Medialist 17.97: Kraft des Faktischen

Martin Recke (mr94@prenzlnet.in-berlin.de)
4 Apr 1997 10:19:55 GMT

Medialist 17.97: Kraft des Faktischen
Hgg. von Martin Recke

                Themen dieser Ausgabe:
                - Reiter verteidigt Strukturüberlegungen zum Sender
                  Freies Berlin
                - Berliner Senatskanzlei strebt "größere Flexibilität"
                  im Umgang mit MABB-Mitteln 
                - "Must-carry"-Regeln im Medienstaatsvertrag
                  Berlin-Brandenburg geplant


Reiter verteidigt Strukturüberlegungen zum Sender Freies Berlin --
Ende des Finanzausgleichs ist "Faktum Brutum"

Udo Reiter hat seine Vorschläge für eine Neuordnung des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Berlin verteidigt.  Sein Vorschlag
sei es, "Berlin als Gemeinschaftsaufgabe der ARD" zu sehen und den
Stadtsender, das ARD-Hauptstadtstudio sowie weitere in Berlin zu
konzentrierende Gemeinschaftseinrichtungen in einer neuen Einheit
zusammenzufassen, erklärte Reiter am 3. April vor dem Medienausschuß
des Berliner Abgeordnetenhauses.  In den Aufsichtsgremien dieser neuen
Anstalt sollen nach den Überlegungen des ARD-Vorsitzenden die Stadt
Berlin und die ARD repräsentiert werden.

Reiter bezeichnete es als "Faktum Brutum", daß der ARD-Finanzausgleich
mit dem Jahr 2001 wegfallen werde.  "Wenn nur ein Stein herausfällt,
wird das Gebäude zusammenbrechen", sagte der MDR-Intendant.  Es sei
"auch sehr schwer moralisch zu begründen", warum die Gebührenzahler
anderer Bundesländer die kleinen Anstalten im Saarland, in Bremen "und
sonst noch irgendwo" unterstützen sollten.  Unter diesen
Voraussetzungen gebe es die Möglichkeit einer Fusion mit einem
stärkeren Partner zu einer Mehrländeranstalt.  

Einen solchen Partner sehe er für Berlin jedoch nicht, so Reiter.  Der
Sog der Hauptstadt sei so stark, daß sich keine der bestehenden
Mehrländeranstalten eine Fusion mit dem SFB leisten könne.  Berlin
lasse sich nicht von Leipzig oder Hamburg aus regieren, erklärte
Reiter, aber auch Leipzig und Hamburg liessen sich nicht aus Berlin
regieren.  Eine Fusion mit dem ORB bringe hingegen unter finanziellen
Gesichtspunkten "wenig bis gar nichts".  

Als Alternative bleibe nur die Reduzierung auf einen Regionalsender
und eine Kostenreduktion, die mit radikalem Personalabbau und einem
Verzicht auf eine Beteiligung an ARD-Gemeinschaftsaufgaben einhergehe,
wie sie der NDR-Intendant Jobst Plog vorgeschlagen habe.  Einen
solchen "Sender zweiter Kategorie" halte er in Berlin jedoch für
unvorstellbar, meinte Reiter.  Sein Modell sei eine Antwort auf diese
"fast ausweglose Lage".  Das Problem der kleinen Anstalten sei nicht
deren Unwirtschaftlichkeit, sondern die Unterfinanzierung.  Daher
erwarte er eine "Flurbereinigung" der ARD, so Reiter.

SFB-Fernsehdirektor Horst Schättle erklärte vor dem Ausschuß, die ARD
wäre "in der Tat gefährdet", wenn die von Reiter angestoßene Debatte
nicht geführt würde.  Der Finanzausgleich zwischen den Bundesländern
sei im Föderalismus "relativ unbestritten", meinte Schättle.  Vor
diesem Hintergrund sei nicht klar, warum der Finanzausgleich zwischen
den ARD-Anstalten "etwas unmoralisch" sein solle.  Der amtierende
SFB-Intendant räumte ein, daß die derzeitige Rolle des WDR für die
politische Berichterstattung aus Bonn in Berlin und für den SFB nicht
mehr durchsetzbar war.

Senatssprecher Michael-Andreas Butz nannte den Vorschlag des MDR-Chefs
im Hinblick auf den Beitrag Berlins im Rahmen der ARD "ausgesprochen
interessant".  Die Interessen des Landes seien es, daß die Versorgung
mit regionalem Rundfunk und Fernsehen durch eine regionale
Rundfunkanstalt wahrgenommen werden können.  Mit dem Reiter-Vorschlag
könnte Berlin im ersten Programm der ARD gestärkt werden.
Entsprechende Staatsverträge sollen nach Ansicht von Butz im Jahre
1999 ratifizierbar sein.  (mr)


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Berliner Senatskanzlei strebt "größere Flexibilität" im Umgang mit
MABB-Mitteln an -- Mittelfristige MABB-Finanzplanung sieht 2,5 Mio.
Mark pro Jahr für den SFB vor

