Medialist 12.97: Radio wird neusortiert Hgg. von Martin Recke Selten waren Günther von Lojewski und Hansjürgen Rosenbauer so gutgelaunt auf einem gemeinsamen Podium zu sehen wie am vergangenen Freitag. Die Botschaft, die sie im lichtdurchfluteten 14. Stock des SFB-Hochhauses zu verkünden hatten, war entsprechend außergewöhnlich: Künftig veranstalten die beiden berlin-brandenburgischen Anstalten vier Radioprogramme gemeinsam, ein fünftes wird aus weitgehenden Übernahmen vom Norddeutschen Rundfunk zusammengestellt. Vergleichbares ist in der elfköpfigen ARD mit ihren insgesamt mehr als fünfzig Hörfunkprogrammen nicht zu finden. Der Hörfunk von SFB und ORB erreicht damit einen Stand, der auch im Falle einer Fusion kaum noch verändert werden müßte. Zu sparen, das machten die beiden Intendanten unmißverständlich klar, ist beim Radio nichts mehr, ohne die Angebotsvielfalt im Äther zu kappen. Zur Beschleunigung der Gespräche hatte am Ende wohl auch der Vorstoß des ARD-Chefs Reiter beigetragen, der den SFB durch eine ARD-Gemeinschaftseinrichtung ersetzen möchte. Der Mißmut eint zwei Intendanten, die sich bislang gern vor Publikum zankten. Der Stab liegt nun in den Händen der Macher. Und da regt sich Unmut, denn die Informationspolitik der beiden Häuser hat sie bislang zu den in eigener Sache am schlechtesten informierten Zeitgenossen degradiert. Während die Chefetagen hinter verschlossenen Türen konferierten, mußten die Mitarbeiter den Zeitungen entnehmen, was künftig aus ihren Aufgaben wird. Doch die Voraussetzungen für Erfolge am dicht besiedelten Radiohimmel sind nicht schlecht: Die Erfinder von Radio Brandenburg haben das wohl lebendigste Kulturradio der Republik geschaffen. Als Gründer eines "Radio Eins" bekommen sie erneut Gelegenheit, ihre Kreativität zu beweisen. Auf dem Babelsberger Mediengelände konzentrieren sich, wenn die Pläne aufgehen, mit der Jugendwelle Fritz und dem neuen "Radio Eins" demnächst die eher quotenstarken Radios. An der Charlottenburger Masurenallee hingegen versammelt der SFB die Spartenradios der Rubriken Information, Kultur und Klassik. Dies schmeckt den Mitarbeitervertretungen nicht, es gab aber keine Alternative dazu. Die Standortentscheidung war der Preis, für den ORB-Chef Rosenbauer den Verlust von Radio Brandenburg hinnahm. Und während die vielen Ostberliner Radiomacher des ORB klaglos täglich nach Babelsberg pendeln, wäre der Protest der Westberliner Redakteursriege von SFB 3 gegen ein ähnliches Ansinnen wohl heftigst ausgefallen. (mr) SFB und ORB ordnen Radiowellen neu -- "Radio Eins" in Brandenburg, "Radio Drei" in Berlin -- Kooperation mit dem NDR Die Intendanten von SFB und ORB haben sich auf eine weitgehende Neuordnung ihrer Radiowellen verständigt. In einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz gaben Günther von Lojewski (SFB) und Hansjürgen Rosenbauer (ORB) am 28. Februar die Absicht bekannt, zwei neue gemeinsame Programme einzurichten und vom NDR große Teile der Klassikwelle NDR 3 zu übernehmen. Die Gremien der beiden Häuser müssen dem Vertrag, der am Freitag paraphiert wurde, noch zustimmen. Künftig soll es neben den beiden Landeswellen Antenne Brandenburg (ORB) und Berlin 88 8 (SFB) sowie SFB 4 Multikulti die beiden neuen Programme "Radio