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FU-N 5/2000
Schwerpunkt Informatik

Die Zukunft der Informatik

Interview mit FU-Präsident Gaehtgens

Interviev mit der Dekanin des FBs Mathematik und Informatik


Kaum jemals hat ein auf der Cebit von einem Bundeskanzler gemachter Vorschlag eine ähnliche gesellschaftspolitische Diskussion in Gang gesetzt, wie der Ruf Gerhard Schröders, Computerspezialisten aus dem Ausland nach Deutschland kommen zu lassen. Dabei wurde die universitäre Informatik von der Politik jahrelang vernachlässigt. Auch die Informatik der Freien Universität war durch einen Auflagenbeschluss des Berliner Senats jahrelang von der Schließung bedroht. Auf dieser Seite wollen wir die Situation der Informatik an der FU vorstellen.


Informatik in einzelnen Fachbereichen:

Diese Aufstellung ist das Ergebnis einer Umfrage an den Fachbereichen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. So wäre – insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern – die "normale" wissenschaftliche Arbeit ohne Informatik längst nicht mehr leistungsfähig.

Auch die Eigendarstellungen im Internet und andere Internetprojekte, die häufig technisch und redaktionell von Studenten betreut werden, sind hier nicht berücksichtigt.

FB Humanmedizin
Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie: Den Schwerpunkt bildet hier die Bilddatenverarbeitung, außerdem übernimmt das Institut die Verwaltung der Patientendaten.
FB Veterinärmedizin
Das Institut für Biometrie und Informationsverarbeitung ist für die Organisation der zentralen Datenverarbeitung des FB zuständig. Im Projekt "Klinik 2000" wird ein Klinik-Informationssystem entwickelt.

FB Wirtschaftswissenschaft
Institut für Produktion, Wirtschaftsinformatik und Operation Research. Die Wirtschaftsinformatik befasst sich über die Statistik hinaus mit der Informations- und Kommunikationstechnik. In den 80er Jahren gab es z.B. ein Projekt mit IBM, bei dem ein Intranet aufgebaut wurde.

FB Politik- und Sozialwissenschaften
Der Arbeitsbereich Informationswissenschaft befasst sich u.a. mit Anwendungsfeldern von Multimedia und Internet sowie der Gestaltung von Softwareprodukten und dem Software-Marketing.

FB Erziehungswissenschaft und Psychologie
Gemeinsame Einrichtung Datenverarbeitung und informatische Bildung: Der Arbeitsbereich Audiovisuelle Medien ist ein reiner Servicebereich, der sich mit der Digitalisierung von Videos beschäftigt. Außerdem bietet die Einrichtung verschiedene Kurse zur Weiterbildung im Informatikbereich an, wie z.B. die Möglichkeit, die "European Computer Driver’s License" zu absolvieren.

FB Geschichts- und Kulturwissenschaften
Vor allem bei den Kunstwissenschaften gibt immer wieder Projekte wie das aktuelle EU-finanzierte Projekt "GIOVE", das Teil eines Vorhabens zur Erforschung der europäischen Sammlergeschichte ist und bei dem die Sammlung Giustianis in Form einer Datenbank ins Internet gestellt werden soll.

FB Philosophie und Geisteswissenschaften
Das DFG-Projekt "Digitalisierung und Derealisierung" beschäftigt sich in vier Teilprojekten mit der Fragestellung, welchen Einfluss die Neuen Medien auf die gesellschaftliche Wirklichkeit haben.

FB Mathematik und Informatik
Das Institut für Mathematik arbeitet eng mit dem Institut für Informatik zusammen. Beispiele sind die Graduiertenkollegs "Algorithmische Diskrete Mathematik" und "Combinatorics, Geometry and Computation" sowie "Scientific Computing". Zusammenarbeit besteht auch mit dem Konrad-Zuse–Zentrum und in der Lehre vor allem über Serviceveranstaltungen.

FB Physik
Die Teildisziplin "Computational Physics and Quantum Fields Theory" beschäftigt sich mit der Lösung von physikalischen Problemen mithilfe von Computersimulationen. Außerdem wird im Bereich "Super Computing" an der Programmentwicklung für massiv-parallele Rechner geforscht.

FB Biologie, Chemie, Pharmazie
Das Graduiertenkolleg "Signalketten in le-benden Systemen" modelliert mithilfe von Methoden aus der Informatik die Reizentstehung und Weiterleitung in bzw. zwischen Zellen.

FB Geowissenschaften
Die Geoinformatik befasst sich mit statistischen Auswertungen von geologischen Daten und der Visualisierung sowie Simulation von geologischen Vorgängen.

