Patientengeschichte

Trotz Tumor - nach acht Tagen wieder zuhause


"Auf dem Weg ins Krankenhaus habe ich meiner Frau gesagt, sie soll am Friedhof halten. Ich wollte mir schon mal meine Grabstelle aussuchen. Ich habe wirklich nicht geglaubt, daß ich da noch mal raus komme." Sehr aufrecht sitzt Hermann Schlenz* in se inem Rollstuhl, die großen Hände liegen ruhig auf den Oberschenkeln. Sein Gesicht, leicht gerötet und von vielen, feinen Äderchen durchzogen, strahlt Gelassenheit aus. Abwechselnd erzählen er und seine Frau Gerda, seit 56 Jahren ein Ehepaar , die Geschichte seiner Leiden.

Mit Atemnot, schwersten Durchfällen, geschwollenen Beinen und Füssen und bis auf die Knochen abgemagert, brachte die Ehefrau ihn im Dezember 1991 ins Klinikum Benjamin Franklin. Gerda Schlenz: ,Zuhause ging es nicht mehr, ich habe wochenlang versucht, die schrecklichen Durchfälle in den Griff zu bekommen, aber es ging ihm immer schlechter. Alles was er gegessen hat, lief innerhalb von einer Viertelstunde durch. Er selbst hatte überhaupt kein Interesse mehr an irgendetwas."

Die Untersuchungen im Krankenhaus ergeben, daß Hermann Schlenz an einer seltenen Krebserkrankung leidet, dem sogenannten neuroendokrinen Tumor, der sich im Bereich von Magen und Darm ansiedelt und im Vergleich zu anderen Krebsarten nur langsam wäc hst, selten Metastasen bildet und gut zu behandeln ist. Tatsächlich fühlte sich Hermann Schlenz schon am nächsten Tag deutlich besser. ,Es war wie ein Wunder, das Essen schmeckte mir wieder und schon nach acht Tagen durfte ich nach Hause", erinnert sich der gelernte Zimmermann.


Wundermittel Somatostatin

Das Wundermittel, das diese rasante Besserung ermöglichte, heißt Somatostatin. ,Das ist ein körpereigenes Hormon, das den Patienten in sehr hohen Dosen gespritzt wird und das Wachstum des Tumors hemmt." Professor Dr. Bertram Wiedenmann, Obera rzt in der Abteilung für Gastroentorologie (Magen-Darm-Erkrankungen), betreut den heute 87jährigen seit seiner ersten Aufnahme im Klinikum. Er gibt zu, daß die Geschwindigkeit, mit der sich das Befinden dieses Patienten verbesserte, auch die beh andelnden Ärzte überraschte. Allerdings war die Therapie ziemlich aufwendig, denn endokrine Tumoren bewirken auch Veränderungen am rechten Herzen. ,Wir mußten die Herzfunktion stützen, was hier schwieriger war, weil Herr Schlenz schon vorhe r eine Herzerkrankung hatte. Außerdem war das ganze System total durcheinander geraten. Problematisch war, daß Flüssigkeit aus den Lungen heraus mußte, gleichzeitig sollte sie aber auch im Körper bleiben."

Zu den klassischen Anzeichen für einen neuroendokrinen Tumor gehört - neben den Symptomen, die Hermann Schlenz hatte, als er in die Klinik eingeliefert wurde - der sogenannte Flush. ,Dabei färbt sich plötzlich das Gesicht rot, und es bilden sich Äderchen um die Nase." Prof. Wiedenmann erklärt, daß dieser Flush meistens in Verbindung mit Alkoholgenuß auftritt. Denn Alkohol wirkt als Auslöser auf die Tumorzellen, die dann die Rotfärbung und die schweren Durchfälle verursachen. Seitdem er von seiner Erkrankung weiß, ist Hermann Schlenz deshalb auf Malzbier und Säfte umgestiegen.


Umstieg auf Malzbier und Saft

Ohne das Somatostatin kann er heute nicht mehr leben. Úhnlich wie bei der Zuckerkrankheit, braucht sein Körper jeden Tag eine bestimmte Menge dieses Hormons. Da seine Frau, die ihn sonst rund um die Uhr betreut, das Spritzen nicht mehr lernen woll te, bekommt er alle zehn bis vierzehn Tage eine Depotspritze von seiner Hausärztin.

Vor neun Monaten stürzte Hermann Schlenz schwer, brach sich den Oberschenkelhals und bekam im Krankenhaus eine Lungenentzündung. Auch sein Flüssigkeitshaushalt geriet wieder völlig durcheinander. Aber selbst diese äußerst kritische Situation überstand der alte Herr mit viel Geduld und großer Entschlossenheit. Und heute ist er ganz zufrieden mit sich: Zwar muß er seit dem Unfall die meiste Zeit im Rollstuhl sitzen, aber um seine geliebten Brieftauben selbst zu versorgen, schleppt er sich immer noch einmal am Tag eine Treppe hinunter.

Betina Meißner

*)Name von der Redaktion geändert


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