Patientengeschichte: Risikoschwangerschaft

Zwillinge - wenn einer auf Kosten des anderen wächst...


"Am Anfang habe ich Mirima und Alisa noch verwechselt. Ich wußte manchmal nicht mehr, welche von beiden ich gerade gefüttert habe", gesteht Carola Hinz* lachend. Ihre vier Monate alten Zwillingsmädchen gleichen sich sprichwörtlich 'wie ein Ei dem anderen'. Einziges Unterscheidungsmerkmal: Mirimas Hinterkopf ist etwas stärker ausgeprägt. "Und wenn ich ganz sicher gehen will, ziehe ich ein Kind aus", sagt Carola Hinz, "denn Alisa hat ein kleines Blutschwämmchen am Bauch".

Die Freude an ihren beiden gesunden Babies läßt Carola Hinz die schwierige Schwangerschaft vergessen. Der Frauenarzt überwies die Patientin an die Risiko-Schwangerenberatung des Universitätsklinikums Benjamin Franklin. Das war gut so. Denn hier entdeckte Dr. Michael Entezami, daß es sich um ganz besondere Nachkommen handelt: um eineiige Zwillinge. Doch die beiden hatten sich einen Mutterkuchen zu teilen und damit verband sie ein Risiko, das 66% aller eineiigen Zwillinge trifft: die Gefahr des sogenannten fetofetalen Transfusionssyndroms. Bei diesem Syndrom kommt es zwischen den Kindern zu einer unausgewogenen Blut- und Nährstoffübertragung aus dem Mutterkuchen.


Nach der glücklichen Geburt:Carola Hinz mit Mirima und Alisa

Ein fataler Kreislauf entsteht: Ein Fötus beginnt auf Kosten des anderen zu wachsen. Er wird zu groß und entwickelt durch die übermäßige Blutzufuhr eine relative Herzschwäche. Für den zweiten Fötus bedeutet die Überversorgung des anderen eine lebensbedrohende Unterversorgung: er bleibt zu klein, weil er zuwenig Blut erhält. Mit dem Transfusionssyndrom steigt grundsätzlich das Risiko einer Früh- oder Fehlgeburt. Schlimmstenfalls kann es zum Absterben der Feten führen.

Ab der 20. Schwangerschaftswoche setzte bei Carola Hinz deshalb eine engmaschige ärztliche Überwachung ein: Alle zwei Wochen ging sie zum Ultraschall ins Klinikum, in den letzten 28 Tagen sogar jede Woche. Dr. Entezami kontrollierte die Größe der Kinder, ihre Durchblutung, eine eventuelle Herzüberlastung und die Fruchtwassermenge. Die Erfindung des farbigen Ultraschalls - die Farbdoppler-Sonographie - leistete ihm bei der Diagnostik große Dienste, denn damit werden Störungen der Herzfunktion erfaßbar.

"Zum Glück setzte das Transfusionssyndrom bei Carola Hinz nicht ein. Nach jeder Kontrolle konnte die Patientin erneut aufatmen: "Die Einzelheiten erklärte mir der Doktor mit viel Geduld -, und ich wußte auch, wie man den Kindern im Zweifelsfall helfen würde." Denn es besteht die Möglichkeit, die Folgen der Überernährung des einen Kindes auszugleichen. Dazu Entezami: "Das Kind, das ständig zu viel Blut und damit zu viel Flüssigkeit bekommt, erzeugt auch zu viel Fruchtwasser, - das entsteht ja durch die Urinproduktion der Feten. Diesen Überschuß können wir ableiten. Die Herzschwäche dieses Kindes würden wir dann mit Medikamenten, die wir der Mutter geben, behandeln."

"Die Geburt war ganz so, wie ich es mir gewünscht hatte: nicht verfrüht, sondern nach neun Mondmonaten, in der 36. Woche. Und schnell ging es auch: Zweimal gepreßt - war das erste Kind da. Noch zweimal gepreßt - war das zweite auch da!", erinnert sich die 31jährige, die sich so sehr das Erlebnis einer 'richtigen' Geburt gewünscht hatte. Und für Geburtshelfer Entezami war es Routine, das erste Kind aus einer Schädellage und das zweite aus einer Beckenendlage ans Licht der Welt zu holen. Für die junge Mutter ist nun erst einmal wichtig, den Alltag zu meistern. Und der hält sie zur Zeit 21 Stunden täglich auf Trab - auf mehr als drei Stunden Schlaf kommt sie noch nicht.

Sylvia Zacharias


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