Medialist 12.97: Radio wird neusortiert

Martin Recke (mr94@prenzlnet.in-berlin.de)
4 Mar 1997 10:58:39 GMT

Medialist 12.97: Radio wird neusortiert
Hgg. von Martin Recke


        Selten waren Günther von Lojewski und Hansjürgen Rosenbauer so
        gutgelaunt auf einem gemeinsamen Podium zu sehen wie am
        vergangenen Freitag.  Die Botschaft, die sie im
        lichtdurchfluteten 14. Stock des SFB-Hochhauses zu verkünden
        hatten, war entsprechend außergewöhnlich: Künftig veranstalten
        die beiden berlin-brandenburgischen Anstalten vier
        Radioprogramme gemeinsam, ein fünftes wird aus weitgehenden
        Übernahmen vom Norddeutschen Rundfunk zusammengestellt.

        Vergleichbares ist in der elfköpfigen ARD mit ihren insgesamt
        mehr als fünfzig Hörfunkprogrammen nicht zu finden.  Der
        Hörfunk von SFB und ORB erreicht damit einen Stand, der auch
        im Falle einer Fusion kaum noch verändert werden müßte.  Zu
        sparen, das machten die beiden Intendanten unmißverständlich
        klar, ist beim Radio nichts mehr, ohne die Angebotsvielfalt im
        Äther zu kappen.

        Zur Beschleunigung der Gespräche hatte am Ende wohl auch der
        Vorstoß des ARD-Chefs Reiter beigetragen, der den SFB durch
        eine ARD-Gemeinschaftseinrichtung ersetzen möchte.  Der Mißmut
        eint zwei Intendanten, die sich bislang gern vor Publikum
        zankten.

        Der Stab liegt nun in den Händen der Macher.  Und da regt sich
        Unmut, denn die Informationspolitik der beiden Häuser hat sie
        bislang zu den in eigener Sache am schlechtesten informierten
        Zeitgenossen degradiert.  Während die Chefetagen hinter
        verschlossenen Türen konferierten, mußten die Mitarbeiter den
        Zeitungen entnehmen, was künftig aus ihren Aufgaben wird.

        Doch die Voraussetzungen für Erfolge am dicht besiedelten
        Radiohimmel sind nicht schlecht:  Die Erfinder von Radio
        Brandenburg haben das wohl lebendigste Kulturradio der
        Republik geschaffen.  Als Gründer eines "Radio Eins" bekommen
        sie erneut Gelegenheit, ihre Kreativität zu beweisen.  Auf dem
        Babelsberger Mediengelände konzentrieren sich, wenn die Pläne
        aufgehen, mit der Jugendwelle Fritz und dem neuen "Radio Eins"
        demnächst die eher quotenstarken Radios.

        An der Charlottenburger Masurenallee hingegen versammelt der
        SFB die Spartenradios der Rubriken Information, Kultur und
        Klassik.  Dies schmeckt den Mitarbeitervertretungen nicht, es
        gab aber keine Alternative dazu.  Die Standortentscheidung war
        der Preis, für den ORB-Chef Rosenbauer den Verlust von Radio
        Brandenburg hinnahm.  Und während die vielen Ostberliner
        Radiomacher des ORB klaglos täglich nach Babelsberg pendeln,
        wäre der Protest der Westberliner Redakteursriege von SFB 3
        gegen ein ähnliches Ansinnen wohl heftigst ausgefallen.  (mr)


SFB und ORB ordnen Radiowellen neu -- "Radio Eins" in Brandenburg,
"Radio Drei" in Berlin -- Kooperation mit dem NDR

Die Intendanten von SFB und ORB haben sich auf eine weitgehende
Neuordnung ihrer Radiowellen verständigt.  In einer kurzfristig
anberaumten Pressekonferenz gaben Günther von Lojewski (SFB) und
Hansjürgen Rosenbauer (ORB) am 28. Februar die Absicht bekannt, zwei
neue gemeinsame Programme einzurichten und vom NDR große Teile der
Klassikwelle NDR 3 zu übernehmen.  Die Gremien der beiden Häuser
müssen dem Vertrag, der am Freitag paraphiert wurde, noch zustimmen.