Eins" und "Radio Drei" sowie die Klassikwelle geben. Erhalten bleiben außerdem das beim ORB produzierte Jugendradio Fritz und das beim SFB hergestellte Inforadio. B Zwei (SFB), SFB 3 und Radio Brandenburg werden zugunsten der neuen Programme eingestellt. Insgesamt bleibt die Zahl der veranstalteten Programme gleich. Das Kultur- und Informationsprogramm Radio Brandenburg des ORB soll nach den nun verabredeten Plänen in ein neues "High Quality"-Radio für die Altersgruppe der 25- bis 49jährigen umgewandelt werden. Unter dem Arbeitstitel "Radio Eins" soll die Welle den Hörern, die "etwas ziellos" zwischen verschiedenen Angeboten wanderten, eine "neue Hör-Heimat" bieten, so ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer. Die beim ORB in Potsdam-Babelsberg produzierte Welle kann dazu auch auf Ressourcen des quotenschwachen SFB-Programms B Zwei zurückgreifen, dessen Einstellung beschlossen wurde. Im Gegenzug wollen die beiden Häuser die Kulturwelle SFB 3 unter dem Arbeitstitel "Radio 3" in eine "lupenreine Hochkulturwelle" überführen. Die bisherige SFB 3-Mitarbeiterschaft wird um einige ORB-Redakteure verstärkt, die bislang bei Radio Brandenburg klassische Musiksendungen gestalteten. Außerdem planen SFB und ORB, vom Norddeutschen Rundfunk die Klassikwelle "NDR 3" zu übernehmen und sie unter dem Arbeitstitel "Klassik Plus" mit regionalen Bestandteilen anzureichern. Als Musikfarbe von "Radio Eins" sei Rock- und Popmusik der letzten vierzig Jahre, aber auch eine Mischung wie bei Radio Brandenburg vorgesehen, erklärte ORB-Hörfunkdirektorin Hannelore Steer. "Radio Drei" soll demgegenüber mit Musik von "leichterer Klassik" und Jazz bis zu Chanson und Weltmusik ausgestattet werden. Den Wortanteil dieser Welle, die auch Sendeplätze für Hörspiel und Feature haben soll, bezifferte Steer auf 50 Prozent. "Klassik Plus" wird eine "große Palette" klassischer Musik bis zur Musik der Gegenwart bieten. Die beim gemeinsamen Inforadio erstmals praktizierte wechselnde Federführung beider Häuser wird aufgegeben. Künftig soll jeweils das Haus, bei dem eine gemeinsame Welle produziert wird, die Federführung und damit das Vorschlagsrecht für die Besetzung der Wellenleitung bekommen. Der SFB behält demnach die Federführung bei Inforadio und bei "Radio Drei", der ORB bei "Radio Eins" und dem Jugendradio Fritz, das künftig "verjüngt" werden soll. Chefredakteur von "Radio Eins" soll Helmut Lehnert werden. Der 46jährige war bis Ende Februar Chef des Jugendradios Fritz und hat zum 1. März die Leitung von Radio Brandenburg übernommen. Bis Ende 1992 hatte Lehnert beim SFB das damals eingestellte Radio 4 U geleitet. Lehnerts Vorgänger bei Radio Brandenburg war Christoph Singelnstein, der am 1. Dezember die ORB-Landeswelle Antenne Brandenburg übernahm. Neuer Chef bei Fritz wurde am 1. März der bisherige Stellvertreter Konrad Kuhnt (40). Beim SFB sind noch keine Personalentscheidungen für "Radio Drei" gefallen. Beim volldigitalen Inforadio soll ein gemeinsames "Audio Desk" angegliedert werden, ein digitaler Nachrichtenspeicher, der alle in beiden Häusern und von den ARD-Korrespondenten produzierten Wortbeiträge zur gegenseitigen Nutzung bereithält. Für "Radio Drei" und "Klassik Plus" will der ORB Stützfrequenzen in Brandenburg beantragen. