Zu Besuch

Aus Sibirien


Seit Anfang des Jahres arbeitet Jacob Kirsch als Gastarzt auf der Psychiatrischen Kriseninterventionsstation des Benjamin-Franklin-Klinikums. Sprachprobleme hatte er kaum. "Wir haben Zuhause immer deutsch gesprochen", erzählt der 39jährige, der von ein er rußlanddeutschen Familie abstammt, die 1941 von der Wolga nach Westsibirien in eine Sondersiedlung verschleppt wurde.

Das Medizinstudium hat sich Jacob Kirsch zäh erkämpft. "Dreimal wurde ich trotz gut bestandener Aufnahmeprüfungen einfach abgelehnt", sagt er. Erst der vierte Anlauf brachte die ersehnte Zulassung. Nach Abschluß der Ausbildung leitete er die Medizinisc he Abteilung einer isoliert auf dem Land gelegenen psychoneurologischen Pflegeanstalt mit 360 Betten. Dann arbeitete er als Psychiater an einem psychiatrischen Krankenhaus in einer westsibirischen Industriestadt mit circa 600.000 Einwohnern. Glasnost und Perestroika in Rußland ermöglichten ihm als deutschstämmigem Aussiedler vor zwei Jahren, mit seiner Frau nach Berlin auszureisen. Er ist glücklich, ein Jahr als Gastarzt in seinem Fachgebiet zu arbeiten, weil er danach seine Approbation als Arzt erhalten kann.



Jacob Kirsch imponiert die moderne Medizintechnik am Klinikum. Neben der Patientenbetreuung forscht er über psychosoziale Anpassungsschwierigkeiten von Rußlanddeutschen.

Zu seinem Stationsalltag gehören neben Patientenanamnesen und Untersuchungen zur Diagnostik auch die spezielle Betreuung von drei Patienten. Ihn beeindruckt die moderne Medizintechnik, die es ermöglicht, kurzfristig und schnell Untersuchungsergebnisse zu erhalten. In Rußland stehen nur "einfache und zum Teil 50 Jahre alte Geräte" zur Verfügung. Und die Wartezeiten sind lang. Eine Computertomographie war zu seiner Zeit nur in Moskau möglich. "Wir haben eher blind therapiert", stellt er fest.

Großes Interesse bringt Kirsch den laufenden Forschungsarbeiten entgegen. Denn: "Es war in Rußland nicht nur sehr schwer, wissenschaftlich zu arbeiten - eigene Ideen wurden eher unterdrückt -, sondern auch so gut wie unmöglich, Forschungen in der einzi gen Zeitschrift für Psychiatrie und Neurologie in Moskau zu veröffentlichen", berichtet er. Zur Zeit befaßt sich Jacob Kirsch mit einem Forschungsgebiet, das er auch aus eigener Anschauung kennt: mit psychosozialen Anpassungsschwierigkeiten von rußlanddeu tschen Aussiedlern.

Daß der berufliche Neuanfang in Deutschland angesichts der gespannten Arbeitsmarktlage für Mediziner schwer sein wird, weiß er: "Aber ich bin ein Optimist". Ein freudiges Ereignis ist schon in Sicht: Familie Kirsch erwartet bald Nachwuchs.

Claudia Bohm


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