Aus Wissenschaft und Forschung

Welche Hand hat den Stein geworfen?


Ausgeprägte Linkshänder sind eine Rarität. Innerhalb der Weltbevölkerung bevorzugt nur jeder Zehnte im Alltag eindeutig den Gebrauch der linken Greifextremität. Die Frage nach der Entstehung von Linkshändigkeit beschäftigt die Gehirnforschung bereits seit langem. Aber bisher konnte beispielsweise trotz zahlreicher Untersuchungen noch nicht eindeutig nachgewiesen werden, daß Rechts- oder Linkshändigkeit erblich ist. Fest steht jedoch: Genetisch gehört das Zentrum für die bevorzugte Hand in die linke Gehirnhälfte.

Da der Körper auf der Hirnoberfläche seitenverkehrt abgebildet wird, müßten eigentlich alle Menschen Rechtshänder sein. Bestimmte Umwelteinflüsse und äußere Faktoren können jedoch die Verlagerung des Zentrums für die bevorzugte Hand in die rechte Hirnhälfte bewirken - und einen Menschen zum Linkshänder machen. Während sich ein Großteil der Forschung zum Thema Händigkeit mit der Untersuchung der zum Teil noch unbekannten Faktoren für diese Verlagerung beschäftigt, sucht Professor Max Straschill, Leiter der Abteilung für Neurophysiologie im Klinikum Benjamin Franklin, nach objektiven Methoden zur Bestimmung von Händigkeit.

Der preußische Hofmaler Adolf Menzel malte alle seine großflächigen Ölgemälde mit der rechten Hand, während er beim Zeichnen und Radieren stets mit der linken Hand arbeitete. Eindeutig zu bestimmen, ob Menzel nun Rechts-, Links- oder gar Beidhänder war, ist heute nicht mehr möglich. Um herauszufinden, mit welcher Hand jemand seine Zähne putzt, Nägel in die Wand schlägt oder Brot schneidet, war man bisher bei allen Untersuchungen und Tests auf die Mitarbeit und Ehrlichkeit der Testpersonen angewiesen. Auf die kann man sich aber im Zweifelsfall nicht verlassen, wie Professor Straschill aus eigener Erfahrung als Gutachter vor Gericht in der Zeit der Kreuzberger Kravalle weiß. Die Verhandlungen gegen angeklagte Steinewerfer liefen immer nach dem gleichen Schema ab, erzählt Professor Straschill. "Antwortete der Zeuge auf die Frage des Richters, mit welcher Hand der Angeklagte geworfen habe, 'rechts', dann behauptete der Beschuldigte, daß er Linkshänder sei - und umgekehrt."

Als Gutachter bei diesen Prozessen war es für Professor Straschill schwierig, die Wahrheit herauszufinden, da sich die Angeklagten bei seinen Tests in der Regel nicht besonders kooperativ verhielten. Seit diesen "frustrierenden" Erfahrungen war sein Interesse groß, nach objektiven, nicht beeinflußbaren Methoden zur Bestimmung von Händigkeit zu suchen. Als er dann vor einigen Jahren las, daß man bei Messungen elektrischer Ströme an den Fingerkuppen festgestellt habe, daß die Aktionspotentiale bei den meisten Menschen an der linken Hand größer seien als an der rechten, kam Professor Straschill auf die Idee zu untersuchen, ob zwischen diesen Meßergebnissen und dem bevorzugten Gebrauch einer Hand ein Zusammenhang bestehen könnte.

Seit zwei Jahren arbeiten mehrere Doktoranden an diesem Forschungsprojekt. Der Versuchsaufbau ist einfach, kostet wenig Geld. Zunächst klärte man bei allen Probanden mit den herkömlichen Fragekatalogen und Tests, welche Hand sie bei alltäglichen Verrichtungen am liebsten benutzen. Dann wurden mit einem sogenannten Elektromyographen, einem kastenförmigen Gerät mit mehreren kleinen Monitoren, die Aktionspotentiale an den Zeige- und Kleinfingern gemessen. Dazu wird eine Elektrode mit einem Gummiband am Zeigefinger befestigt, der Fingernerv elektrisch gereizt und das so erzeugte sensible Aktionspotential des Fingernerven registriert.

Bei diesen Versuchen zeigte sich nun überraschenderweise, daß bei 99 Prozent aller Rechtshänder die Werte am linken Zeigefinger, also gerade nicht an der Gebrauchshand, größer waren. Bei den Linkshändern war es umgekehrt. Nun mußte eine Erklärung für dieses Phänomen gefunden werden. Straschills erste und naheliegendste Vermutung, daß die dickere Hornhaut an den Fingerkuppen der Gebrauchshand die geringeren Meßwerte verursachen könnte, bestätigte sich nicht: Die Ergebnisse blieben auch nach dem Abtragen der Hornhaut gleich. Überprüft wurde auch, ob ein Zusammenhang zwischen der bei allen Menschen unterschiedlichen Dicke der Finger und der Potentialgröße besteht. Diese Untersuchung steht kurz vor dem Abschluß und hat bisher gezeigt, daß die Potentialamplitude umgekehrt proportional dem Quadrat des Fingerdurchmessers ist.

Kleine Umfangsunterschiede, wie sie zwischen den Fingern der Gebrauchshand und der anderen Hand kaum meßbar bestehen, bedingen wegen dieser quadratischen Abhängigkeit deutliche, gut meßbare Amplitudenunterschiede.

Betina Meißner


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