Das April-Portrait

"Ich habe die fetten Jahre voll ausgekostet"


Mit seiner Emeritierung am 1. April räumt Prof. Diether Neubert nach 25 Jahren den Lehrstuhl für Toxikologie an der Freien Universität. Und sein Lebenswerk, das Institut für Toxikologie und Embryo-Pharmakologie, tritt mit ihm von der Bühne ab. Auf dem Papier gehört es schon seit dem 1. Januar als "Abteilung für Toxikologie" zu dem neu gebildeten Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie. "Der Abschied fällt mir eigentlich nicht schwer", gesteht Prof. Diether Neubert fröhlich, "denn ich habe die fetten Jahre, als es noch reichlich Forschungsgelder in Deutschland gab, voll ausgekostet!"


Wird emeritiert: der Toxikologe Prof. Diether Neubert. Seiner Arbeitsgruppe gelangen die ersten überzeugenden Hinweise zum Schädigungsmechanismus des Contergan.

Mit dem Sonderforschungsbereich "Risikoabschätzung von vorgeburtlichen Schädigungen" entstand unter Neuberts Ägide ein in Deutschland neues Forschungsgebiet: die Reproduktionstoxikologie. Aufgrund der Contergan-Katastrophe stel lte ihm die Deutsche Forschungsgesellschaft von 1969 bis 1995 "ungewöhnlich hohe Drittmittel" bereit. In Zahlen: drei bis vier Millionen Mark jährlich. Neubert: "Damals war über den Stoffwechsel und die Reaktionen von Sä ugetier-Embryonen auf Pharmaka oder Umweltsubstanzen fast nichts bekannt."

Den Pharmaherstellern wurde eine Frist bis 1976 eingeräumt, um erstmals entsprechende Überprüfungen für neue Arzneimittel nachzuweisen. Dazu mußten jedoch erst Methoden zur Untersuchung von Wirkungsmechanismen und Dosis-Wirku ngsbeziehungen am Embryo entwickelt werden. Vollmediziner Neubert hatte schon das Know how im Tornister, das er zur Gestaltung dieses Neulands brauchte: umfassende Kenntnisse in der Inneren Medizin, Pathologie und Biochemie. In letztere vertiefte er sich bereits während seines zweijährigen Postgraduate-Studiums an der Johns Hopkins University/ USA. Ausgedehnte Studien auf pharmakologisch-toxikologischem Gebiet, während und nach seiner Habilitation in Berlin, kamen hinzu.

Zum Erfolg seiner Forschungen trug auch der Aufbau einer 500köpfigen "Kolonie" kleiner Marmoset-(Menschen)affen, eine der größten auf der Welt, entscheidend bei. An die Adresse der Tierschützer fügt Neubert hinzu: & quot;Nur bei bester Gesundheit taugen diese Primaten für toxikologische Untersuchungen!"

"Es war eine dynamische Zeit", sagt Neubert im Rückblick. Seine Forschungsprojekte hatten einen hohen Praxisbezug, auch zur Klinik. Die Arbeitsgruppen operierten Hand in Hand, um die zahlreichen toxikologischen Probleme, etwa die Rä ;tsel embryonaler Fehlbildungen und späterer Behinderungen - oder im Falle Sevesos: der Reaktionen des Immunsystems - zu lösen. "Nachts konnte ein Passant immer noch Licht bei uns brennen sehen", erzählt Neubert. Der Forschungs-P ionier kann sich nicht erinnern, "irgendwann mal weniger als 80 Stunden pro Woche gearbeitet" zu haben.

So verlief auch die Suche nach dem Schädigungsmechanismus des Thalidomid, dem Wirkstoff des Contergan-Schlafmittels, auf Hochtouren. Erst 1994, nach 30 Jahren weltweit vergeblichen Forschens, gelangen der Arbeitsgruppe Diether Neuberts die &quo t;ersten überzeugenden Hinweise" darauf. Ohne seine "Maxime des positiven Denkens" hätte er die nötige Geduld dafür nicht aufgebracht.

In Fragen des "Umgangsstils bin ich durch Amerika geprägt", verrät der Toxikologe. Als Post-Graduate kam Neubert 1960 an ein Institut, das straff organisiert war, "aber auf eine ganz andere Art als hierzulande". Neuberts Lehrmeister, der Biochemiker Lehninger, saß in den Seminaren unauffällig zwischen seinen Mitarbeitern. Doch schon nach zwei Minuten "discussion" war jedem klar, wer der "senior" war. "Qua Kompetenz zu führen, das s ollte auch mein Stil werden", nahm Neubert sich früh vor, dabei habe er seinen Mitarbeitern stets viel Freiheit gegeben. Amerika ist für ihn auch heute noch eine Verlockung. Er könne sich durchaus vorstellen, künftig einen Teil de s Jahres etwa in Arizona zu verbringen.

Das Jahr 1997 markiert Neuberts Abschied, und es ruft dem 68jährigen Meilensteine seines akademischen Lebens ins Gedächtnis: vor 40 Jahren der Eintritt in das Pharmakologische Institut der FU, vor 35 Jahren die Habilitation und vor 25 Jahren der C4-Lehrstuhl. Doch in der trockenen Art des Berliners verzichtet Neubert auf Festivitäten lieber: "Da zwingt man die Leute etwas über einen zu sagen, das sie gar nicht möchten."

Mit dem Abschlußbericht zum Sonderforschungsbereich ist nun auch das Kapitel der ausgiebigen Drittmittelförderung zuende. Damit einher gingen "immense menschliche Probleme", denn die Institutsbelegschaft mußte auf 50 Mitarbe iter reduziert, das heißt halbiert werden. Sein Nachfolger, Prof. Martin Paul, werde interessante neue Projekte mitbringen und einige der Stellen selbst besetzen, sagt Neubert. Ein kleines Labor und ein Arbeitsraum stehen ihm aber weiterhin zur Ve rfügung. Und die Affen? Für Neubert keine Frage: "Ich würde empfehlen, sie auf jeden Fall zu lassen."

Sylvia Zacharias


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