Die Berliner Senatskanzlei will "größere Flexibilität" im Umgang mit
den Mitteln der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) erreichen.
Dies erklärte der Senatssprecher Michael-Andreas Butz am 3. April vor
dem Medienausschuß des Berliner Abgeordetenhauses.  Eine gesetzlich
garantierte jährliche Mindestsumme für den Sender Freies Berlin (SFB),
die SFB-Chef Günther von Lojewski mehrfach gefordert hatte (Medialist
7, 8 und 9.96, 1 und 2.97), lehne der Senat jedoch ab.  Die
Medienanstalt habe in ihrer mittelfristigen Finanzplanung für die
gegenwärtige Gebührenperiode jährliche Überschuß-Abführungen an den
SFB in Höhe von 2,5 Millionen Mark vorgesehen, erklärte Butz.  

Mit der anstehenden Novellierung des Medienstaatsvertrags
Berlin-Brandenburg (siehe weitere Meldung in dieser Ausgabe) sei
beabsichtigt, die bisherige Zweckbindung dieser Mittel beim SFB zu
lockern.  Während die Verwendung für die Rundfunkorchester und Chöre
GmbH (ROC) weiterhin im Berliner Zustimmungsgesetz erwähnt werden
soll, will der Senat die Finanzierung eines Programms "für die
ausländische Bevölkerung" nicht mehr im Zustimmungsgesetz
festschreiben.  Diese Klausel verpflichtet den SFB bislang, die
vielsprachige Welle SFB 4 Multikulti auch aus MABB-Rückflüssen zu
bezahlen.  

SFB 4 Multikulti gehöre zur öffentlich-rechtlichen Grundversorgung, so
Butz, und sei daher aus Haushaltsmitteln des SFB zu speisen.  Mit den
garantierten Abführungen der Medienanstalt stehen nach Ansicht des
Senats die notwendigen Mittel zur Verfügung.  Die Verwendung dieser
Mittel würde künftig jedoch im Ermessen des SFB liegen.  Der
Senatssprecher erteilte den Plänen der SPD-Medienpolitiker eine
Absage, mit den Überschüssen der MABB wie in anderen Ländern auch
Filmförderung zu betreiben.  Butz forderte von SFB und ORB, sich an
Gesprächen mit dem Filmboard Berlin-Brandenburg zu beteiligen.

Nach Brancheninformationen ist die künftige Aufteilung der MABB-Mittel
der einzige noch umstrittene Punkt zwischen der Berliner Senatskanzlei
und der Potsdamer Staatskanzlei.  Über den Entwurf des novellierten
Medienstaatsvertrags bestehe ansonsten Einigkeit.  Ungeklärt ist noch,
wie ein Gleichgewicht zwischen Berlin und Brandenburg erzielt werden
kann.  Der aus dem MABB-Etat finanzierte Offene Kanal im Berliner
Kabelnetz kostet derzeit knapp zwei Millionen Mark im Jahr.  Im
Dezember hatte ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer gefordert,  das von
der Medienanstalt geplante Digital-Sendezentrum in Potsdam anzusiedeln
(Medialist 9.96).  

Dies sei ein "fairer Ausgleich" für die Finanzierung des Berliner
Offenen Kanals, der letztlich auch aus Gebührenmitteln der
Brandenburger bezahlt würde, die ihn nicht sehen können.  Im Februar
beschloß die ARD, ihr digitales Sendezentrum beim ORB einzurichten.
Nach MABB-Vorstellungen sollen die Pläne für ein digitales
Sendezentrum der ARD und der Region gebündelt werden.  Nach Angaben
von MABB-Chef Hans Hege will seine Anstalt sich jedoch nicht als
Gesellschafter beteiligen.

Die Fraktion Bündnis90/Grüne forderte in einem Antrag an das
Abgeordnetenhaus, vom zweiprozentigen Gebührenanteil der Medienanstalt
künftig 0,65 Prozent direkt an die beiden öffentlich-rechtlichen
Sender SFB und ORB abzuführen.  Außerdem soll nach dem Willen der
Bündnisgrünen im Medienstaatsvertrag festgeschrieben werden, daß
MABB-Mittel nicht zur Schaffung einer technischen Infrastruktur für
kommerzielle Rundfunkveranstalter verwendet werden dürfen.  Dies zielt
auf die Pläne der Medienanstalt, ein digitales Sendezentrum in der
Region zu fördern.

