Das Juni-Portrait

Ein Meister im Beschaffen von Drittmitteln


Professor Werner Reutter
"Von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends können Sie mich fast immer im Institut finden", sagt Prof. Werner Reutter. Kein Wunder, hat der arbeitsame Biochemiker, der 1979 an das Institut für Molekularbiologie und Biochemie der Freien U niversität berufen wurde, doch 30 Mitarbeiter - darunter 16 Doktoranden - zu betreuen. Dazu kommen die vielen Studierenden während des Semesters. Um die Qualität ihrer Ausbildung zu verbessern, hat er einiges in Bewegung gesetzt. Vor zehn J ahren stellte er fest, daß 80 Prozent aller ausländischen Studierenden in Berlin ihr Physikum nicht bestanden. Daraufhin richtete er mit Prof. Christian Bauer einen Spezialkurs für Biochemie ein, der mittlerweile - gefestigt durch den Stud entenstreik 1988/89 - 300 deutschen und ausländischen Medizinstudenten pro Semester zu besseren Ergebnissen verhilft: unter allen Medizinfächern erzielte die Biochemie bei der letzten bundesweiten Auswertung Platz vier.

Reutters starkes Engagement in der Lehre geht auch darauf zurück, daß sein eigener Weg nicht pfeilgerade in die Medizin führte. Er studierte zunächst Physik. Doch die mathematischen Pflichtveranstaltungen lagen ihm nicht, und so wechselte er zur Medizin. Nach dem Studium wollte er sich erst als praktischer Arzt im heimatlichen Schwarzwald niederlassen - doch er wurde Grundlagenforscher. Als "Schlüsseljahr" seiner akademischen Karriere bezeichnet er 1967: da vertrat der 30jährige DFG-Stipendiat Dr. Werner Reutter an der Universität Freiburg seinen Chef, Professor Decker. In dieser Zeit erfand Reutter das erste experimentelle Hepatitis-Modell, das unter allen Modellen der menschlichen Virushepatititi s am nächsten kam - und bis heute kommt. Inzwischen hat ihm sein Entdeckerinstinkt zu sieben medizinischen Patenten verholfen.

Prof. Reutters Spezialgebiet ist die Glykobiologie. Die ,süße Biologie" beschäftigt sich mit der Natur der Zuckermoleküle, die neben ihrer Funktion als Geschmacks- und Energiequelle besonders als biologisches Baumateri al von Membranen fungieren. Zuckerhaltige Membranbestandteile vermitteln Kontakte und biologische Informationen von Zellen untereinander. So wirken die Zuckerbausteine in den verschiedensten biologischen Prozessen mit, z.B. beim Zellwachstum, in der Zell- Zell-Wechselwirkung (bei Transplantationen und Metastasenbildung) und in der Infektabwehr. Seit acht Jahren ist Werner Reutter Koordinator eines bundesweiten glykobiologischen Förderprogramms. In den nächsten zehn Jahren wird es weiterhin mit in sgesamt 200 Millionen Mark vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) unterstützt. Das Förderprogramm ist anwenderorientiert ausgerichtet, denn die Glykobiologie reicht - für ein Grundlagenfach re lativ ungewöhnlich - weit in diagnostische und pharmazeutische Fragestellungen hinein. Doch Deutschland hat hier noch einiges aufzuholen. "In den USA sind Medikamente mit Zuckerstrukturen schon in der klinischen Prüfung", erklärt Reutter, der stets seinen wachen Blick über den FU-Horizont hinaus schweifen läßt.

Sein Talent als Manager eines 'Großunternehmens' beweist er auch als Sprecher - oder 'head', wie es im Englischen viel treffender heißt - des Sonderforschungsbereichs "Zelluläre Signalerkennung und -umsetzung", der d erzeit einzige am Fachbereich Humanmedizin. Zu dem interdisziplinären Forschungsverbund gehören auch Arbeitsgruppen der Humboldt-Universität, des Max-Delbrück-Centrums, der Schering AG. Aus Reutters tiefer Überzeugung, "da&sz lig; der Sonderforschungsbereich eine ganz entscheidende Klammer zwischen der Freien Universität und der Humboldt-Universität für ein kollegiales und kooperatives wissenschaftliches Arbeiten" bildet, zieht er auch Argumentationspotenti al für die noch recht ungewisse Zukunft der Berliner Hochschullandschaft.

Reutter ist ein Meister im Beschaffen von Drittmitteln. Die Fördermittel des BMBF, der DFG und anderer Drittmittelgeber tragen seine Forschungsgruppe zu über 90 %. Das ergab für 1995 den beachtlichen Topf von nahezu einer Million Mark. Doch Reutter fürchtet um seine Unabhängigkeit von staatlichen Mitteln, da die staatliche Sparpolitik in einer Kürzungsspirale ,in fataler Weise Einsparungen im Drittmittelbereich nach sich ziehen" könnte. Denn die Drittmitt elgeber setzen für ihre Förderung eine ,adäquate Ausstattung mit wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen aus Universitätsmitteln" voraus.

Zu Reutters zahlreichen Aufgaben ist am 1. April noch eine weitere gekommen: die kommissarische Leitung des Instituts für Klinische Biochemie und Chemie in der Nachfolge von Professor Dulce - bis ein geeigneter Nachfolger gefunden ist. In enger Zusammenarbeit mit Dr. Rudolf Fitzner hat sich bereits eine fruchtbare Zusammenarbeit ihrer Domänen, der Vorklinik und der klinischen Anwendung, entwickelt, von der auch die Studenten in der gemeinsamen Vorlesung profitieren.

Auf die Frage, was ihm Kraft gibt, reagiert Reutter eher erstaunt. "Die Freude an der Arbeit und die Lust am Umgang mit jungen Menschen", antwortet der vierfache Vater nach kurzem Nachdenken. In Berlin ist er längst heimisch gewo rden, als er jedoch 1979 hierher kam, erschien es ihm "wie Sibirien", denn schon Karlsruhe lag ihm "zu nördlich". Ein Gemälde des Bauernhofs der Großmutter, das in seinem Arbeitszimmer hängt, zeugt noch von seiner Heimatverbundenheit. Und das ihn die Studenten vom AStA beharrlich "den freundlichen Schwaben" nennen, trägt der Badener mit Humor. Felicitas Wlodyga/Monica Brandis


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