Wenn die Herzklappe ermüdet


Die Herzklappen sind die am stärksten beanspruchten Funktionsteile des Körpers: 70 mal pro Minute und 2,5 Milliarden mal in einem 70jährigen Leben müssen sie sich öffnen und schließen. "So ist es nicht verwunderlich, daß mit zunehmendem Lebensalter Verschleißerscheinungen der Herzklappen auftreten und sie ihre Funktion nicht mehr oder nicht vollständig erfüllen können. Mit der zunehmenden Lebenserwartung hat die Zahl der Patienten, bei denen Herzklappenfehler auftreten, deutlich zugenommen", erklärt Privatdozent Dr. Dieter Horstkotte, Herzklappenspezialist und Kardiologe am Universitätsklinikum Benjamin Franklin dazu.

Die vier Herzklappen steuern wie die Ventile einer Doppelpumpe die ein- und austretende Blutströmung des Herzens. Sie regeln den Blutstrom durch Druckbarrieren: zum einen durch aktive Segelklappen zwischen Vorhof und Herzkammern, zum anderen durch passive Taschenklappen am Beginn der Aorta und der Lunge. Sie helfen beim Aufbau des Drucks durch die Herzkammer. Andererseits verhindern sie in bestimmten Funktionsabschntten ein Zurückströmen des Blutes.

Meist beginnt die passive Aortenklappe nach 60 bis 75 Jahren zu ermüden. Bei 3-4% aller Menschen ist der Herzklappenfehler angeboren. Symptome treten dann aber erst im fünften Lebensjahrzehnt auf. "Jedes Symptom, das auf einen Herzklappenfehl er hinweist: Luftnot, Rhythmusstörungen, ist ernst zu nehmen", mahnt Horstkotte. Zwar sei die Auskultation, das Abhorchen der Herzgeräusche, ein einfaches Mittel zur Feststellung einer Unregelmäßigkeit. Doch müsse beachtet werden, "daß eine leichte Aortenstenose viel eher zu hören ist, als eine schwere". Zur genauen Einschätzung sind komplexe Untersuchungen, vor allem unter Belastung, erforderlich. Hier ist die Diagnostik durchaus erweiterungsbedürftig, beispielsweise um Berechnungen zum Herzklappen-Widerstand.

In der Diagnostik gilt es vor allem, den bestmöglichen Zeitpunkt für eine Therapie zu erfassen. Er liegt dort, wo die Herzmuskulatur noch nicht als Folge einer nachlassenden Klappenfunktion überstrapaziert und dauerhaft geschädigt i st.

Vom Verschleiß bedroht sind alle vier Klappen. Wegen ihrer komplexen Mechanik wird die aktive Mitralklappe - sie ist an Papillarmuskeln aufgehängt - besonders leicht geschädigt und heute wenn möglich vom Chirurgen repariert. Die Aortenkl appe kann dagegen meist vollständig durch eine Prothese ersetzt werden. Seit Mitte der 60er Jahre werden entsprechende Kunstklappen in Deutschland eingepflanzt; pro Jahr bei derzeit rund 10.000 Patienten, Tendenz steigend. In den neuen Bundeslän dern besteht ein Nachholbedarf. Dabei "ist das Operationsrisiko für einen 70jährigen Patienten kaum höher als für einen zwanzigjährigen", versichert Dr. Horstkottte.

Je nach Indikation stehen drei Herzklappenmodelle zur Auswahl: Leichenklappen (Homografts), Herzklappen vom Rind oder Schwein - aus Biomaterial also - und mechanische Klappen aus Kunststoff bzw. Metall. Letzteren geben die Kardiologen vom Franklin-Klin ikum "eindeutig" den Vorzug, es sei denn der Patient ist 75 oder älter. Nachteil: Die künstliche Oberfläche aktiviert das Blutgerinnungssystem. Das macht die Einnahme von Blutverdünnungsmitteln erforderlich.

Dem Risiko von Blutungen - etwa durch Schlaganfall, Nierenblutung usw. - kann jetzt allerdings durch optimiertes 'Therapie-Management' begegnet werden. Grund: ein Gerät, das dem Patienten erlaubt, seine Blutgerinnung, den sogenannten Quick-Wert, s elber zu messen. Plötzliche und gefährliche Blutverdünnung, etwa nach 'feuchtfröhlichen Festen', kann damit sofort festgestellt werden. Die Rate der gut auf das Medikament eingestellten Patienten ist dadurch laut Horstkotte "von 50 auf 89 Prozent" gestiegen. Er hofft, daß die Selbstmessung bald zur Standardnachsorge einer Herzklappen-Operation gehört.

Es gibt jedoch auch konservative nicht-operative Behandlungsformen. Ob man einen Klappenfehler durch Medikamente "in seiner stets vorhandenen Progression verlangsamen kann", muß noch genauer untersucht werden. Horstkotte: "Hier gibt es erste Therapiean sätze". Andererseits sind viele der gängigen Medikamente bei Klappenfehlern nicht nur wirkungslos, sondern geradezu kontraindiziert. Beispiel: Die Verabreichung von Mitteln gegen Herzmuskelschwäche ist bei einem Herzklappenfehler wie der M itralstenose schädlich, geschieht aber oft unter Verkennung der wahren Krankheitsursache.

Fest steht, daß sich dieses Teilgebiet der Medizin, seit vor 25 Jahren die ersten künstlichen Herzklappen eingesetzt wurden, zu einer Disziplin ausgeweitet hat, die profundes Spezialwissen voraussetzt. Für praktisch tätige Kardiologen un d Kollegen in den Krankenhäusern haben Dr. Horstkotte und der Leiter der Kardiologischen Abteilung, Prof. Dr. Heinz-Peter Schultheiß, deshalb von einem Symposium im Frühsommer ausgehend einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch initiiert.

Sylvia Zacharias


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