Das Thema: Sport & Medizin

Warum sich der Ruderer nicht am Riemen reißen muß...


In sportmedizinischer Hinsicht ist Berlin bestens versorgt. Mit dem Landesinstitut für Sportmedizin, dem Olympiastützpunkt und dem FU-Institut für Sportmedizin stehen dem Sportbeflissenen drei Einrichtungen offen. Da sich erstgenanntes Landesinstitu t den Routineaufgaben im Freizeit- und Leistungssport widmet - hier kann sich Otto Normalverbraucher auf Fitneß untersuchen lassen - haben sich die FU-Sportmediziner wissenschaftlichen Fragen zugewandt.

So untersuchte "Dr. med., Dipl. Sportl." Ralph Beneke in den letzten vier Jahren - zum Zwecke der Habilitation - sechs verschiedene Gruppen von Ausdauersportlern: Triathleten, also jene, die schwimmen, radfahren und laufen sowie Radrennfahrer, Marathonläufer, Eisschnelläufer, Geher und Ruderer. Es handelt sich bei allen um "Extremsportler", denn ihre zwei bis sechs Stunden tägliches Training "entsprechen fast einem Zweitberuf".

Mit dem Forschungsprojekt nahm Beneke die Goldprobe auf die sogenannte Laktatschwelle vor.Eine Blutlaktatkonzentration von 4 mmol/l (Millimol pro Liter Blut) galt bis dato als biologische Schallmauer für das Ausdauertraining. Laktat bzw. Milchsäure ist ein Stoffwechselprodukt, das bei zunehmender körperlicher Beanspruchung vermehrt ins Blut übertritt. Uneinigkeit herrschte bislang nur darüber, ob dies ein besonders effektiver Tainingsbereich, ein reiner Orientierungswert , oder aber eher eine Gefahre nzone und ein Grund zum Trainingsabbruch sei.

"Im Bereich 4 mmol", zitiert Beneke die Lehrbücher, "geht der Körper angeblich vom rein aeroben, also sauerstoffgedeckten, zum partiell nicht mehr durch Sauerstoff gedeckten, an-aeroben Stoffwechsel über". Der Laktatwert zeige an, daß der im Muskel vor handene Sauerstoff für die Energiegewinnung nicht ausreicht, und der Organismus nunmehr einen Teil der Energie ohne Sauerstoff erzeugen muß. Man darf sich das jedoch nicht so vorstellen, daß der Körper von aerob zu anaerob 'umschaltet' wie der Radfahrer v om zweiten in den ersten Gang. Im Gegenteil: der Fahrer muß bei anaerob erbrachter Muskelarbeit unter Umständen absteigen und sein Rad schieben. Weil der Körper dabei das favorisierte Stoffwechselgleichgewicht mehr und mehr verläßt, werden innere Bremsen wirksam. Biochemische Diagnose: "Die unter Beteiligung von Sauerstoff vor sich gehende Zuckerverbrennung zu Laktat wird dann auf einmal durch dabei entstehende Nebenprodukte regelrecht blockiert." Dieser Zustand der Überanstrengung, die sogenannte Laktata zidose, macht sich auch durch Symptome bemerkbar: Übelkeit etwa, Hyperventilation und Benommenheit.

Viele Sportler, ob Ausdauer-Läufer oder Sprinter, erleben ihn nach einem Wettkampf, in dem sie ihr Bestes gegeben haben. "Die höchsten Laktatkonzentrationen um 24 mmol/l", so Beneke, " werden bei 400 m-Hürdenläufern nach einem 40-50 Sekunden dauernden Wettkampf gemessen".

In Ralph Benekes Versuchsreihen wurden intensive Trainingseinheiten von jeweils 30 Minuten als Testbelastung festgelegt. Seine Forschungsfrage: "Ist 4 mmol/l ein allgemein gültiger Wert, oder welches ist die höchste Blutlaktatkonzentration, bei der sic h während konstanter Leistung noch ein Gleichgewicht zwischen Laktatproduktion und Laktatabbau herstellt?" Der englische Fachterminus für diesen "aeroben, also sauerstoffgedeckten Stoffwechsel im Dauerzustand" heißt: 'maximales Laktat steady state'. Währe nd des Trainings ließ Beneke dann seinen Sportlern Blut aus dem Ohrläppchen entnehmen. Überraschendes Ergebnis: Den höchsten, noch im steady state befindlichen Laktatwert wiesen die Eisschnelläufer auf. Bei ihnen betrug er 6,5 mmol/l. Bei seinen Ruderern lag das maximale steady state hingegen bei nur 3 mmol/l. Der Lehrsatz "gleiche Härte des Trainings - gleiche biologische Antwort" muß also modifiziert werden: Er gilt numehr nur innerhalb einer Sportart. Das Geheimnis der unterschiedlichen Laktat-Grenzen erklärt sich für den Sportforscher daher, daß "die eingesetzte Muskelmasse je nach Sportart unterschiedlich groß ist". Beim Rudern sind es Arme, Rücken, Bauch und Beine, beim Eisschnellauf hingegen lediglich die Oberschenkel. Entscheidend für das steady state sei das Volumen der "vortriebswirksamen" Muskelmasse, also der, die der Sportler einsetzt, um Schubkraft zu entwickeln. Folgerung für das Training: Künftig braucht sich kein Ruderer am Riemen zu reißen, um die Meßlatte 4 mmol zu erreichen. Mit 2 bis 3 mmol/l trainiert er genauso intensiv wie ein Eisschnelläufer mit 4 bis 6 mmol/l.

Für die Klinik fallen im Bereich der Rehabilitation, etwa nach einem Herzinfarkt, auch einige Brosamen der Erkenntnis ab: "Beim Reha-Training auf dem Fahrradergometer wirkt sich die Wahl einer hohen oder niedrigen Umdrehungszahl meßbar auf das steady s tate des Patienten aus", ergänzt Ralph Beneke.

Sylvia Zacharias


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