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) habe bereits ihre Zustimmung signalisiert. Eine terrestrische "Vollversorgung" mit den beiden neuen Wellen strebt der ORB nach Angaben Rosenbauers aus Kostengründen nicht mehr an. Mit dem ab Anfang 1998 zur Verfügung stehenden analogen Astra-Transponder werde es möglich, die beiden zusätzlichen Radioprogramme auf den Tonunterträgern zu verbreiten. Abzüglich der Mehrkosten für neue Frequenzen in Brandenburg bezifferte Intendant Rosenbauer die Einsparungen durch die Kooperation auf rund eine Million Mark. Die gesparte Summe solle ins Programm fließen. SFB-Chef Lojewski gab an, daß sein Haus "etwas mehr" als eine Million Mark spare. Die Kosten der neuen Programme sollen "annähernd" nach dem Gebührenschlüssel aufgeteilt werden. Bei den Werbeeinnahmen wird der exakte Gebührenschlüssel zugrundegelegt, der derzeit bei 42 Prozent (ORB) und 58 Prozent (SFB) liegt. Auf "Radio Eins" soll es in "bescheidenem Umfang" Werbung geben, "Radio Drei" und "Klassik Plus" sollen werbefrei sein. Die Zustimmung des ORB-Rundfunkrats gilt als wahrscheinlich, nachdem das Gremium am 27. Februar in nichtöffentlicher Sitzung bereits grundsätzliche Zustimmung signalisiert hat. Beim SFB muß der Verwaltungsrat zustimmen. Im Programmausschuß des Rundfunkrats wurden die Pläne bereits kontrovers diskutiert (epd 12/97). Als Termin für den Neustart der Hörfunkwellen wurde die Internationale Funkausstellung (IFA) genannt, die Ende August in Berlin beginnt. Zehn bis sechzehn Mitarbeiter der beiden Häuser müßten im Zuge der Umstrukturierung den Arbeitsplatz und damit das Bundesland wechseln, erklärte ORB-Intendant Rosenbauer, der gleichzeitig betriebsbedingte Kündigungen ausschloß. Die geplanten Personalwechsel sind im SFB auf Kritik gestoßen: Als "zweiten Schritt vor dem ersten" bezeichneten der SFB-Redakteursausschuß und die beiden Gewerkschaften die Vereinbarungen der Intendanten. Eine derart umfassende Neuorganisation könne nur mit umfassender Beteiligung der Mitarbeiter gelingen, hieß es in einer am 28. Februar veröffentlichten Erklärung. Dieser Erwartung sei der Intendant bislang nicht nachgekommen. Für den 5. März lädt der Redakteursausschuß zu einer außerordentlichen Redakteursversammlung ein, bei der Intendant und Hörfunkdirektor kritisch befragt werden sollen. Mit dem NDR gibt es bislang noch keine schriftlichen Vereinbarungen, wie NDR-Sprecher Martin Gartzke am 3. März gegenüber epd sagte. Die NDR-Gremien hätten sich ebenfalls noch nicht mit den Plänen befaßt. Es sei über eine weitgehende Übernahme von NDR 3 Einigkeit erzielt worden, über einen Namen habe man jedoch noch nicht gesprochen, so Gartzke. Der NDR-Sprecher bestätigte, daß sein Haus auch mit Radio Bremen Verhandlungen über eine Übernahme von NDR 3 führe. Hier sei man noch nicht so weit wie in den Gesprächen mit SFB und ORB. SFB und ORB hatten seit dem Spätsommer vergangenen Jahres über eine weitgehende Kooperation im Radiobereich verhandelt. (mr) --------------------- Lojewski gibt "Antwort auf Sandkastenspiele eines apokalyptischen Reiters" -- Rosenbauer: Nicht "auf Teufel komm raus" sparen Eine "Antwort auf die Sandkastenspiele eines apokalyptischen Reiters" sieht SFB-Intendant Günther von Lojewski