Künftig soll es neben den beiden Landeswellen Antenne Brandenburg
(ORB) und Berlin 88 8 (SFB) sowie SFB 4 Multikulti die beiden neuen
Programme "Radio Eins" und "Radio Drei" sowie die Klassikwelle geben.
Erhalten bleiben außerdem das beim ORB produzierte Jugendradio Fritz
und das beim SFB hergestellte Inforadio.  B Zwei (SFB), SFB 3 und
Radio Brandenburg werden zugunsten der neuen Programme eingestellt.
Insgesamt bleibt die Zahl der veranstalteten Programme gleich.

Das Kultur- und Informationsprogramm Radio Brandenburg des ORB soll
nach den nun verabredeten Plänen in ein neues "High Quality"-Radio für
die Altersgruppe der 25- bis 49jährigen umgewandelt werden.  Unter dem
Arbeitstitel "Radio Eins" soll die Welle den Hörern, die "etwas
ziellos" zwischen verschiedenen Angeboten wanderten, eine "neue
Hör-Heimat" bieten, so ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer.  Die beim
ORB in Potsdam-Babelsberg produzierte Welle kann dazu auch auf
Ressourcen des quotenschwachen SFB-Programms B Zwei zurückgreifen,
dessen Einstellung beschlossen wurde.

Im Gegenzug wollen die beiden Häuser die Kulturwelle SFB 3 unter dem
Arbeitstitel "Radio 3" in eine "lupenreine Hochkulturwelle"
überführen.  Die bisherige SFB 3-Mitarbeiterschaft wird um einige
ORB-Redakteure verstärkt, die bislang bei Radio Brandenburg klassische
Musiksendungen gestalteten.  Außerdem planen SFB und ORB, vom
Norddeutschen Rundfunk die Klassikwelle "NDR 3" zu übernehmen und sie
unter dem Arbeitstitel "Klassik Plus" mit regionalen Bestandteilen
anzureichern.

Als Musikfarbe von "Radio Eins" sei Rock- und Popmusik der letzten
vierzig Jahre, aber auch eine Mischung wie bei Radio Brandenburg
vorgesehen, erklärte ORB-Hörfunkdirektorin Hannelore Steer.  "Radio
Drei" soll demgegenüber mit Musik von "leichterer Klassik" und Jazz
bis zu Chanson und Weltmusik ausgestattet werden.  Den Wortanteil
dieser Welle, die auch Sendeplätze für Hörspiel und Feature haben
soll, bezifferte Steer auf 50 Prozent.  "Klassik Plus" wird eine
"große Palette" klassischer Musik bis zur Musik der Gegenwart bieten.

Die beim gemeinsamen Inforadio erstmals praktizierte wechselnde
Federführung beider Häuser wird aufgegeben.  Künftig soll jeweils das
Haus, bei dem eine gemeinsame Welle produziert wird, die Federführung
und damit das Vorschlagsrecht für die Besetzung der Wellenleitung
bekommen.  Der SFB behält demnach die Federführung bei Inforadio und
bei "Radio Drei", der ORB bei "Radio Eins" und dem Jugendradio Fritz,
das künftig "verjüngt" werden soll.

Chefredakteur von "Radio Eins" soll Helmut Lehnert werden.  Der
46jährige war bis Ende Februar Chef des Jugendradios Fritz und hat zum
1. März die Leitung von Radio Brandenburg übernommen.  Bis Ende 1992
hatte Lehnert beim SFB das damals eingestellte Radio 4 U geleitet.
Lehnerts Vorgänger bei Radio Brandenburg war Christoph Singelnstein,
der am 1. Dezember die ORB-Landeswelle Antenne Brandenburg übernahm.
Neuer Chef bei Fritz wurde am 1. März der bisherige Stellvertreter
Konrad Kuhnt (40).  Beim SFB sind noch keine Personalentscheidungen
für "Radio Drei" gefallen.

