Wissenschaftliche Einrichtungen stellen sich vor

In einer Serie stellen wir die Wissenschaftlichen Einrichtungen vor, die seit dem 1. April 1995 zusammen mit dem Universitätsklinikum Benjamin Franklin den FU-Fachbereich Humanmedizin bilden. Dieses Mal: das Institut für Hygiene, vormals Fachber eich Grundlagenmedizin.

Wenn Umweltsubstanzen auf die schiefe Bahn kommen...


Den Alltagsmenschen packt beim Wort ,Hygiene" das schlechte Gewissen, er denkt an fleißige Körperpflege. Wissenschaftlich bezeichnet Hygiene ein Fachgebiet, das eher mit sauberer Umwelt als mit Wasser und Seife zu tun hat. Anders als d er Toxikologe, der sich mit den unbelebten Stoffen und ihrer Wirkung auf den Menschen befaßt, untersucht der Hygieniker das Verhalten unbelebter Substanzen wie belebter Mikroorganismen in der Umwelt. Brechen diese aus ihren natürlichen Reservat en, z.B. im Wasser oder im Boden aus, können sie zu einer Gefahr für den Menschen werden. Die Hygiene hat eine sehr praktische Ausrichtung, wie Prof. Henning Rüden, Leiter des FU-Instituts für Hygiene, an einem Beispiel aus der Kompost ierung verdeutlicht: ,Wie kann der Pfad, auf dem Schimmelpilze von einem Misthaufen zum Atemtrakt eines Anwohners wandern, unterbrochen werden, damit sie seine Gesundheit nicht gefährden?"

Das Institut für Hygiene der Freien Universität besteht seit 1976. Seit 1982 bietet es eine Auslands-Impfsprechstunde an. Mit einem Stab von 44 wissenschaftlichen Mitarbeitern und technischem Personal aus Medizin, Natur- und Ingenieur wissenschaften (einschließlich der Drittmittel-Beschäftigten) erfüllt es neben Lehre und Forschung auch Aufgaben der Krankenversorgung. Dabei geht es um die krankenhaushygienische Betreuung des Benjamin-Franklin- und des Rudolf-Virchow-Kli nikums. ,Erkranken plötzlich mehrere Patienten auf einer Station an Durchfall, werden wir automatisch benachrichtigt, um zu helfen", erläutert Rüden.

Im Krankenhaus erworbene, sogenannte nosokominale Infektionen (NI) sind auch Gegenstand eines großen Forschungsgebietes zu den Oberbegriffen Krankenhaushygiene und Infektions-Prävention. Bei ihrer für die Bundesrepublik r epräsentativen Untersuchung an deutschen Kliniken (NIDEP-Studie) diagnostizierten die FU-Hygieniker mit Kollegen der Universität Freiburg bei 3,5% der Patienten eine Krankenhausinfektion. Am häufigsten stellten sie Harnweginfektionen sowie Lungenentzündungen und Wundinfektionen nach Operationen fest. ,Dafür sind oftmals Venen- und Harnwegs-Katheter die Ursache", so Rüden: Die richtige Handhabung dieser medizinischen Geräte hat also eine ,grosse Bedeutung für di e Prävention".

Eine andere Ursache für Krankenhausinfektionen können Endoskope sein, da man die engen Kanäle dieser Untersuchungsinstrumente weder maschinell noch manuell einwandfrei reinigen und desinfizieren kann. Wegen ihrer Temperaturempfin dlichkeit verbietet sich eine Sterilisation. Hier suchen die Hygieniker nach einem 'keimfreien' Ausweg.

Eine weitere Herausforderung für die Hygiene-Forscher ist es, Infektionen mit therapieresistenten Erregern zu überwachen und einzudämmen. Vor allem der permanente Einsatz von Antibiotika in den Krankenhäusern provoziert den 'Widerstand' der Bakterien. Folge: Sie entwickeln kontinuierlich bessere Überlebenstechniken.

Grundsätzlich wird das Risiko der Krankenhausinfektion vom Zustand des Immunsystems beeinflußt. Dabei zeigt sich eine deutliche Altersabhängigkeit. So erkranken laut NIDEP-Studie ältere (66-75 Jahre und älter als 75 Ja hre) dreimal häufiger als jüngere Menschen (unter 45 Jahre). Grund: Mit zunehmendem Alter schwindet die Immunabwehr. Dieses Problem wird sich noch verschärfen, weil die Kliniken zunehmend mit immer älteren Menschen belegt sind.