   

Als high-tech Gastarbeiter in Deutschland
oder die Zukunft der Informatik
Die schwerelose Gesellschaft

Von Raul Rojas

Prof. Rojas ist Geschäftsführender
Direktor des Instituts für Informatik

Foto: Ausserhofer

Die anhaltende Diskussion über die "Green-Card" für high-tech Gastarbeiter macht deutlich, wie sehr Computer und Rechnernetze unsere Welt verändert haben. Der Drang zur Informatisierung hat alle traditionellen Berufe auf den Kopf gestellt. Betriebswirte müssen heute zum Beispiel genauso gut mit traditionellen Begriffen wie "Marktsegmente" und "Organisationsstrukturen" als auch mit neuen Erscheinungen wie "Electronic Commerce" und "Workflow" umgehen können. Der Industriedesigner entwirft nicht mehr nur Plakate und Werbung für Magazine, sondern auch Web-Seiten und interaktive Bilder. Traditionelle Medien wie Funk und Fernsehen greifen immer mehr auf das World-Wide-Web zurück und verzahnen ihre Sendungen mit Online-Angeboten. Und spätestens seitdem die Encyclopedia Britannica den gesamten Inhalt ihres berühmten Nachschlagewerks ins Web gestellt hat, war klar, dass uns die vor Jahren immer wieder angekündigte Informationsgesellschaft, in der Waren und Dienstleistungen schwerelos durch Computernetze gleiten, über Nacht überrumpelt hat.

Dieser gewaltige Umstrukturierungsprozess ist nicht frei von Paradoxen: So stehen den Millionen Arbeitslosen Tausende von unbesetzten Stellen für EDV-Spezialisten gegenüber. Viele von ihnen sind mit ihrer heutigen Qualifikation für den aktuellen Arbeitsmarkt nicht mehr brauchbar. Wir können sie aber unent-behrlich machen, wenn es uns gelingt, sie auf die veränderten Berufsanforderungen umzuschulen. Diese Aufgabe ist insbesondere eine Herausforderung für die Universitäten, die schon jetzt Vorsorge treffen müssen, die Spezialisten und nicht die Arbeitslosen von morgen zu produzieren.

Die Universitäten können sich in der heutigen Situation nicht einfach den Realitäten des Arbeitsmarktes verweigern. Der Arbeitsmarkt für EDV-Spezialisten ist jedoch wie eine Pyramide: Ganz oben stehen die Systemtechniker und Programmierer, die komplexe Hardware und Software entwerfen können. Die nächste Stufe wird von Systemintegratoren besetzt, die aus vorhandenen Software- und Hardwarebausteinen betriebliche Anwendungen zusammenstellen können. Weiter unten in dieser Hierarchie finden wir die Systemadministratoren, Webseiten-Designer usw. Es herrscht Personalmangel auf allen Ebenen, aber vor allem auf der untersten.

Die Universitäten bilden traditionell die Spitze der Pyramide aus, die 1999 in Deutschland aus 363.500 Computerfachleuten bestand. Allein von 1993 bis 1999 kamen zu den vorhandenen 250.000 Spezialisten circa 113.000 hinzu. Wenn man aber professionelle Computeranwender zählt, d.h. solche, die im Rahmen ihrer Tätigkeit mit Computern umgehen müssen, ergibt sich, dass heute mehr als 3 Millionen Angestellte nicht-triviale Computerkenntnisse brauchen. Sicherlich sind viele der unbesetzten Arbeitsplätze für "Inder" vor allem solche, die nicht direkt mit "high-tech" zu tun haben, sondern mit Computeranwendungen (im Übrigen gab es 1999 in ganz Deutschland nur 145 Computerfachleute aus Indien!).

Es ist meine Überzeugung, dass deutsche Universitäten durch geeignete Qualifizierungsmaßnahmen einen großen Teil der arbeitslosen Akademiker in kürzester Zeit umschulen könnten. Dies ist eine neue Aufgabe, die die Universitäten bewusst aufnehmen und umsetzen sollten. Weiterhin sollen wir die Spitze der Pyramide, hoch qualifizierte Informatiker ausbilden. Nun ist es deutlich, warum die vor einigen Jahren geplante Schließung der FU-Informatik ein gravierender Fehler gewesen wäre – eine Universität ohne Informatik ist heute kaum vorstellbar.

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Nothilfe für Informatik

FU-Präsident Prof. Dr. Peter Gaehtgens


FU-N:
Die Bundesregierung beklagt sich, dass es zuwenig gut ausgebildete Informatiker auf dem Arbeitsmarkt gibt und möchte deshalb erfahrene Spezialisten aus dem Ausland holen. Verbirgt sich hinter dem Ruf nach Spezialisten nicht auch ein Versagen der Politik, die die Universität seit Jahren unterfinanziert?

