Medialist 11.97: Reiters Reformideen

Martin Recke (mr94@prenzlnet.in-berlin.de)
27 Feb 1997 08:34:43 GMT

Medialist 11.97: Reiters Reformideen
Hgg. von Martin Recke


Reiters Reformideen -- Vom Hauptstadtstudio zum Hauptstadtsender / Von
Martin Recke

Udo Reiter spielt den Buhmann.  Der MDR-Chef spricht offen aus, was
viele in der ARD denken: Den Finanzausgleich, mit dem die großen
ARD-Anstalten die kleineren Sender in Bremen, im Saarland und in
Berlin unterstützten, wird es "mit hoher Wahrscheinlichkeit" nach dem
Jahr 2000 nicht mehr geben, meint Reiter.  Und macht sich auf diese
Weise nicht nur Freunde.

Denn schon diese Feststellung ist umstritten:  Reiter führt damit  --
wohl nicht ohne Rückendeckung aus Dresden -- den gleichen Hebel, an
dem die Länderchefs Kurt Biedenkopf (CDU) in Sachsen und Edmund
Stoiber (CSU) in Bayern sitzen.  Die beiden Konservativen wollen so
eine Strukturreform der ARD erzwingen.  Dies trifft vor allem auf den
Widerstand der beiden SPD-geführten Regierungen in Bremen und im
Saarland, die ihre Sender gern behalten würden.

Für noch mehr Brisanz sorgen die begehrlichen Blicke, die der
ARD-Vorsitzende Reiter auf Berlin, das hier geplante Hauptstadtstudio
der ARD und den Sender Freies Berlin (SFB) richtet.  SFB und WDR bauen
zur Zeit das neue Studio am Spreeufer, aus dem ab Frühjahr 1999 alle
ARD-Anstalten gemeinsam vom Regierungssitz berichten wollen.  Im
Focus-Interview schlug Reiter nun vor, nicht nur das Hauptstadtstudio,
sondern auch gleich den ganzen SFB zur ARD-Gemeinschaftseinrichtung zu
machen.

Die Interessen der Stadt Berlin, so Reiter vage, müßten in dieser
Konstruktion "gebührende Berücksichtigung" finden.  Dazu solle es ein
Aufsichtsgremium geben, in dem die ARD und Berlin "angemessen
vertreten" sind.  SFB-Chef Günther von Lojewski bringen die
Reiter-Planspiele in Bedrängnis.  

Er forderte bislang, bei der nächsten Gebührenrunde
"anstaltsindividuelle Elemente" zu berücksichtigen.  Damit käme seine
Anstalt, so die Rechnung, besser weg als derzeit.  Denn die
Gebührenkommission KEF honoriert zwar die Sparbemühungen des Hauses
Lojewski, das bewilligte Geld aber fließt allen ARD-Sendern
gleichmäßig zu.  

Nach dem Vorstoß Reiters fürchtet der SFB-Chef nun den "Einmarsch
Dritter" nach Berlin und wirft seinem Leipziger Kollegen vor, den
Stand der internen Debatte einseitig wiederzugeben.  Am
Theodor-Heuss-Platz ist man auch deshalb verstimmt, weil die
Intendanten bei ihrer Runde Anfang Februar in Leipzig Stillschweigen
verabredet hatten.  

Mit seiner Interviewpolitik ist es Reiter gelungen, das Thema auf die
Tagesordnung zu setzen: Als Reiter und Lojewski am Montag mit dem
Regierenden Bürgermeister Diepgen zusammentrafen, befaßte die Runde,
die eigentlich der am Potsdamer Platz geplanten Mediathek gewidmet
war, sich notgedrungen nun auch mit der ARD-Reformdebatte.

Beim Berliner Senat stoßen die Pläne des amtierenden ARD-Chefs auf
gedämpfte Zustimmung: Senatssprecher Michael-Andreas Butz will den
Vorschlag "diskutieren".  Berlin müsse aber das letzte Wort bei diesem
Sender haben, so seine Forderung.  Die Berliner Politik liebäugelt
schon länger mit einer Lösung, die über eine mögliche Fusion mit dem
kleinen Nachbarsender ORB hinausgeht.  

Die Debatte läßt auch den ORB nicht mehr kalt.  ORB-Intendant
Hansjürgen Rosenbauer verspürt zwar, wie er sagte, bis dato keinen
Druck auf seinen Sender.  Für den Fall jedoch, daß sich in der ARD
eine Mehrheit durchsetzen sollte, die kleine Anstalten als Behinderung
empfinde, drohte Rosenbauer am Dienstag vorsorglich schon mal mit dem
Abschied von der ARD:  "Wenn es sich nach den Vorstellungen Reiters
durchsetzt, daß kleine Anstalten nicht mehr dasselbe Stimmrecht in der
ARD hätten, oder wenn man den ORB zwingen wollte zu fusionieren, dann
würde ich auch einen Ausstieg aus der ARD in Erwägung ziehen müssen."

