Entwurf sieht vor, die bisherigen Beschränkungen fallen zu lassen. (mr) --------------------- "Must-carry"-Regeln im Medienstaatsvertrag Berlin-Brandenburg geplant -- Verträge zwischen MABB und Kabelbetreibern möglich In Berlin und Brandenburg sollen künftig neue Regeln für die Kabelkanalbelegung gelten. Im Entwurf für einen neuen Medienstaatsvertrag ist vorgesehen, künftig die Kabelbetreiber in Grenzen selbst über die Belegung der Kabelkanäle entscheiden zu lassen. Als Pflichtprogramme sollen die terrestrisch empfangbaren, "ortsüblichen" Sender vorgeschrieben werden. Auf den Entwurf haben sich nach Brancheninformationen die Berliner Senatskanzlei und die Potsdamer Staatskanzlei verständigt. Der Berliner Senatssprecher Michael-Andreas Butz dementierte am 3. April die Existenz dieses Entwurfs. Es habe bisher ein Gespräch mit der Staatskanzlei Brandenburg zur "must-carry"-Regelung gegeben, sagte Butz vor dem Medienausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses. Das "Stadium der Vorüberlegungen" sei jedoch noch nicht verlassen worden. Mit der Novellierung des Medienstaatsvertrags sollen die landesrechtlichen Konzentrationsvorschriften weitgehend den zum Jahresanfang in Kraft getretenen neuen Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages der Länder angepaßt werden. Fallengelassen wird damit die bisherige Beschränkung auf ein Hörfunk- und ein Fernsehvollprogramm pro Veranstalter. Das Vertragswerk soll noch vor der Sommerpause unterzeichnet und von den beiden Parlamenten verabschiedet werden. Für die Kabelkanalbelegung wird ein neues, differenziertes Regelwerk eingeführt. Künftig kann der Kabelnetzbetreiber in Grenzen selbst über die Verteilung der Kanäle befinden, wenn er sich dabei an vier im Staatsvertrag festgelegte Kriterien hält. Neben der Programmvielfalt, der Nachfrage der Teilnehmer und dem lokalen Bezug des Programms nennt der Entwurf auch das medienwirtschaftliche Engagement der Programmveranstalter in der Region. Nach dem bislang gültigen Staatsvertrag muß die Medienanstalt selbst eine Rangfolge für die Kabelbelegung festlegen. Der Medienrat behielte jedoch auch nach dem vorliegenden Entwurf die Möglichkeit, Vorgaben für die Kanalbelegung zu machen, die über das gesetzlich fixierte Minimum hinausgehen. Zudem schafft das neue Regularium die Möglichkeit, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen Medienanstalt und Kabelbetreiber zu schließen, mit dem Kabelbetreibern Spielräume eröffnet werden können. Dies wird jedoch an konkrete Zusagen zum Ausbau der Kabelkapazitäten geknüpft. Außerdem soll die Organisationsform der Kabelbetreiber berücksichtigt werden. Mit den vorgesehenen neuen Regeln erhielte die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) ein neues Instrument, mit dem sie auf die Kabelbetreiber einwirken könnte. Im Februar hatte der MABB-Medienrat beschlossen, die Telekom zum Ausbau einer Reihe weiterer analoger Kabelkanäle zu verpflichten. Die Telekom hatte dies bislang verweigert. Die Medienanstalt rechne nun mit einer Klage der Telekom gegen ihre Bescheide, teilte MABB-Sprecherin Susanne Grams am 3. April mit. Mit der Neufassung des Medienstaatsvertrags könnte ein Konflikt wie dieser durch einen Vertrag zwischen Telekom und Medienanstalt gelöst werden, der Zusagen für einen Ausbau der knappen analogen Kapazitäten mit einer Lockerung der Belegungsvorschriften verbinden würde. Möglich wird auch eine Vermarktung des Kabels in mehreren Paketen und zu gestaffelten Preisen, wie es bereits in einigen brandenburgischen Kabelnetzen praktiziert wird, die nicht der Telekom gehören. Im billigsten Grundpaket sind dann in der Regel nur fünf oder sechs terrestrisch empfangbare Programme enthalten; mindestens einer der attraktiven kommerziellen Sender wie RTL, Pro Sieben oder SAT 1 ist erst im Zusatzpaket zu bekommen. Trotzdem sind Grund- und Zusatzpaket zusammen meist billiger als 22,50 Mark, der einheitliche Tarif der Telekom. Durch die Staffelung erreichen die Betreiber jedoch höhere Anschlußquoten und verbessern damit die Wirtschaftlichkeit des Kabels. (mr) -- The Medialist distributes various news about media topics. It's in German. Die Medienliste verbreitet diverse Medienmeldungen mit dem Schwerpunkt Berlin. Sie erscheint in den Newsgroups de.soc.medien, bln.medien und prenzlnet.medien sowie auf http://userpage.fu-berlin.de/~mr94/medialist/. Die Liste ist moderiert. Beitraege nimmt Martin Recke <mr94@prenzlnet.in-berlin.de> entgegen. Um die Medienliste per Mail zu beziehen, genuegt eine Mail an <medialist-request@prenzlnet.in-berlin.de> mit SUBSCRIBE im Body. 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