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Prof. Christof Schütte erhält die zweite
S-Professur im Bereich Scientific Computing
"Es gibt nichts, was außerhalb des Zufalls liegt"


VON STEFFI BARBIRZ

Fachbereich Mathematik und Informatik -
neuer Wein in alten Schläuchen

Foto: Sobolewski

Ein "Gefühl für Zahlen", das habe er wohl als Kind schon gehabt, gibt Prof. Christof Schütte bescheiden zu. Ansonsten aber sei der Weg zum Mathematiker überhaupt nicht vorgezeichnet gewesen, versichert der erst Dreiunddreißigjährige, und allein ein Produkt des Zufalls. Dass aber Zufälle für gute Lösungen entscheidend sein können, weiß Schütte aus Erfahrung mit seinem Arbeitsgebiet, der numerischen Mathematik: Allein mit Hilfe der Statistik lassen sich hier Antworten auf so komplexe Rechenprobleme geben, wie sie bei der Beschreibung von Biomolekülen entstehen.

Es ist nicht leicht, sich von diesen Substanzen ein Bild zu machen, weil sie – wie alle chemischen Stoffe – keineswegs starre Gebilde sind. Vielmehr sind z.B. Proteine, aber auch kleine Moleküle wie Hormone oder Arzneiwirkstoffe, ständig in Bewegung und ändern ihre Form, die sogenannte Konformation. Auf diesen Konformationen und ihren Änderungen beruht alle Kommunikation zwischen Biomolekülen und letztendlich das Leben überhaupt. Doch die Bewegungen eines großen Biomoleküls mathematisch exakt zu berechnen, ist selbst mit Supercomputern unmöglich. "Es ist egal, welchen Zauber man mit dem Rechner veranstaltet", beschreibt Schütte ein Dilemma prinzipieller Art, "man kennt nie genau den Anfangszustand des Problems", die scharfe Momentaufnahme des Moleküls also, die nötig ist, um daraus alle anderen Bewegungen zu schlussfolgern. Weil die Mathematiker nur ungefähre Anfangsbedingungen benutzen können, enden ihre numerischen Berechnungen oft im Chaos. Aber auch ihr Handwerkszeug, die numerische Mathematik, hat Grenzen. Selbst wenn man nämlich den Zustand für den Start der Berechnungen genau beschreiben könnte, entstehen beim Rechnen winzige Fehler, die sich genauso katastrophal auswirken und die Berechnungen zum Scheitern bringen. Da kommt den Wissenschaftlern der Zufall zu Hilfe: Letztlich sind Strukturänderungen von Molekülen nämlich nichts anderes als seltene statistische Ereignisse. Deren Wahrscheinlichkeit könnte zwar in Experimenten bestimmt werden, doch die Ergebnisse solcher Messungen würden Jahre auf sich warten lassen. Die Mathematiker dagegen können die Zufälligkeit von Molekülstrukturänderungen berechnen und schränken so das Problem auf das ein, was statistisch entscheidend ist: "Wir berechnen nur die statistisch wahrscheinlichen Zustände", sagt Schütte. So beschränken die Mathematiker die Information auf die wirklich wichtigen Molekülstrukuren, wie man sie z.B. für die Entwicklung von Arzneistoffen benötigt.

Christof Schütte

Foto: Dahl

Christof Schütte schätzt sein vielseitiges Themengebiet, das nicht dem Vorurteil über eine Mathematik entspricht "wo man nur mit Bleistift Formeln auf irgendwelche Zettel schreibt", sondern Computer benutzt und mit Anwendern kooperiert. Und das, obwohl er eigentlich nie Mathematik studieren wollte. "Als Schüler erschien mir Mathe als brotlose Kunst", erinnert sich Schütte. Der gebürtige Westfale hat zuerst in Paderborn Informatik studiert, ist dann aber "in die Physik geraten" – und dort in der Diplomarbeit wieder der Mathematik und dem Zufall begegnet. Im Bereich Wissenschaftstheorie hat er sich mit der Frage beschäftigt, was Wahrscheinlichkeiten prinzipiell bedeuten. Zumindest haben "Zufall und Glück" für ihn selbst viel bewirkt, meint Schütte, z.B. bei seiner Aufnahme in die Studienstiftung. Und schließlich wollte es der Zufall, dass er gemeinsam mit seiner Frau im Jahr 1991 nach Berlin gezogen ist. Auf der Suche nach einer Promotionsstelle kam er zur Mathematik an die FU. Seitdem arbeitet er mit Prof. Peter Deuflhard am Konrad-Zuse-Zentrum (ZIB) in der numerischen Mathematik, wo er auch promoviert und sich habilitiert hat. "Es gibt wenig, was außerhalb dieses Zufalls liegt", lacht Schütte, "ich wusste vorher nicht, was Numerik ist." Ende des Jahres 1999 hat er eine C4-Professur im Schwerpunkt "Scientific Computing" an der FU erhalten.

"Ein einmalig vielfältiges Arbeitsgebiet", findet Schütte. Hier ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Physikern, Chemikern und Informatikern Grundvoraussetzung. Der Interdisziplinarität verpflichten will sich Christof Schütte auch an der FU. Besonders in der Lehre ist es ihm wichtig, Brücken in andere Fachbereiche zu schlagen und so den zukünftigen Anwendern mathematische Methoden vertrauter zu machen. In seiner Arbeitsgruppe arbeiten deshalb auch Chemiker und Informatiker. Für Schütte ist das gleichzeitig eine Möglichkeit, anhand der praktischen Anwendungsbeispiele die eigenen mathematischen Methoden weiterzuentwickeln und nicht nur für ein spezielles Problem zu benutzen. "Wir versuchen die Fragestellung immer so einzuschränken, dass man sie übertragen kann". Ohne Frage sind Kooperationspartner aus der Industrie leicht für Methoden zur genauen Darstellung einzelner Biomoleküle zu gewinnen. Schwerer fällt es jedoch, sie davon zu überzeugen, dass die Mathematiker dazu auch ihre allgemeinen Rechenmethoden weiterentwickeln müssen. "Von diesem Dogma werden wir uns nicht trennen", betont Schütte, "Mathematik bleibt immer auch Grundlagenforschung."