Damit kritisierte der ORB-Chef auch den Berliner Senatssprecher, der
alternativ zum Reiter-Vorschlag eine Fusion von SFB und ORB mit dem
MDR in Erwägung zieht.  Der Hamburger NDR, dessen Fühler auch schon
bis nach Berlin reichen, sei nämlich selbst "stark und
überlebensfähig" und zudem, meinte Butz, womöglich hinreichend damit
beschäftigt, den ebenfalls schwachen Sender in Bremen aufzunehmen.

Bei Radio Bremen ist unterdessen offener Streit um einen Vorschlag von
Programmdirektor Rüdiger Hoffmann ausgebrochen.  Hoffmann will den
Produktionsapparat seines Hauses privatisieren und als
Dienstleistungsunternehmen für die gesamte ARD etablieren.  Statt
Finanzausgleich käme seinem Haus dann ein garantierter Jahresumsatz
zugute.  Hoffmanns Vorgesetzte haben der unkonventionellen Idee
bereits eine schnelle Absage erteilt.

Mit dem Hauptstadtsender-Plan Reiters hat sie jedoch eines gemeinsam:
das Ziel, auch ohne Finanzausgleich Geld dorthin fließen zu lassen, wo
es dringend gebraucht wird.  Anders als der SFB, der zur Not, wenn
auch arg gerupft, allein mit Berliner Gebührengeldern zurechtkäme,
müßten Radio Bremen wie auch der Saarländische Rundfunk sofort
schließen, wenn die Gelder ausblieben.

Trotzdem bleiben das Saarland und sein Landessender bei den laufenden
Verhandlungen im Südwesten außen vor.  Rheinland-Pfalz und
Baden-Württemberg wollen den Baden-Badener Südwestfunk (SWF) und den
Stuttgarter Süddeutschen Rundfunk (SDR) fusionieren.  Die neue Anstalt
würde nach WDR und NDR das drittgrößte Haus innerhalb der ARD.  Am
Freitag dieser Woche wollen sich die Ministerpräsidenten beider Länder
in Stuttgart treffen und versuchen, die letzten offenen Fragen zu
klären.  Stuttgart gilt auch als designierter Sitz der neuen Anstalt.


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Berlin: Medienrat will VoA-Kooperation mit lokalem Radio -- Jazz-Radio
soll auf 101,9 MHz bleiben

Die Voice of America (VoA) soll weiterhin in Berlin auf UKW zu hören
sein.  Der MABB-Medienrat sprach sich am 22. Februar für ein
Kooperationsmodell mit einem lokalen Veranstalter aus.  Möglich sei
auch die Zulieferung lokaler Inhalte unter Verantwortung von VoA.  VoA
sendet nach dem Ende von Radio Charlie derzeit 23 Stunden täglich auf
der Frequenz 87,9 MHz, eine Stunde füllt das Uniradio
Berlin-Brandenburg.

Das Gremium gab VoA den Auftrag, das Kooperationsmodell zu
konkretisieren.  In Frage kämen nach dem Ergebnis der Anhörung am
21. Februar "in erster Linie" die German American Radio GmbH ("Welcome
Radio 87,9") und die Radio M GmbH ("Radio Merci"), hieß es in einer
MABB-Mitteilung vom 22. Februar.  An der Trägergesellschaft des
geplanten "Radio Merci" ist der Süddeutsche Verlag als
Hauptgesellschafter beteiligt (Medialist 8.97).

Für die ebenfalls ausgeschriebene Frequenz 101,9 MHz nahm der
Medienrat das dort bereits sendende Jazz Radio in Aussicht.  Jazz
Radio will die "Venture Capital"-Firma Alta Berkeley Associates und
Julian B. Allitt mit insgesamt 49 Prozent beteiligen, um die
wirtschaftliche Basis zu verbreitern.  Die Firma Euro-Jazz der
Jazz-Radio-Gründerin Wilma Steyling solle "mittelbar" 51 Prozent der
Anteile behalten, so die MABB-Erklärung.

Der Medienrat hatte im vergangenen Jahr die Frequenz 101,9 MHz ohne
Auswahlverfahren probeweise an Jazz-Radio vergeben, das damals bereits
auf Mittelwelle in Berlin zu hören war.  Die endgültige Entscheidung
über die Lizenz für Jazz-Radio soll am 21.  April fallen.  In dieser
Sitzung will der Medienrat auch über den Stand der Verhandlungen
lokaler Partner mit der VoA beraten.  (mr)


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