Beim volldigitalen Inforadio soll ein gemeinsames "Audio Desk"
angegliedert werden, ein digitaler Nachrichtenspeicher, der alle in
beiden Häusern und von den ARD-Korrespondenten produzierten
Wortbeiträge zur gegenseitigen Nutzung bereithält.  Für "Radio Drei"
und "Klassik Plus" will der ORB Stützfrequenzen in Brandenburg
beantragen.  Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) habe bereits
ihre Zustimmung signalisiert.  

Eine terrestrische "Vollversorgung" mit den beiden neuen Wellen strebt
der ORB nach Angaben Rosenbauers aus Kostengründen nicht mehr an.  Mit
dem ab Anfang 1998 zur Verfügung stehenden analogen Astra-Transponder
werde es möglich, die beiden zusätzlichen Radioprogramme auf den
Tonunterträgern zu verbreiten.  Abzüglich der Mehrkosten für neue
Frequenzen in Brandenburg bezifferte Intendant Rosenbauer die
Einsparungen durch die Kooperation auf rund eine Million Mark.  Die
gesparte Summe solle ins Programm fließen.

SFB-Chef Lojewski gab an, daß sein Haus "etwas mehr" als eine Million
Mark spare.  Die Kosten der neuen Programme sollen "annähernd" nach
dem Gebührenschlüssel aufgeteilt werden.  Bei den Werbeeinnahmen wird
der exakte Gebührenschlüssel zugrundegelegt, der derzeit bei 42
Prozent (ORB) und 58 Prozent (SFB) liegt.  Auf "Radio Eins" soll es in
"bescheidenem Umfang" Werbung geben, "Radio Drei" und "Klassik Plus"
sollen werbefrei sein.

Die Zustimmung des ORB-Rundfunkrats gilt als wahrscheinlich, nachdem
das Gremium am 27. Februar in nichtöffentlicher Sitzung bereits
grundsätzliche Zustimmung signalisiert hat.  Beim SFB muß der
Verwaltungsrat zustimmen.  Im Programmausschuß des Rundfunkrats wurden
die Pläne bereits kontrovers diskutiert (epd 12/97).  Als Termin für
den Neustart der Hörfunkwellen wurde die Internationale
Funkausstellung (IFA) genannt, die Ende August in Berlin beginnt.

Zehn bis sechzehn Mitarbeiter der beiden Häuser müßten im Zuge der
Umstrukturierung den Arbeitsplatz und damit das Bundesland wechseln,
erklärte ORB-Intendant Rosenbauer, der gleichzeitig betriebsbedingte
Kündigungen ausschloß.  Die geplanten Personalwechsel sind im SFB auf
Kritik gestoßen:  Als "zweiten Schritt vor dem ersten" bezeichneten
der SFB-Redakteursausschuß und die beiden Gewerkschaften die
Vereinbarungen der Intendanten.  

Eine derart umfassende Neuorganisation könne nur mit umfassender
Beteiligung der Mitarbeiter gelingen, hieß es in einer am 28. Februar
veröffentlichten Erklärung.  Dieser Erwartung sei der Intendant
bislang nicht nachgekommen.  Für den 5. März lädt der
Redakteursausschuß zu einer außerordentlichen Redakteursversammlung
ein, bei der Intendant und Hörfunkdirektor kritisch befragt werden
sollen.

Mit dem NDR gibt es bislang noch keine schriftlichen Vereinbarungen,
wie NDR-Sprecher Martin Gartzke am 3. März gegenüber epd sagte.  Die
NDR-Gremien hätten sich ebenfalls noch nicht mit den Plänen befaßt. Es
sei über eine weitgehende Übernahme von NDR 3 Einigkeit erzielt
worden, über einen Namen habe man jedoch noch nicht gesprochen, so
Gartzke.  