Der Antrag fordert außerdem, Regelungen für die Zulassung
nichtkommerziellen Hörfunks einzuführen, die auch die Förderung der
technischen Infrastruktur aus MABB-Mitteln vorsieht.  Die regionalen
Programmanbieter sollen nach Vorstellungen der bündnisgrünen
Medienpolitiker maximal ein Vollprogramm oder ein
"informationsorientiertes Spartenprogramm" veranstalten dürfen.  Der
vorliegende Medienstaatsvertrags-Entwurf sieht vor, die bisherigen
Beschränkungen fallen zu lassen.  (mr)


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"Must-carry"-Regeln im Medienstaatsvertrag Berlin-Brandenburg geplant
--  Verträge zwischen MABB und Kabelbetreibern möglich

In Berlin und Brandenburg sollen künftig neue Regeln für die
Kabelkanalbelegung gelten.  Im Entwurf für einen neuen
Medienstaatsvertrag ist vorgesehen, künftig die Kabelbetreiber in
Grenzen selbst über die Belegung der Kabelkanäle entscheiden zu
lassen.  Als Pflichtprogramme sollen die terrestrisch empfangbaren,
"ortsüblichen" Sender vorgeschrieben werden.  

Auf den Entwurf haben sich nach Brancheninformationen die Berliner
Senatskanzlei und die Potsdamer Staatskanzlei verständigt.  Der
Berliner Senatssprecher Michael-Andreas Butz dementierte am 3.  April
die Existenz dieses Entwurfs.  Es habe bisher ein Gespräch mit der
Staatskanzlei Brandenburg zur "must-carry"-Regelung gegeben, sagte
Butz vor dem Medienausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses.  Das
"Stadium der Vorüberlegungen" sei jedoch noch nicht verlassen worden.  

Mit der Novellierung des Medienstaatsvertrags sollen die
landesrechtlichen Konzentrationsvorschriften weitgehend den zum
Jahresanfang in Kraft getretenen neuen Regelungen des
Rundfunkstaatsvertrages der Länder angepaßt werden.  Fallengelassen
wird damit die bisherige Beschränkung auf ein Hörfunk- und ein
Fernsehvollprogramm pro Veranstalter.  Das Vertragswerk soll noch vor
der Sommerpause unterzeichnet und von den beiden Parlamenten
verabschiedet werden.

Für die Kabelkanalbelegung wird ein neues, differenziertes Regelwerk
eingeführt. Künftig kann der Kabelnetzbetreiber in Grenzen selbst über
die Verteilung der Kanäle befinden, wenn er sich dabei an vier im
Staatsvertrag festgelegte Kriterien hält.  Neben der Programmvielfalt,
der Nachfrage der Teilnehmer und dem lokalen Bezug des Programms nennt
der Entwurf auch das medienwirtschaftliche Engagement der
Programmveranstalter in der Region.  Nach dem bislang gültigen
Staatsvertrag muß die Medienanstalt selbst eine Rangfolge für die
Kabelbelegung festlegen.  

Der Medienrat behielte jedoch auch nach dem vorliegenden Entwurf die
Möglichkeit, Vorgaben für die Kanalbelegung zu machen, die über das
gesetzlich fixierte Minimum hinausgehen.  Zudem schafft das neue
Regularium die Möglichkeit, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag
zwischen Medienanstalt und Kabelbetreiber zu schließen, mit dem
Kabelbetreibern Spielräume eröffnet werden können.  Dies wird jedoch
an konkrete Zusagen zum Ausbau der Kabelkapazitäten geknüpft.
Außerdem soll die Organisationsform der Kabelbetreiber berücksichtigt
werden.

Mit den vorgesehenen neuen Regeln erhielte die Medienanstalt
Berlin-Brandenburg (MABB) ein neues Instrument, mit dem sie auf die
Kabelbetreiber einwirken könnte.  Im Februar hatte der MABB-Medienrat
beschlossen, die Telekom zum Ausbau einer Reihe weiterer analoger
Kabelkanäle zu verpflichten.  Die Telekom hatte dies bislang
verweigert.  Die Medienanstalt rechne nun mit einer Klage der Telekom
gegen ihre Bescheide, teilte MABB-Sprecherin Susanne Grams am 3. April
mit.

Mit der Neufassung des Medienstaatsvertrags könnte ein Konflikt wie
dieser durch einen Vertrag zwischen Telekom und Medienanstalt gelöst
werden, der Zusagen für einen Ausbau der knappen analogen Kapazitäten
mit einer Lockerung der Belegungsvorschriften verbinden würde.
Möglich wird auch eine Vermarktung des Kabels in mehreren Paketen und
zu gestaffelten Preisen, wie es bereits in einigen brandenburgischen
Kabelnetzen praktiziert wird, die nicht der Telekom gehören.

Im billigsten Grundpaket sind dann in der Regel nur fünf oder sechs
terrestrisch empfangbare Programme enthalten; mindestens einer der
attraktiven kommerziellen Sender wie RTL, Pro Sieben oder SAT 1 ist
erst im Zusatzpaket zu bekommen.  Trotzdem sind Grund- und Zusatzpaket
zusammen meist billiger als 22,50 Mark, der einheitliche Tarif der
Telekom.  Durch die Staffelung erreichen die Betreiber jedoch höhere
Anschlußquoten und verbessern damit die Wirtschaftlichkeit des Kabels.
(mr)


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