Das Thema: Allergien

Alle reden vom Sommer. Wir nicht!


Viele Berliner haben guten Grund, sich vor dem Winterende zu fürchten. Denn bei ihnen bricht mit den ersten Kätzchen der sogenannte Heuschnupfen aus. Das leicht erregbare Immunsystem von schätzungsweise 14% der Bevölkerung gerät außer Rand und Band, wenn sich der erste Blütenstaub von Bäumen und Sträuchern auf "Brautschau" begibt.

Auf des Windes Flügeln. Was bei den Blumen die fleißigen Bienen besorgen: den Transport und die Ablage der männlichen Samenzellen auf den weiblichen Stempeln, übernimmt bei Baum, Gras und Kraut der Wind. Gigantische Mengen von Pollenkörnern müssen von den "Windblütlern" produziert werden, damit die weiblichen Eizellen Gelegenheit zur Befruchtung erhalten. Allein ein Haselstrauch schwängert die Luft zur Blütezeit mit 600 Millionen mikroskopisch winziger Körnchen.


Auf dem Dach des Klinikums: Prof. Klaschka und die Pollenmeßstation

Im Februar, wenn das tolle Treiben der Pollen von Hasel und Erle einsetzt, startet auch der Berliner Wetterdienst seine - über Radio, Zeitung und "Pollentelefon" verbreitete - Polleninformation. Erster Höhepunkt ist um die Osterzeit. Bis Ende April zi rkulieren die Birkenpollen. Ab Mai kommen zu den Bäumen die Gräser hinzu. Im Hoch- und Spätsommer blühen als letztes die Kräuter, im August vor allem das Un- und Küchenkraut Beifuß.

Die Meßwerte, die den Berechnungen des Wetterdienstes zugrunde liegen, kommen aus dem Universitätsklinikum Benjamin Franklin. Eine Wetterfahne auf dem Dach der Haut-Poliklinik entpuppt sich als Meßstation: die sogenannte Pollenfalle. Per Motorpumpe "in haliert" das Gerät durch einen kleinen Schlitz die gleiche Menge Luft wie die menschliche Nase. Innen verfangen sich die Pollenkörnchen auf einem Klebestreifen. Anschließend werden sie von menschlicher Hand aufbereitet und unter einem Mikroskop gezählt. A uf der Basis der Wetterprognose schätzen die Allergologen des Klinikums mit den Meteorologen dann ab, ob der Pollenflug gering, mittelmäßig oder hoch ausfallen wird.

"In Hochzeiten schwirren bis zu 8.000 Pollenkörner in einem Kubikmeter Luft", weiß der Allergologe und Hautarzt Prof. Franz Klaschka zu berichten. Er hat die Pollenfalle vor zehn Jahren als erster in Berlin aufgestellt, eine weitere Meßstation arbeitet am Rittberg-Krankenhaus.

"Drei bis fünf Pollenkörner pro Kubikmeter Luft reichen bei einem Allergiker schon zur Reaktionsauslösung aus", warnt der Professor. Zu seinen Patienten zählt er Personen, die an "allergischen Ekzem- und atopischen Inhalations-Erkrankungen" leiden. Uf erlos ist das Spektrum der Stoffe, die solche Haut- und Schleimhautallergien auszulösen imstande sind - und die es ärztlich zu diagnostizieren gilt. Das Auftreten von Pflanzensubstanzen wie Pollen ist nicht weniger unübersichtlich als das von Chemieproduk ten. Als Allergen kann z. B. Nickel wirken, das unter anderem in Knöpfen, Fleischerhaken, Scheren oder Schmuck verwendet wird.

Besonders stark allergiegefährdet sind Atopiker. Das sind Menschen, wie Klaschka erklärt, "mit einer genetisch determinierten Bereitschaft zur Überempfindlichkeit gegenüber Mikroben, Pollen oder anderen Umweltstoffen". Die Bezeichnung Allergiker beschr änke sich im Grunde auf Patienten, bei denen sich Antigen-Antikörper-Reaktionen in einem speziellen Testverfahren definitiv nachweisen lassen. Die Zusammenhänge im Fachgebiet Allergologie sind schon "teuflisch verzwickt" und reichen in unauslotbare Tiefen , etwa auch in neuro-vegetative oder hormonelle Dimensionen hinein. "Jeder dritte Patient, der in meine Sprechstunde kommt, hat ein Ökosyndrom" lautet Klaschkas resignierte Feststellung. Fünfzig ursächlich noch aufzuklärende Symptome zählt der Professor i nzwischen.

Bei der Pollenallergie erhöht sich das Erkrankungsrisiko durch eine vorgeschädigte Nasenschleimhaut. Eindeutiges Erkennungsmerkmal ist ein wässriger Schnupfen. "Die Nase läuft wie eine Wasserleitung, die Augen brennen." Wer mit dieser Symptomatik zu Pr of. Klaschka kommt, wird zeitgerecht auf anamnestisch aktuelle Pollen und andere relevante Stoffe getestet. Ein Hauttest ist dabei meist ausreichend. Eine ergänzende (IgE-) Antikörperbestimmung dient der Quantifizierung.


Die Nase läuft wie eine Wasserleitung

Ist das Immunsystem erst einmal "falsch programmiert", zieht sich der Kreis immer weiter: ¥hnliche Substanzen werden im Körper miteinander verwechselt. So kann eine Allergie auf Gräserpollen in eine Unverträglichkeit von Roggenbrot übergehen. Der Beifußp ollen weist in die Richtung von Fertiggewürz-Allergien. Vorsicht ist bei Reaktionen auf Schimmelpilzkäse geboten: die Einnahme von Penicillinpräparaten kann riskant werden. Bei der Pollenallergie stehen bestimmte Eiweißverbindungen in Verdacht, die Immun abwehr zu provozieren. Ob nämlich die Pflanze, auf der das Pollenkorn landet, tatsächlich der richtige 'Partner' ist, wird durch die Enzyme im Pollen ausgekundschaftet.

An den Behandlungsformen hat sich bis heute nichts geändert: Kontaktvermeidung, Antihistaminika-Behandlung und schrittweise Reduktion der Überempfindlichkeit. Moderne Medikamente versuchen, die dämpfende Nebenwirkung abzuschwächen, machen also weniger müde. Aber Vorsicht! Wer dagegen mit Jogging angehen will, muß sich hüten. Zu den "zehn Geboten" für Prof. Klaschkas Pollen-Patienten gehört auch, den "Aufenthalt im Freien auf bestimmte Tageszeiten zu beschränken, an denen der Pollenflug geringer ist". S pitzenkonzentrationen werden am frühen Morgen und - großstadtbedingt - auch am späten Abend gemessen. Da sich die kleinen Ungeheuer gern im Haar verfangen, um nachts auf das Kopfkissen zu fallen, sind Kurzhaarschnitte langem Haar vorzuziehen. Häufiges (Ha are)Waschen ist ebenfalls wichtig.

Wer erfahren hat, wie die schönste Jahreszeit zur Leidenszeit wird, nimmt eine dreijährige Hypo-Sensibilisierungs-Therapie in Kauf. Der Begriff Desensibiliserung wurde inzwischen als hochstaplerisch fallengelassen. Immerhin: Die Erfolgsaussichten sind dank besserer Präparate aus natürlichen Rohstoffen heute ziemlich hoch. 70 - 80 Prozent der Geplagten können im vierten Sommer wieder aufatmen. Je früher sich eine Allergie einstellt, desto länger hält sie an. Erst im höheren Alter beruhigt sich das Immun system. So hat das Altwerden auch durchaus seine positiven Aspekte.

Sylvia Zacharias


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