Der NDR-Sprecher bestätigte, daß sein Haus auch mit Radio Bremen
Verhandlungen über eine Übernahme von NDR 3 führe.  Hier sei man noch
nicht so weit wie in den Gesprächen mit SFB und ORB.  SFB und ORB
hatten seit dem Spätsommer vergangenen Jahres über eine weitgehende
Kooperation im Radiobereich verhandelt.  (mr)


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Lojewski gibt "Antwort auf Sandkastenspiele eines apokalyptischen
Reiters" -- Rosenbauer: Nicht "auf Teufel komm raus" sparen

Eine "Antwort auf die Sandkastenspiele eines apokalyptischen Reiters"
sieht SFB-Intendant Günther von Lojewski in der weitgehenden
Kooperation seines Hauses mit dem ORB, die beide Häuser am 28. Februar
bekanntgaben (siehe weitere Meldung in dieser Ausgabe).  Lojewski
spielte damit auf Interviewäußerungen des ARD-Vorsitzenden Udo Reiter
an, der die Existenz des SFB in Frage gestellt hatte (Medialist
11.97).  Er hoffe nicht, daß die nun stattfindende Debatte über eine
Strukturreform an die Existenz der ARD gehe, so Lojewski vor
Journalisten in Berlin.

Die nun beschlossenen neuen gemeinsamen Radioprogramme seien "keine
aufgezwungene Reform", sagte ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer bei
gleicher Gelegenheit, sondern eine Form der abgestimmten
Zusammenarbeit ohne Aufgabe der Selbständigkeit der beiden Häuser.
SFB und ORB seien gemeinsam so stark wie der Hessische Rundfunk,
erklärte Rosenbauer.  Ihm sei unverständlich, warum die "Gesamtregion"
Berlin-Brandenburg in den aktuellen Auseinandersetzungen um eine
ARD-Strukturreform zur Debatte stehe.  Rosenbauer lehnte es ab, "auf
Teufel komm raus" Geld zu sparen, das dann nicht für das Programm
ausgegeben werde.

Die Vorschläge des MDR-Intendanten Reiter hätten die aktuellen
Gespräche über die Hörfunkwellen "nicht wirklich beeinflußt", sagte
Rosenbauer.  Die nun beschlossene Zusammenarbeit gehe weit über alle
Vorbilder in der ARD hinaus, hob sein SFB-Kollege Lojewski hervor.  Es
werde damit für die nächsten Jahre ein "optimales
öffentlich-rechtliches" Radioangebot geben.  SFB und ORB nähmen
"frühzeitig den Trend zu Spartenprogrammen" auf, so Lojewski.

Von der Politik forderte Lojewski eine Auskunft, wie die Zukunft der
ARD-Finanzierung aussehen solle.  Er halte an der Verantwortung der
Politiker für die Struktur der ARD fest.  Lojewski wies darauf hin,
daß die Summe des Finanzausgleichs nur 0,2 Prozent des gesamten
Gebührenaufkommens ausmache.  Elf Millionen Mark, die der SFB in der
laufenden Gebührenperiode noch direkt aus dem Finanzausgleich erhalte,
entsprächen etwa der Summe, um die der SFB-Anteil an den
Leitungskosten der ARD verringert werden müßte, wenn sich die
Intendanten auf eine Neuregelung verständigten.

Beim Berliner Senat gebe es derzeit noch keine definitive Vorstellung
vom Ziel einer ARD-Strukturreform, sagte Lojewski.  Der Berliner
Regierungschef Eberhard Diepgen halte an der Existenz einer eigenen
Anstalt in Berlin fest.  Das Gespräch Lojewskis mit Diepgen und dem
ARD-Vorsitzenden Reiter am Montag habe auch gezeigt, daß die
Erwartungen Berlins an die ARD wachsen würden, je mehr die ARD in
Berlin zu sagen haben wolle.  Dies habe Diepgen in der Unterredung
deutlich gemacht, bei der er mit beiden Intendanten auch über die
geplante Mediathek am Potsdamer Platz gesprochen hatte.  (mr)


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