Rede des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Eberhard Diepgen



(Foto: Ausserhofer)

Herr Präsident, Exzellenzen, Magnifizenzen, Studierende,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
50 Jahre Luftbrücke, 50 Jahre Währungsreform, bald 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland und nun also 50 Jahre Freie Universität Berlin - all das gehört zusammen. All diese historischen Ereignisse stehen für den deutschen Neuanfang und Wiederaufbau angesichts von zwei deutschen Diktaturen. All diese Ereignisse sind nicht nur historisch, sondern wirken über die deutsche Wiedervereinigung bis in die europäische Integration hinein.

Für eine Universität sind 50 Jahre wahrlich kein Alter. Im Vergleich mit den altehrwürdigen Universitäten in Prag, Wien und Heidelberg, ganz zu schweigen von Bologna, Oxford oder Paris, fällt vor allem immer wieder die enorme Jugendlichkeit der Freien Universität ins Auge. So wie die Universität Unter den Linden Kind eines verlorenen Krieges war, so läßt sich die bislang ebenso kurze wie bewegte Geschichte der FU nur vor dem Hintergrund ihrer Entstehung begreifen. Bei Gründung der Friedrich-Wilhelm-Universität wollten die preußischen Reformer dem Staat an geistiger Kraft ersetzen, was ihm an physischer fehlte. Im Falle der Freien Universität waren es Berliner Studenten und Professoren, die unterstützt von den Amerikanern und heimgekehrten Emigranten wie Ernst Reuter und Richard Löwenthal ein Zeichen des freiheitlichen Selbstbehauptungswillens gerade in einer Stadt setzten, die einer andauernden Belagerung mit ungewissem Ausgang entgegensah.

Die Geschichte Berlins wäre ohne die Freie Universität sicher anders verlaufen. Sie war für die geistige Behauptung der Stadt ebenso wichtig wie die Anwesenheit der alliierten Truppen für die Freiheit von Krieg. Aber mehr und mehr wurde die Universität auch von der Krise der bundesrepublikanischen Gesellschaft erfaßt. In der eingemauerten Teilstadt fand sich damals eine eigenartige Mischung von aus eigener Erfahrung antikommunistischem, aber vor allem liberalem Bürgertum, das berufliche Möglichkeiten zunehmend in Westdeutschland sah und nach Berlin ziehenden gesellschaftskritischen jungen Leuten, die in der postindustriellen Leistungsgesellschaft nur schwer zu integrieren waren. Hans Magnus Enzensberger hat Berlin (West) einmal als "Soziologischen Garten" beschrieben. In diesem Garten gedieh lange auch die FU.

Freiheit und Wahrheit sind die Grundlagen und Werkzeuge jeder Wissenschaft. Bei der Freien Universität trat, auch dieses Erbe war der Universität bei ihrer Geburt in die Wiege gelegt, eine starke politische Prägung hinzu. Bis heute ist das Erbe, das mit den Brüchen der späten 60er Jahre einherging, zu spüren. Der Gewinn an Diskussionskultur und der Verlust an Qualität hat sich erst über die Jahre ausgleichen lassen.

Die Geschichte nimmt manchmal seltsame Wendungen: Die FU, ein Geschenk der Amerikaner, mit unglaublich viel Liebe und Kraft gegründet und immer wieder von den Vereinigten Staaten unterstützt, wurde über Nacht zu einer Institution, die mit dem liberalen Gedankengut Amerikas radikal brach und in platten Antiamerikanismus und billige Äquidistanzmodelle abzugleiten drohte. Die Freiheit des Wortes und der Wissenschaft standen vielfach auf der Kippe.

Aber die Freie Universität hat diese Phase überwunden. Neue Herausforderungen kamen nach dem Fall der Mauer. Diese neue Phase ist noch nicht abgeschlossen, doch die FU hat ihre Chance zur Konsolidierung und Erneuerung genutzt. Sie alle sind aufgerufen, dabei mit Selbstbewußtsein, Einfallsreichtum und Engagement mitzuwirken. Der anstehende Generationenwechsel im Lehrkörper bietet der FU zusätzlich die Gelegenheit, ihr Profil zu schärfen und im Dreigestirn der Berliner Universitäten, auch in Kooperation mit der Universität Potsdam, ihre Stärken herauszuarbeiten. Dazu gehört der interdisziplinäre Dialog, die gute Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Lernenden, die erstklassige Qualität ihrer Mitarbeiter und vor allem die internationale Ausrichtung. Gerade hier kann die FU auf Zahlen verweisen, die nicht nur die Leistung ihrer Fachbereiche, sondern auch die hohe Attraktivität für ausländische Studenten und Professoren belegen. Internationale Abschlüsse und fremdsprachliche Studiengänge sollten vermehrt angeboten werden. Das gilt für die Geisteswissenschaften, aber mehr noch vielleicht für die Naturwissenschaften, die sich international hohe Reputation erworben haben.

Es wäre schön, wenn eines Tages einmal so viele Nobelpreise nach Berlin vergeben würden wie vor hundert Jahren, aber der Weg dahin ist weit und er erfordert auch Geld.

Auch wenn die letzten Jahre große Herausforderungen gerade, aber nicht nur für die Hochschulen des Landes Berlin mit sich brachten, so hoffe ich, daß wir zumindest finanziell aus dem Gröbsten heraus sind. Die Hochschulverträge sollen Planungssicherheit schaffen, die nun im Rahmen der Experimentierklausel zur strukturellen Entschlackung und zu kreativen
Organisationsformen genutzt werden müssen. Es bleibt bei 85.000 Studienplätzen in Berlin, die auch ausfinanziert werden müssen. Hier zur Verdeutlichung aus meiner Sicht auch der Hinweis: Eine leistungsfähige moderne Medizin gehört ohne Frage zu dieser Universitas.

In den letzten Jahren seit 1990 ist es gelungen, die Vielfalt der wiedervereinigten Wissenschafts- und Kulturstadt zu erhalten und zu entwickeln. Die Herausforderung für Forschung und Lehre in Berlin ist eine klare Profilbildung, das Herausarbeiten der Stärken, die Zusammenarbeit mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die umfassende Modernisierung der Studiengänge und Abschlüsse.

Ich wünsche der Freien Universität Berlin alles Gute zum Geburtstag. Möge sie blühen und gedeihen. Die Stadt verdankt ihr viel. Und nachdem man einer Institution schlecht danken kann, möchte ich den Menschen danken, die für ein positives Bild der Universität gesorgt haben: Angefangen von den Studenten Hartwich, Benda, Lorenz und Stolz - um nur einige der Gründerstudenten zu nennen, die im Kampf um das freie Wort von den Linden relegiert wurden - über die vielen Professoren, die nicht nur mein Bild der Welt entscheidend geprägt haben, bis hin zu den vielen guten Geistern und helfenden Händen, die bis heute die FU zu einer geistigen Heimat für viele Generationen gemacht haben.

Nehmen Sie als Geburtstagsgeschenk den Dank einer ganzen Generation, die an dieser Alma Mater ihre Ausbildung, ihre Orientierung, vielfach auch ihre Freunde und Partner gefunden hat. Vielen brachte die FU den Einstieg ins Berufsleben, anderen die ersten politischen Erfahrungen, uns allen aber eine Bereicherung des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens unseres Landes.


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