Arbeitstitel: Decoderstreit und Berliner Pilotprojekt: "Jeder redet mit jedem" - Versuche mit beiden Decodern?


(epd) Die Vebacom will beim Berliner Pilotprojekt ab Ende April die "d-box" aus dem Hause Kirch einsetzen. Dies bestätigte Dietmar Schickel von der Berliner Vebacom-Tochter Tele Columbus am 15. März gegenüber epd. Unklar ist hingegen, ob Premiere an der im Februar erklärten Absicht festhalten will, in Berlin wie auch bei anderen Testprojekten die "media-box" zu verwenden, auf die sich die Multimedia-Betriebsgesellschaft (MMBG) verständigt hat (Kifu 14/96). Von Premiere war dazu bis Redaktionsschluß keine Stellungnahme zu erhalten.

Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hat bislang noch keine Kanäle für die Versuchsprojekte vergeben. Entsprechende Presseberichte dementierte MABB-Sprecherin Susanne Grams am 15. März auf epd-Anfrage. Erst in der nächsten Medienrats-Sitzung werde über die Kanalverteilung entschieden. MABB-Mitarbeitern Carmen Jentzsch stellte klar, daß sich die Vebacom zunächst mit der Kabelnetzbetreiberin Telekom über den digitalen Betrieb verständigen müsse. Der Medienrat hatte für diese Abstimmungen am 1. März eine Frist bis zum 25. März gesetzt (Kifu 18/96). Sie hielt es für möglich, daß Premiere sich in Berlin am Vebacom-Versuch mit der "d-box" beteiligen könnte, während beispielsweise in Hamburg die "media-box" zum Einsatz käme.

Der Berliner Versuch soll vorwiegend dem Test der Digital-Decoder ("Set-Top-Boxen") dienen. Sofern beide Decoder zum Einsatz kämen, soll damit auch erprobt werden, die Angebote der jeweils anderen Unternehmen zu übertragen. Die Vebacom und ihr Berliner Partner EMG wollen Ende April mit zunächst 100 Testhaushalten starten. Bereits für den Spätsommer plant die Vebacom die Markteinführung des digitalen Fernsehens. Im Weihnachtsgeschäft will das Unternehmen 10.000 Decoder zu einem Preis zwischen 1.000 und 1.500 Mark verkaufen.

Die MABB hält an ihrem Ziel fest, nur ein digitales Decoder-System in Berlin einzuführen. "Wir können den Decoderstreit aber nicht entscheiden", so Carmen Jentzsch gegenüber epd. Auch das Konzept der Vebacom sieht vor, daß die gesamte digitale Kapazität an einen digitalen Dienstleister vergeben wird. Vorgeschlagen wird, die Gesamt-Bandbreite von 15 Kanälen mit jeweils 38 MBit/s in vier Blöcke für frei empfangbare Programme, Bezahlfernsehen ("Pay-per-View" und "Pay-per-Channel"), zeitversetzte Parallelausstrahlung ("Near Video-on-Demand") und andere Dienste aufzuteilen. Mit der Zuweisung an einen Dienstleister soll auch die Doppeleinspeisung gleicher Programme ins Kabelnetz vermieden werden.

Gegenstand des Decoderstreits ist im wesentlichen die Kontrolle über das Zugangskontrollsystem ("Conditional Access"). Das Vebacom-Konzept sieht vor, bereits verschlüsselt herangeführte Programme zu entschlüsseln und mit dem in Berlin verwendeten System einheitlich neu zu codieren. Ob die anderen Bewerber für digitale Angebote in Berlin - Premiere, SFB und ORB, ZDF und DMX - auf dieses Angebot eingehen, ist zur Zeit noch unklar. "Jeder redet mit jedem", erklärte dazu Dietmar Schickel (Vebacom) gegenüber epd. Im Januar hatte der MABB-Medienrat die versuchsweise Vergabe jeweils eines Kanals an Vebacom, Telekom, Kirch, Premiere und CLT in Aussicht genommen (Kifu 8/96).

Hans Bismark, der Leiter der SFB-Intendanz, berief sich gegenüber epd am 15. März auf das vom Medienrat verfolgte Prinzip des diskriminierungsfreien Zugangs. Die vom Medienrat für das digitale Fernsehen ausgewählten Veranstalter müßten demnach auf jeden Fall Zugang zum Kabelnetz erhalten. Für den SFB stelle sich dabei das Decoder-Problem nicht, da er selbst keine digitalen Dienstleistungen erbringen wolle. Wenn der Medienrat einen digitalen Dienstleister für das Kabelnetz auswähle, dann würde sich der Sender an ihn wenden. Der SFB plant zeitversetzes Digital-Fernsehen auf vier Kanälen ("near video-on-demand"). Dort sollen Informationssendungen, regionale Talksendungen, Bildungsprogramme und Dokumentationen und ein "Serviceblock" jeweils zeitversetzt ausgestrahlt werden. (mr)


Martin Recke <mr94@zedat.fu-berlin.de>