Gaehtgens:
Nicht nur unterfinanziert: Politiker haben ja ganze Informatikstudiengänge gestrichen und auch an der FU sollte das nach dem Willen des Berliner Senates erfolgen. Aber natürlich kann heute der Expertenimport nicht die Notwendigkeit ersetzen, im Inland verstärkte Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Ebenso wenig darf man vergessen, dass auch die Wirtschaft noch vor wenigen Jahren vor den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen gewarnt hat

FU-N:
Die Wirtschaft verlangt im Zuge der Globalisierung bessere Arbeitsbedingungen für Ausländer, die weit über die Green-Card für Informatiker hinausgehen. Wie kann die Universität dieses Anliegen unterstützen?

Gaehtgens:
Universitäten sind naturgemäß internationale Einrichtungen. Aber natürlich wäre es hilfreich, wenn auch mehr Geld für Gastwissenschaftler oder den internationalen Studienaustausch zur Verfügung stünde. Es ist ja nicht so, dass nicht genügend Kontakte zu anderen Universitäten bestünden oder hergestellt werden könnten. Das Problem ist auch hier die Finanzierung, abgesehen von den allgemeinen Lebensbedingungen und den Berichten über Fremdenfeindlichkeit, die im Ausland leider Wirkung zeigen.

FU-N:
Das Präsidium der Freien Universität hat Anfang März ein "Sofort-Hilfe-Programm" entwickelt, um die Ausbildungskapazität in der Informatik zu erhöhen.

Gaehtgens:
Das Präsidium ist entschlossen, Stellen im wissenschaftlichen Mit-telbau vorrangig und die freie Professur "Technische Informatik" umgehend zu besetzen, aber dies alles bewegt sich zunächst alles noch innerhalb des Rahmens der Strukturplanung. Auch die Entwicklung eines Bachelor bzw. Master of Science-Studiengangs wird vorangetrieben. Und es werden Kontakte mit dem Senator für Wirtschaft und verschiedenen Unternehmen vorangetrieben, um einem noch genauer zu definierenden Bedarf entsprechen zu können.

Foto: Krüger

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Hoffen auf ein Wunder

Prof. Dr. Elfriede Fehr ist Dekanin des Fachbereichs Mathematik und Informatik

FU-N:
Wird es zum Wintersemester einen NC im Fach Informatik geben?

Fehr: Wir hoffen noch auf ein Wunder. Ansonsten muss der NC sein, weil wir eine weitere Verschlechterung der Betreuungssituation nicht verantworten können.

FU-N:
Warum brechen so viele Studierende ihr Informatik-Studium ab?

Fehr:
Im ersten Semester gibt es bundesweit eine hohe Schwundquote (ca. 30%), weil viele Studienanfänger den Anforderungen des Studiums nicht gewachsen sind. Es fehlt an mathematischer Begabung und Fähigkeit zur Abstraktion. Im jüngsten Semester hat bei uns die Überfüllung des Hörsaals und der Übungsgruppen einige Studierende zusätzlich abgeschreckt. Ab dem zweitem Semester ist die Schwundquote bis nach dem Vordiplom gering. Im Hauptstudium werden einige Studenten noch vor ihrem Studienabschluss abgeworben oder machen sich selbstständig.

FU-N:
Was müsste geschehen, um die Situation der Informatik zu entspannen?

Fehr:
Eine massive Ausweitung der Ausbildungskapazitäten vor allem an den Universitäten würde das Problem langfristig lösen. Kurzfristig muss mit grünen Karten und Weiterbildung versucht werden, die schlimmsten Engpässe zu mildern. An der FU wäre ein Ausbau gemäß der Empfehlungen der auswärtigen Evaluationskommission von 1997 auf insgesamt 14 Professuren notwendig. Es gibt aber niemanden, der das finanziert (zusätzlich 3,5 Millionen).

FU-N:
Was zeichnet die FU-Informatik vor anderen Hochschulen aus?

Fehr:
In der Forschung der international renommierte Schwerpunkt im Bereich "Effiziente Algorithmen" u.a. ausgewiesen durch das Europäische Graduiertenkolleg "Combinatorics, Geometry, and Computation". In der Lehre eine gute Grundlagenausbildung im ersten Studienabschnitt und eine breite Palette möglicher Schwerpunktbildungen im Hauptstudium. Dazu gehören neben den im Institut vertretenen Teilgebieten der Kerninformatik auch anwendungsorientierte Studienschwerpunkte wie Medizininformatik, Wirtschaftsinformatik, Scientific Computing, Bioinformatik und Geoinformatik. Eine weitere Besonderheit ist ein Semester "Praxisphase" im Hauptstudium, das entweder im Ausland oder in Form einer berufspraktischen Ausbildung absolviert werden kann. Die räumliche Situation der FU-Informatik ist perfekt. Ein bildschöner Neubau mit zwei glasüberdachten Innenhöfen mitten auf dem Campus gegenüber dem Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik (ZIB) und in unmittelbarer Nachbarschaft zur Mathematik, Physik, Chemie und Biologie. Der Lehramts- und Magisterausbildung im Fach Informatik wird an der FU besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

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