Nierentransplantationen waren 1970 keineswegs so selbstverständlich wie heute, selbst die Dialysebehandlung bei chronisch Nierenkranken steckte noch in den Kinderschuhen. So war es zunächst ein kühnes Unterfangen, als sich Urologen, Chirurgen und be sonders mit der Nephrologie befaßte Internisten zusammentaten und ein Steglitzer Transplantationsprogramm entwarfen.
Schon Mitte der 60er Jahre hatten die Urologen Brosig und Nagel in Berlin Verwandten-Transplantationen von Nieren vorgenommen - die ersten in Deutschland. Das ursprüngliche Programm wurde zwar zunächst eingestellt, aber der Gedanke an die Nierentranspl
antation lebte weiter.
Prof. Wilhelm Brosig
Die Brosigsche Klinik zog dann 1969 mit in das neu eröffnete Steglitzer Universitätsklinikum. Inzwischen war die Bedeutung des HLA-Systems, das mit Gewebsmerkmalen arbeitet, für die Organtransplantation entdeckt worden. Es führte 1967 zur Gründung de r Eurotransplant Foundation in Holland. Neu an dem geplanten Steglitzer Transplantationsprogramm war die Absicht, Transplantationen von vornherein nur in Zusammenarbeit mit dieser Eurotransplant Foundation im Rahmen eines internationalen Organaustausches durchzuführen. Ziel von Eurotransplant war und ist es noch heute, durch Austausch von Organen eine möglichst gute Verträglichkeit der Gewebegruppen zwischen Spender und Empfänger eines Organs zu erreichen.
Am 3.6.1970 war es dann endlich so weit. Eurotransplant ließ wissen, daß eine Niere in Brüssel besonders gut zu einem Patienten in Berlin passe, die um Hilfe gebetene US Air Force leistete Zivildienst und flog das Organ in das damals recht isolierte We stberlin. Die Niere wurde im Universitätsklinikum Benjamin Franklin transplantiert, und damit war das Steglitzer Transplantationsprogramm geboren.
Eine Besonderheit dieses Programms war von Anfang an die ausgeprägte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kliniken und Einrichtungen des Hauses. Die Nephrologen kümmerten sich um das organisatorische Umfeld und übernahmen die unm ittelbare Betreuung der Patienten. Der operative Eingriff wurde gemeinsam von Urologen und Chirurgen in einem gemischten Team vorgenommen. Diese möglicherweise weltweit einmalige Konstruktion funktionierte unerwartet gut und wurde erst in jüngerer Zeit mo dizifiert. Heute tansplantieren die Urologen die Nieren alleine, können sich aber dank der Tradition des Hauses in schwierigen Situationen der Unterstützung der gefäßchirurgischen Experten sicher sein.
Da Eurotransplant nicht nur Organe zur Verfügung stellte, sondern natürlich auch erwartete, daß Organe gewonnen wurden, mußte das Transplantationsteam bald erweitert werden. Besonders die Organspende erforderte die intensive Mitarbeit der Anästhesisten und Neurologen. Die zunächst auswärts durchgeführte Gewebetypisierung wurde Mitte der 70er Jahre von der Haematologischen Abteilung übernommen. Der zunehmende Organaustausch beschäftigte aber auch nicht-medizinische Einrichtungen wie die Telefonzentrale und die Fahrbereitschaft des Klinikums. Durch Vorbereitung, Transplantation und Nachbetreuung der Patienten gibt es heute kaum einen Bereich des Klinikums, der nicht mit Nierentransplantierten zu tun hat, und das eigentlich komplexe Geschehen funktioniert wie selbstverständlich und erstaunlich reibungslos.
Die Transplantationszahlen lagen in den 70er Jahren noch sehr niedrig: in den ersten zehn Jahren wurden ganze 144 Transplantationen durchgeführt. Der entscheidende und begrenzende Faktor war dabei immer die Organspende. Ab 1978 erhielt das Steglitzer P rogramm organisatorische Hilfe durch die Zusammenarbeit mit dem Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation, mit dessen Unterstützung ein Transplantationsbüro zum Aufbau einer Warteliste und für die Kontakte mit Eurotransplant eingerichtet wurde.
Ein weiterer entscheidender Schritt war die Beschäftigung eines Transplantationskoordinators ab 1983. Dadurch nahm die Zahl der Organspenden und damit die Zahl der Transplantationen erheblich zu und erreichte im Jahr 1989 mit 107 Nierentransplantatione n den höchsten Stand. Zur Nierentransplantation gehört eine regelmäßige Nachbetreuung der Patienten notwendig. Seit Mitte der 80er Jahre besteht eine eigene Transplantations-Ambulanz in der Medizinischen Poliklinik des Klinikums, die durchschnittlich 400 Patienten pro Jahr betreut. In Steglitz wurden inzwischen über 1.200 Nieren transplantiert, der jüngste Patient war zwei, der älteste 75 Jahre alt. Dank der sehr guten Unterstützung durch die Intensivstationen der Stadt bei der Organspende war in Berlin E nde der 80er Jahre noch eine nahezu bedarfsdeckende Nierentransplantation möglich.
Vorwiegend Probleme durch mangelnde Organspenden auf dem Gebiet der ganzen Bundesrepublik haben die Transplantationsfrequenz seitdem auf 70 Eingriffe pro Jahr zurückgehen lassen. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings auch, daß Steglitz heute nicht m ehr allein die 2 Millionen West-Berliner versorgt. In Berlin werden Nieren seit 1990 in vier Kliniken transplantiert.
Die Kliniken Benjamin Franklin (früheres Klinikum Steglitz), Rudolf Virchow und CharitÚ und das Krankenhaus im Friedrichshain haben sich im Mai 1994 zu einem Verbund zusammengeschlossen, um die sechs Millionen Berlin-Brandenburger mit Nierentransplanta tionen zu versorgen. Dieser neugegründete Transplantationsverbund Berlin-Brandenburg hat Chancengleichheit für alle Patienten der Region geschaffen.
Mit den sich wandelnden Zeiten hat sich auch im Steglitzer Transplantationsprogramm vieles verändert. Die Patienten kommen fast zur Hälfte nicht mehr aus dem angestammten West-Berlin, sondern aus den neuen Bundesländern, entsprechend verzweigter ist na türlich auch die Nachbetreuung der Patienten geworden. Die Zusammenarbeit mit Eurotransplant hat nach wie vor Priorität. Das entscheidende Problem bleibt der Engpaß Organspende. Der große Wunsch des Transplantationszentrums zum 25. Geburtstag ist die I ntensivierung der Organspende in der ganzen Region, um die langen Wartelisten auf eine Transplantation endlich abbauen zu können.
Gerd Offermann
Prof. Gerd Offermann ist Nephrologe und verantwortlich für das Transplantationszentrum im Klinikum Benjamin Franklin.