Patientengeschichte

Jenseits von Kukident: Dritte Zähne aus Titan


"Nimm bitte bloß nicht so'n Ding zum Herausnehmen, Karl!" fleht die Ehefrau. In der Zahnklinik Süd (seit April 1994 Bestandteil einer wissenschaftlichen Einrichtung im Benjamin-Franklin-Klinikum) wurde ihr Mann vor die Wahl gestellt: abnehmbare oder implantierte, feste dritte Zähne?

Zahnklinik Aßmannshauser Straße, nächtliche Notfallambulanz. Anfang 1994. Karl Fichtes* Zahnschmerzen entpuppen sich als komplexes Krankheitsbild. Es wird ein vorläufiger Behandlungsplan aufgestellt. Vier Zähne müssen gezogen werden, darunter der hinterste Backenzahn im Unterkiefer. Ergebnis: einseitige Freiendsituation, weil die letzten drei Zähne nunmehr fehlen. Abhilfe bietet jetzt nur ein Zahnersatz, der zur täglichen Pflege immer wieder aus dem Mund herausgenommen werden müßte. Gäbe es da nicht die Möglichkeit der Implantation künstlicher Zahnwurzeln. Karl Fichte denkt an seine Frau und wappnet sich für eine längere Implantatbehandlung. Zum Glück zeigt das Röntgenbild, daß der Knochen in seinem Unterkiefer noch ausreichende Festigkeit aufweist, um eingepflanztem Zahnersatz Halt zu bieten.

Zehn Sitzungen erfordert die ganze Prozedur: acht in der Prothetischen Abteilung, zwei in der Kieferchirurgie, verteilt auf fünf Monate. Doch selbst die 90minütige Operation hat Patient Fichte bestens überstanden, ,denn ich war immer im Bilde, wie weit wir sind!" Schließlich werde jede einzelne Maßnahme vor den Studenten bzw. Dozenten ausführlich beschrieben. Zwischen 30 und 45 Arbeitsschritte sind es bis zum letzten Handgriff, schätzt sein Arzt Dr. Eduard Eisenmann, der dazu eine Dia-Serie parat hat.Viele Arbeitsgänge werden von Studenten ausgeführt. Für den 61jährigen Ruheständler kein Grund zur Berührungsangst. Er zieht die Zahnklinik einer Zahnarztpraxis vor, wegen der Gründlichkeit, wie er sagt. So war es ihm durchaus nicht unangenehm, daß sich bisweilen sechs neugierige Augenpaare in seine Mundhöhle richteten: ,Die Studenten sollen ja etwas lernen!"

Doch von vorn: Nachdem mit einer Topo-grafie der Nervenstränge - sie dürfen auf keinen Fall verletzt werden - die Voruntersuchungen in der Abteilung für Prothetik unter Dach und Fach sind, gibt Dr. Eisenmann als federführender Oberarzt grünes Licht für die Implantation. Nun gehen die Kieferchirurgen ans Werk, bohren Gewinde in den Knochen des Patienten und schrauben ihm, millimetergenau an der vorgesehenen Stelle, die Implantate ein. Es sind Schrauben, die zusätzlich zu den Kunstzähnen auch noch sogenannte Distanzhülsen zur Überbrückung des Zahnfleisches aufnehmen müssen. Dies erfordert nach dem Einheilen der Implantate, drei Monate später, einen zweiten chirurgischen Eingriff. Dann erst ist es soweit: Die neuen Zähne werden an ihren künstlichen Wurzeln befestigt.

Die Vorzüge von Implantaten sieht Dr. Eisenmann im subjektiven Wohlbefinden des Patienten: ,Karl Fichte erhält seine natürliche Kau-sicherheit zurück. Das Einfallen des Kiefers durch Knochenatrophie wie nach dem Zahnziehen wird ebenfalls vermieden." Und auch die Nervosität wegen des Kukident-Geheimnisses: Ein Implantat ist ein optimales Imitat. Aus zahnmedizinischer Sicht schon deshalb gesünder, weil das Beschleifen und Überkronen von Nachbarzähnen fortfällt. Die Implan-tattechnik verwendet heute künstliche Zahnwurzeln aus Titan. Ein Metall, das sehr gut einheilt und sich durch lange Haltbarkeit bewährt hat. Im Baukastenprinzip sind alle Einzelteile höchst präzise aufeinander abgestimmt. Systeme, bei denen das Implantat zwischen Schleim-haut und Knochen vernäht wurde, sind inzwischen veraltet.

Karl Fichtes neue Zähne sitzen wunschgemäß fest und sehen bestens aus. Um allerdings einem vorzeitigen Zahnfleischschwund vorzubeugen, muß der lebenslustige Pensionär weiterhin in den sauren Apfel unablässiger Mundhygiene und unermüdlichen Zähnebürstens beißen.

Sylvia Zacharias


* Der Name wurde von der Redaktion geändert.

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