in der weitgehenden Kooperation seines Hauses mit dem ORB, die beide Häuser am 28. Februar bekanntgaben (siehe weitere Meldung in dieser Ausgabe). Lojewski spielte damit auf Interviewäußerungen des ARD-Vorsitzenden Udo Reiter an, der die Existenz des SFB in Frage gestellt hatte (Medialist 11.97). Er hoffe nicht, daß die nun stattfindende Debatte über eine Strukturreform an die Existenz der ARD gehe, so Lojewski vor Journalisten in Berlin. Die nun beschlossenen neuen gemeinsamen Radioprogramme seien "keine aufgezwungene Reform", sagte ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer bei gleicher Gelegenheit, sondern eine Form der abgestimmten Zusammenarbeit ohne Aufgabe der Selbständigkeit der beiden Häuser. SFB und ORB seien gemeinsam so stark wie der Hessische Rundfunk, erklärte Rosenbauer. Ihm sei unverständlich, warum die "Gesamtregion" Berlin-Brandenburg in den aktuellen Auseinandersetzungen um eine ARD-Strukturreform zur Debatte stehe. Rosenbauer lehnte es ab, "auf Teufel komm raus" Geld zu sparen, das dann nicht für das Programm ausgegeben werde. Die Vorschläge des MDR-Intendanten Reiter hätten die aktuellen Gespräche über die Hörfunkwellen "nicht wirklich beeinflußt", sagte Rosenbauer. Die nun beschlossene Zusammenarbeit gehe weit über alle Vorbilder in der ARD hinaus, hob sein SFB-Kollege Lojewski hervor. Es werde damit für die nächsten Jahre ein "optimales öffentlich-rechtliches" Radioangebot geben. SFB und ORB nähmen "frühzeitig den Trend zu Spartenprogrammen" auf, so Lojewski. Von der Politik forderte Lojewski eine Auskunft, wie die Zukunft der ARD-Finanzierung aussehen solle. Er halte an der Verantwortung der Politiker für die Struktur der ARD fest. Lojewski wies darauf hin, daß die Summe des Finanzausgleichs nur 0,2 Prozent des gesamten Gebührenaufkommens ausmache. Elf Millionen Mark, die der SFB in der laufenden Gebührenperiode noch direkt aus dem Finanzausgleich erhalte, entsprächen etwa der Summe, um die der SFB-Anteil an den Leitungskosten der ARD verringert werden müßte, wenn sich die Intendanten auf eine Neuregelung verständigten. Beim Berliner Senat gebe es derzeit noch keine definitive Vorstellung vom Ziel einer ARD-Strukturreform, sagte Lojewski. Der Berliner Regierungschef Eberhard Diepgen halte an der Existenz einer eigenen Anstalt in Berlin fest. Das Gespräch Lojewskis mit Diepgen und dem ARD-Vorsitzenden Reiter am Montag habe auch gezeigt, daß die Erwartungen Berlins an die ARD wachsen würden, je mehr die ARD in Berlin zu sagen haben wolle. Dies habe Diepgen in der Unterredung deutlich gemacht, bei der er mit beiden Intendanten auch über die geplante Mediathek am Potsdamer Platz gesprochen hatte. (mr) -- The Medialist distributes various news about media topics. It's in German. Die Medienliste verbreitet diverse Medienmeldungen mit dem Schwerpunkt Berlin. Sie erscheint in den Newsgroups de.soc.medien, bln.medien und prenzlnet.medien sowie auf http://userpage.fu-berlin.de/~mr94/medialist/. Die Liste ist moderiert. Beitraege nimmt Martin Recke <mr94@prenzlnet.in-berlin.de> entgegen. Um die Medienliste per Mail zu beziehen, genuegt eine Mail an <medialist-request@prenzlnet.in-berlin.de> mit SUBSCRIBE im Body. 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