Fast kriminalistisch muß der Hygieniker ermitteln, wo genau ein Patient sich im Großraum Krankenhaus angesteckt hat. Unterstützung bringt ein neues 'erkennungsdienstliches' Verfahren: die Genotypisierung. Dazu wird den Bakterie n ein 'genetischer Fingerabdruck' abgenommen. Verfolgt man die Spur der Fingerabdrücke, läßt sich der Übertragungsweg bis hin zur Infektionsquelle rekonstruieren.

Auf dem Gebiet des Umweltschutzes richtet sich das Forschungsinteresse auf Wasser-, Boden- und Luftreinhaltung. So kämpft die Trinkwasserversorgung in Deutschland mit dem Problem zunehmend knapper werdender Reserven. Grund ist die hohe Ver schmutzung von Seen und Flüssen. Hier haben die FU-Hygieniker ein Wasser-Reinigungsverfahren entwickelt. Bereits aufbereitetes Trinkwasser kann nun - so wie in der Schweiz und in Norwegen - mit UV-Strahlen anstelle von Chlor desinfiziert werde n. Organische Verschmutzungen in Oberflächenwasser - durch Pestizide, Phosphate, Herbizide - werden durch die UV-Methode weitgehend abgebaut. ,Allerdings stellten Bürgerinitiativen die berechtigte Frage", so Rüden, ,ob dabei nicht erb gutverändernde Zwischenprodukte entstehen, da sie vermuteten, daß die UV-Strahlen zu Sommersmog- ähnlichen, photochemischen Reaktionen im Wasser führen". Doch hier gibt es jetzt zum Glück Entwarnung. Neuesten Untersuchungen zufolge (zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Strahlenchemie) entstehen keine gesundheitsgefährdenden Substanzen. Die Anschaffung eines Photoreaktors zur UV-Wasserreinigung wäre gerade für kleinere Wasserwerke sinnvoll.

Im Forschungsprojekt ,Rüstungsaltlasten" beschäftigen sich Hygieniker des Instituts mit Bomben-Sprengstoff. Sie suchen nach einer Lösung für die Sanierung von Böden, die vor und während des Zweiten Welt kriegs mit dem hochexplosiven Stoff Tri-Nitro-Toluol (TNT) verseucht wurden. Dies geschah hauptsächlich durch Chemieunfälle in Fabriken, die TNT herstellten, oder durch Unfälle bei der Lagerung. Rüden schildert das ökologische Sze nario: ,Die Mikroorganismen knabbern das TNT an, nehmen Nitro-Gruppen weg oder reduzieren diese zu Amino-Gruppen. Das setzt eine Kette von Abbauprodukten frei, die viel gefährlicher sein können als der ursprüngliche Sprengstoff." Vor a llem sind viele dieser Abbauprodukte besser wasserlöslich als das TNT. Das bedeutet: Sie werden vom Regen aus dem Boden, wo sie eingelagert sind, ausgewaschen. Über das Grundwasser und eine möglicherweise unvollständige Trinkwasseraufb ereitung können die Abbaustoffe des TNT schließlich sogar bis in den menschlichen Organismus gelangen.

Auch für ,kranke Häuser" ist das Institut zuständig. In einem Projekt untersucht es einen Teilaspekt des Sick-Building-Syndroms: die Verunreinigung von Luftfiltern in Klimaanlagen. Luftfilter sind möglicherweise die Ursache für Störungen des Allgemeinbefindens bei Büropersonal. Mit zunehmender Standzeit der Luftfilter und/oder bei hoher Luftfeuchtigkeit besteht die Gefahr von chemischen Reaktionen zwischen Mikroorganismen und unbelebten Stoffen. Da s heißt, es werden flüchtige, teilweise geruchsintensive chemische Verbindungen produziert: ,Zu unserer Überraschung fand sich unter diesen Verbindungen außer Aceton auch Formaldehyd", berichtet Rüden. Jetzt wird auch unter sucht, ob noch andere mikrobiologisch verursachte Verbindungen - im besonderen Alkohole und Terpene - die Luftfilter verlassen. Selbst in kleinen Spuren sind solche Stoffe imstande, Beschwerden auszulösen. Zumal in klimatisierten Räumen meist zu sätzlich auch andere Chemikalien aus Baustoffen und Möbeln entweichen. ,Es könnte sein", vermutet Rüden, ,daß sich die im einzelnen, noch ungefährlichen kleinen Stoffmengen aus der organischen Palette so addieren, da&sz lig; die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung plötzlich überschritten ist."

Sylvia Zacharias


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