Das Februar-Portrait

800mal biographischer Hürdenlauf


1990 erschien Rolf Winaus "Medizin in Berlin". Als seine Mitarbeiterin Jutta Buchin, Bibliotheksangestellte im FU-Institut für Geschichte der Medizin, das Buch zur Hand nahm, konnte sie kaum glauben, daß Ärztinnen darin schlicht nicht vorkamen. Dieser Moment war wohl die Initialzündung für eine Dokumentation über Ärztinnen, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs approbierten - und die Jutta Buchin buchstäblich aus dem Nichts erarbeitete. Für das in ihrer Freizeit erstellte Ergebnis wurde die 47jährige am 21. Dezember mit dem Margherita von Brentano-Preis ausgezeichnet.


Margherita von Brentano-Preisträgerin: Jutta Bachin

Dieser 1995 erstmals vom Präsidenten der FU verliehene und mit 20.000 Mark dotierte Preis ist ausdrücklich auf Projekte mit frauenfördernder Wirkung beschränkt. Und bei Buchins Projekt kann man längst von Breitenwirkung sprechen. Das inzwischen auf 800 Ärztinnen der ersten Generation angewachsene Archiv - von A wie Hope Bridges Adams-Lehmann bis Z wie Rosa Zuntz - bildete auch die Grundlage für die bereits an zwölf Orten präsentierte Ausstellung "'Weibliche Ärzte'. Die Durchsetzung des Berufsbildes in Deutschland."

Darüber hinaus ist am Institut für Geschichte der Medizin das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt "Ärztinnen im Kaiserreich" entstanden. Zwei Studentinnen und eine Wissenschaftlerin führen darin auch die von Jutta Buchin begonnene Archivierung weiter. Daran, daß aus ihrem Projekt ein Gemeinschaftsprojekt wurde, aus dem auch so manche Dissertation entsteht, mußte sich die 'Geburtshelferin' erst gewöhnen. Doch inzwischen genießt sie, nicht mehr allein für die Riesensammlung zuständig zu sein. Das gibt ihr Raum für eine Spezialisierung: die frühe Netzwerkarbeit von Ärztinnen, der Arbeit also, die diese in Frauenkliniken, Gemeinschaftspraxen und Vereinen leisteten.

Als Jutta Buchin vor sechs Jahren begann, den Lebensläufen der ersten Frauen im Arztberuf nachzuspüren, fing sie mit Biographien der Pionierinnen Käthe Frankenthal und Franziska Tiburtius an.

,Zielorientiert" sei sie dabei gar nicht vorgegangen, sei sie doch eher der Typ, der einen "kleinen Anfang" finde, um dann zu sehen, was daraus werde. Ihre Archivarbeit barg so manche Klippe, denn grundsätzlich ist es schwerer, den Lebensweg von Frauen zu verfolgen als den von Männern. "Frauen ändern ihren Namen", sagt Jutta Buchin lapidar. Was für sie bedeutet, daß sie, egal, was auch immer sie zu lesen bekommt, gründlichst studieren muß - damit sie der richtigen Frau auf der Spur bleibt. Diese bis zum Ende zu verfolgen, ist ebenfalls nicht leicht, denn: "Frauen bekamen kein Nachrufe!"

Um Lebensläufe zu rekonstruieren, wälzte die bis zum ersten Staatsexamen ausgebildete Lehrerin also Reichsmedizinalkalender, Hochschulschriftenverzeichnisse, medizinische Zeitschriften und Vereinsberichte. Da rund ein Drittel der Frauen jüdischer Herkunft waren, zog Jutta Buchin auch das Handbuch der deutschen Emigration, das American Medical Directory und das Auschwitz-Gedenkbuch zu Rate.

Das nächste große Ziel ist auch schon angepeilt: ein biographisches Lexikon der Pionierinnen im Arztberuf. Mit dem Preisgeld, das wieder in Forschung und Lehre fließen muß, wird Jutta Buchin auch "kleine Forschungsreisen" unternehmen. Ansonsten fühlt sie sich am richtigen Ort: "Bibliotheksangestellte zu sein, ist nicht aufregend", sagt sie, aber "ich habe es mir interessant gemacht und Unterstützung gefunden".

Und spannend macht sie es sich auch gerne mit ihrer privaten Lektüre, mit Krimis - vorzugsweise von Frauen. Daß ihre 19jährige Tochter Katja "nicht besonders frauenbewegt ist", nimmt sie gelassen hin: Was nicht ist, kann ja noch werden.

Felicitas Wlodyga


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