Planungssicherheit ist das A und O erfolgreicher Unternehmensführung. Für die Führungsetagen der Berliner Universitätskliniken ist dieser Begriff in den letzten Jahren allerdings zu einem Fremdwort geworden. Jüngstes Beispiel: Am 21. Juni, kurz bevor die Abgeordneten in die Sommerfrische strömten, faßte der Hauptausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses den lapidaren und nicht näher detaillierten Beschluß, die Universitätskliniken bis zum Jahre 2003 95 Mio. Mark einsparen zu lassen.
Die Wellen der Empörung erreichten im Universitätsklinikum Benjamin Franklin am 12. Juli ihren vorläufigen Höhepunkt mit einer Protestveranstaltung. "Wir sind am Ende unserer Fahnenstange", erklärte Verwaltungsdirektor Helmut Schüttig in ungewohnter Schärfe vor etwa 630 im Hörsaal West versammelten Mitarbeitern. Schüttig resümierte den bisherigen Aderlaß: 47 Mio. Mark sparte das Haus bereits von 1991 bis 1994 ein. "Wir alleine erbringen eineinhalb Schiller-Theater", veranschaulichte er die horrenden Zahlen. "Andere Krankenhäuser zerbrechen sich nur über das Gesundheitsstrukturgesetz den Kopf", empörte er sich angesichts der nicht enden wollenden Struktur- und Etatveränderungen im Zuge der Neuordnung der Hochschulmedizin - mit Stichworten wie Bettenabbau, Reduktion der Studentenzahlen und Formierung des Fachbereichs Humanmedizin. Besonders heftigen Anstoß nahm der Verwaltungsdirektor daran, daß sich die Kliniken bis 15.8. über die Aufteilung der Sparauflagen einigen sollten. Er forderte kompromißlos die Rücknahme des Beschlusses.
Auch der Dekan des Fachbereichs Humanmedizin, Prof. Dr. Peter Gaehtgens, störte sich an den Praktiken der Politiker und nannte die seit fünf Jahren währende Strukturdebatte ein Strukturchaos, gefolgt von einer "Haushaltsdebatte, die ein Haushaltschaos ist". Als Dekan sehe er von den Sparzwängen in erster Linie die durch Zeitverträge an den Fachbereich gebundenen Tutoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter - die "quantitativ die Lehre tragen" - betroffen. Gaehtgens übernahm es, dem Auditorium mit 475 Mio. Mark die wirkliche Höhe der Sparauflagen von 1995 bis 2003 zu beziffern. Sie entstehe durch die kontinuierliche Absenkung der Zuschüsse für alle Kliniken ab 1995, so daß der Zuschuß für das Jahr 2003 schließlich um 95 Mio. Mark gemindert sei. Prof. Gaehtgens appellierte an die Politiker: "Wir wollen auf eine Weise schrumpfen, die die Struktur- und Leistungsfähigkeit dieses Unternehmens nicht in einer Weise gefährdet, daß man dann darüber debattieren kann, ob der Rest sich noch lohnt."
Der Personalratsvorsitzende Dietmar Polok äußerte die Vermutung, im nächsten Jahr einem Finanzrisiko von 25 Mio. Mark gegenüberzustehen, eine Zahl, mit der man "einen Betrieb nur an die Wand fahren" könne. Er räumte ein: "Vielleicht haben wir auch als Beschäftigte zu lange die Klappe gehalten." Motto angesichts des drohenden Einstellungsstops zum 1.10. werde sein müssen: "Massive Leistungsverdichtung bei gleichzeitiger Reduzierung" der Mitarbeiter, also auch deren konsequente Umsetzung.
Die Pflegedienstleiterin für die Polikliniken, Christine Mogwitz, konkretisierte Umsetzungmaßnahmen ihres Personals in den stationären Bereich am Beispiel der möglichen Schließung der Polikliniken an jedem Mittwoch. Sie warnte vor einem um sich greifenden Motivationsverlust. Daß die Stimmung sich auch bei den Studenten einem Tiefpunkt nähere, veranschaulichte die Studentenvertreterin Katja Klugewitz auf sinnbildliche und witzige Weise. Sie trug ein T-shirt mit dem Schriftzug Freie Universität Berlin und beklagte, daß zwar Berlin gut zu lesen, der Rest jedoch nur noch verschwommen wahrnehmbar wäre. Sie forderte die "phantasielosen Beamten" auf, mit dem Bildungssystem der Hauptstadt nicht ähnlich zu verfahren wie mit Christo und nannte als Beispiele die Reduzierung der Studienanfänger von 600 auf 200, die Reduzierung der Gruppengrößen bei Patientendemonstrationen und die Bafög-Novelle.
60 Politiker waren laut Prof. Dr. Henning Rüden geladen, der als stellvertretender Ärztlicher Direktor die Veranstaltung moderierte. Eine Handvoll kam - und einer antwortete auf die stakkatoartig von Rüden vorgetragenen Fragen: Dr. Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion, der sich daraufhin scherzhaft als die "Inkarnation des Politikers" sah. "Die Universitätsmedizin hat keine Lobby mehr im Parlament", konstatierte Köppl. Er kritisierte das Desinteresse der Wissenschaftspolitiker - "der Senator hat kein Standing für seine eigenen Einrichtungen" - und die dadurch gestärkte Position der Finanzpolitiker, warf den Verantwortlichen in der Universitätsmedizin aber auch vor, sich durch mangelnde Angebote aus der Medizin heraus "selbst ein Stück weit in die Falle manövriert zu haben". Auf Rüdens Frage, was für eine Politik er ab dem 23. Oktober denn im Falle eines rot-grünen Senats als möglicher Wissenschaftssenator einschlagen würde, versprach Köppl "Rahmenbedingungen, nach denen man sich orientieren kann".
Die Veranstaltung endete mit der Aufforderung Prof. Rüdens an alle Mitarbeiter, die vorbereitete Resolution und die rote Karte an die Parlamentspräsidentin Dr. Hanna-Renate Laurien zu unterzeichnen. Beides fordert die Aufhebung des Sparbeschlusses. Für Heiterkeit sorgte Rüden mit der Anmerkung, die rote Karte nicht mit der Klinikumspost an das Abgeordnetenhaus zu schicken.