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Ulrich Peltzer und die Freie Universität

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Manfred Fabricius

   
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Alle waren zu schwierig


Es gibt Menschen, die möchte man nicht missen, machen sie doch den Alltag weniger grau. Einer davon ist der Besitzer der Buchhandlung Kirschkern. So war es einmal wieder einer jener Abende im Winter kurz vor Weihnachten, als ich das dritte Mal in der Woche mit einem Sonderwunsch die Buchhandlung betrat. "Vor ein paar Wochen habe ich eine Buchbesprechung über einen jungen Autor im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gelesen, in dessen Roman die FU vorkommt", ließ ich das Besitzer-Paar der Buchhandlung Kirschkern wissen. Name, Verlag, Buchtitel waren mir entfallen, so dass ein Ratespiel begann. Natürlich kamen wir auf Dieter Schwanitz, schwenkten über zu Thea Dorn, die in Hamburg gerade ein Stück über Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl inszeniert – bis uns nichts mehr einfiel. In dem Moment, als der Besitzer der Buchhandlung den Korken aus einer Flasche Rioja zog, sagte seine Frau "Peltzer, natürlich Peltzer, der muss es sein".

In der Tat war von dem vielgelobten Autor, der nach Ansicht der Frankfurter Rundschau "Joyce auf den Kopf stellt", ein Buch neu erschienen, das ich wenige Tage später in den Händen hielt. Im Mittelpunkt des Romans "Alle oder keiner" steht der Psychologe Bernhard, wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Forschungsinstitut der Freien Universität. Im Stil nicht ohne eine gewisse Form des Selbstmitleides handelt dieser Bernhard, wie jemand der scheinbar bürgerlich lebt, ohne je wirklich erwachsen zu werden. Detailverliebt schildert Peltzer den Alltag in Berlin der neunziger Jahre und springt dabei – ohne Punkt und Komma – wie Marcel Proust von der Vorbereitung zur Institutssitzung, einer Straßenschlacht mit der Guardia Civil hinein ins Bett zu einer Kongressteilnehmerin in Bukarest. Statt sinnlichem Empfindens schwelgt Peltzer in Einzelheiten und lässt den Erzählstil durch zahlreiche Erinnerungsschübe unterbrechen. In einer Rezension im "Spiegel" bezeichnete der Autor Bernhard als eine Figur, "die im Grunde nie richtig dabei war". Ähnlich wie die Figur des Bernhards – der mit 39 Jahren in einer WG wohnt, wissenschaftlich über Verbrecherprofile forscht und eine junge Freundin liebt – zeichnet Peltzer ein nur schemenhaftes Bild von der Freien Universität. "An jedem zweiten Montag ist Institutsplenum, bei schönem Wetter im Garten", lässt uns Peltzer wissen. Bernhard ist gemeinsam mit Andrea als Redakteur eines Handbuchs eingestellt. Die übrigen Institutsmitglieder, etwa Horst Geißler, der auch noch als Therapeut "mit eigenem Patientenstamm" arbeitet und der Ordinarius Rühle mit seinen schlechtsitzenden Hemden gewinnen kein Eigenleben. Insgesamt erstickt das Buch an seinem schwerfälligen Erzählstil, so dass Spannung gar nicht aufkommt. "Die große Hoffnung der deutschen Literatur bleibt, was er seit 1987 ist" – heißt es in einer Spiegel-Kritik lakonisch. In der langen Reihe von Büchern, die die Freien Universität als Schauplatz haben, wird "Alle oder keiner" keinen Sonderplatz einnehmen. Kein Wunder, dass mein Buchhändler das Buch nicht auf Lager hatte.

Felicitas von Aretin

Ulrich Peltzer, "Alle oder keiner”,
Amman Verlag Zürich 1999, 244 Seiten.