Das April-Portrait
Chefarzt mit "drei Hirnhälften"
"Ich glaube, ich kann mich jetzt ganz beruhigt zurückziehen und vielleicht auch ein klein bißchen egoistisch sein", hofft Prof. Klaus Eyrich mit Blick auf seine bevorstehende Emeritierung. Fast 18 Jahre lang leitete er
die Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin des Universitätsklinikums Benjamin Franklin. Seine Chefarztfunktionen hielten ihn unter anderem davon ab, auch nur "ein einziges Mal zum Mittagessen zu gehen." Vor allem braucht er sich künftig nicht mehr mit so vielen Fragen zu plagen: "Wie löse ich dieses Problem? Wie löse ich jenes Problem? Wie kann ich zwei Kampfhähne, die aneinandergeraten sind, besänf
tigen?" Und daß es in der Gruppe seiner 250 Mitarbeiter und bei der Zusammenarbeit mit zahlreichen Operateuren zu Turbulenzen kommen kann, liegt auf der Hand. So gesehen mag die allzeit mit Bonbons angefüllte Schale in Eyrichs Arbeitszimmer auc
h zur Friedfertigkeit einladen. "Vielleicht ein Gen," schmunzelt der 68jährige, "das ich von meinem Großvater geerbt habe." Der war Praktiker auf der Schwäbischen Alb. Und die Bonbons gab er den Bauernkindern.
Wird emiritiert: Profes
sor Klaus Eyrich (Foto: Ute Oedekoven).
Aufregendes geschah in seiner Steglitzer Anfangszeit. 1978: "Als erstes mußte ich von meinen Mitarbeitern verlangen, daß sie die Patienten bereits in der Anfangsphase einer Vo
llnarkose künstlich beatmen", die Atemfunktion also per Sauerstoffmaske unterstützen. Was Eyrich von fünf Universitätskliniken gewohnt war, stieß auf der "Insel Berlin" zunächst auf Unverständnis: "Die Oberärzte st
anden im Kreis um mich herum und protestierten. 'Beweisen Sie uns das mal!'" Der Beweis ist gelungen. Keinem Arzt würde es heute mehr einfallen, den Patienten einfach nur schlafen zu lassen. Standard ist inzwischen die engmaschige Biokontrolle, die w
ährend einer Operation alle wichtigen Körperfunktionen aufrechterhält. Eyrichs überaus beruhigendes Fazit für den Patienten: "Angst vor der Narkose braucht heute niemand mehr zu haben."
"Es ist schon faszinierend", begeistert er sich, "was aus der Kunst der Narkose in den 35 Jahren seit meinem Einstand geworden ist!" Für ihn hat das Fach ein Niveau erreicht, an dem er sich kaum noch Verbesserungen vorstellen kann. Und seine Klinik a
rbeitet heute "ganz vorsichtig gesagt" an vorderster Front im Weltmaßstab.
Ein Meister fällt natürlich nicht vom Himmel. In die große Verantwortung sei er nach und nach hineingewachsen: "Wie die Jahresringe eines Baumes haben sich verschiedene Erfahrungen bei mir aneinandergereiht." Unter Professorenkarrieren sel
ten: Eyrich ging nach dem Staatsexamen nicht sofort an die Universität, sondern vertiefte sein Wissen an Stadtkrankenhäusern, darunter in Chirurgie, Innerer Medizin und Pathologie. Später eignete sich der aufgeräumte Württemberger
auch noch das Know-how des Krankenhausmanagements an - als leitender Oberarzt an der Universitätsklinik Würzburg. "Erst von dieser breiten Basis aus habe ich als Chef der Anästhesiologie in Berlin angefangen", gibt Eyrich zu bedenken.
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br>Wie bewältigt der agile ältere Herr sein großes Pensum? 'Kurznarkose' mit Familientradition lautet die Devise: "Wie Vater und Großvater lege ich fünf- bis zehnminütige Abschaltpausen ein." Außerdem habe er sich ant
rainiert, "mit drei Hirnhälften" zu arbeiten: die eine diktiert einen Arztbrief, die andere telefoniert, und die dritte redet mit Besuchern, manchmal alles gleichzeitig. Kommt es zu emotionalen Belastungen, die das Getriebe stören, "dann wird da
s zunächst verdrängt, und später zuhause verarbeitet - leider: Das kriegt dann die Ehefau ab." Die ein Wort mitreden kann, denn sie war selber Anästhesistin, ja, sogar seine Oberärztin. Eyrich mit Selbstironie: "Die schärfste
berufliche Konkurrenz habe ich mir also weggeheiratet."
Ist ein Nachfolger gefunden - Eyrich hofft, bis zum Herbst -, will er sich gemeinsam mit seiner Frau den "Metern an Büchern und Schallplatten" zuwenden, die er bislang vernachlässigte. Auch das Reisen lockt, ganz besonders in die arabischen W&uu
ml;sten.
Sylvia Zacharias