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FU-N 5/2000
Titel
Rechtsmedizin - zwischen Fiktion und Realität

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Krimi-Beratung an der FU
Rechtsmedizin – zwischen Fiktion und Realität

Von Markus Rothschild

Gehirnzellen, Prellungen, Schwellungen – war es Mord?
Gerichtsmediziner wissen mehr...   
Foto: Portnoi

Dr. Markus Rothschild (Institut für Rechtsmedizin der FU) ist Fachberater der ZDF-Krimireihe "Der letzte Zeuge", in deren Mittelpunkt ein Gerichtsmediziner (dargestellt von Ulrich Mühe) und seine Methoden zur Aufklärung ungewöhnlicher und mysteriöser Todesfälle steht. Die mehrfach ausgezeichnete Sendereihe läuft mittwochs um 20.15 Uhr im ZDF.

Wir haben viel zu tun in dieser faszinierenden Stadt Berlin. Nicht, weil soviel getötet wird, sondern weil diese riesige Stadt ein unglaubliches Potenzial an immer neuen rechtsmedizinischen Fragestellungen aufwirft. Tatsächlich sind viele unserer Fälle so skurril, dass sie vermutlich keiner glauben würde. Die besten Geschichten schreibt eben doch das Leben – oder der Tod.

Sie fragen sich, wie ich bei der vielen Arbeit noch Zeit finden konnte, einem Filmteam beratend zur Seite zu stehen? Nun, hier bot sich die Möglichkeit, das Pferd einmal von der anderen Seite aufzuzäumen. Ich mordete mit.

Mit Knarre und Hirn –
Markus Rothschild gibt Krimi-Tipps aus der Praxis

Foto: Portnoi

Normalerweise fahre ich in meinem Bereitschaftsdienst zu Leichenfundorten, wo ich die Körper Verstorbener untersuche. Manchmal handelt es sich um ein Tötungsdelikt. Dann ist es unsere Aufgabe, am Tatort und anschließend im Sektionssaal sowie noch später im Labor alle Befunde wie ein Puzzle zusammenzufügen, um so zu rekonstruieren, was sich in den letzten Lebensaugenblicken des Opfers abgespielt hat. Ich nehme also das Ende des Fadens auf und lasse mich an den Anfang des Geschehens leiten. Und nun kommt mit schöner Regelmäßigkeit der Drehbuchautor Gregor Edelmann vorbei und sagt zum Beispiel: "Ich habe die Geschichte fast fertig. Nur ein kleines Problem. In der Mitte der Story muss der Ehemann getötet werden. Er muss nach der Einwirkung sofort bewusstlos werden, darf aber erst nach cirka 30 Minuten sterben. Äußerlich dürfen an der Leiche keine Verletzungen zu sehen sein, eine Vergiftung darf es auch nicht sein, und bei der Obduktion muss der Gerichtsmediziner zwar stutzig werden, bekommt die Art der Tötung aber erst mit einer Spezialuntersuchung heraus, die drei Tage dauern muss. Sage mal schnell, was die Ehefrau da machen muss."

Rothschild –
the Brain

Foto: Portnoi

Ich gestehe, dass das seinen Reiz hat. Nicht zuletzt, weil Gregor Edelmann nicht nur ein hervorragender Autor, sondern auch ein guter Journalist ist, der für jedes Drehbuch absolut penibel recherchiert. Ich glaube, er kennt sich in unserer Bibliothek mittlerweile besser aus als mancher Institutsassistent. Deshalb musste er auch ab und an gebremst werden, weniger von mir, sondern vielmehr vom Dramaturgen Dr. Lutz Groth. Dieser verstand es mit diplomatischem Geschick, Ausdauer und gütiger Kompromisslosigkeit, Gregor Edelmann immer wieder in die Welt der Fernsehserie zurückzuholen. Eigentlich ist jede einzelne Folge dicht wie ein Kinofilm.

Umgekehrt haben sich auch Drehbuchautor und Dramaturg in den Bann der realen Rechtsmedizin ziehen lassen. Und nicht nur die vordergründigen Fragestellungen und Probleme fanden Einlass in die Serie und ihre Charaktere, sondern auch so alltägliche Dinge wie der enge Finanzrahmen in Justiz und Universität, der manche wichtigen Untersuchungen nicht erlaubt, obwohl sie rechtsmedizinisch angezeigt sind, oder die täglichen "kleinen Fälle", die eigentlich keine großen Sachen sind, aber doch Zeit und Einfühlsamkeit erfordern. Da wo auch Ulrich Mühe vom Mediziner zum Arzt wird.

Die Serie ist unglaublich realistisch, vor allem dank der auf mich überzeugend wirkenden Schauspieler, der hervorragenden Regie sowie der erschreckend guten Maske. Zwei Komplexe in der Serie stimmen mit der Realität jedoch nicht überein: Erstens führen wir als Rechtsmediziner keine Ermittlungen auf eigene Faust durch, was hier dramaturgisch aber sein muss. Und zweitens: Immer wenn die Story geschrieben war, dann schauten Gregor Edelmann und ich uns an und hatten ein dummes Gefühl. Warum? Die Fälle, die dort beschrieben werden, funktionieren wirklich. Manche Tötungsmethode wäre praktisch nicht nachweisbar gewesen. Also haben wir überall etwas verändert, hier eine andere Dosis, dort anstatt eines Giftes eine harmlose Substanz genannt und immer wieder mal eine Untersuchungsmethode verschwiegen, mit der man das Ganze sofort hätte feststellen können.

Fiktion und Realität wären sonst vielleicht eins geworden.