Rede des Ersten Vizepräsidenten der FU, Prof. Dr. Peter Gaehtgens

Sehr verehrte Gäste, Freunde und Mitglieder der Freien Universität

es ist mir eine große Freude, Sie alle hier am 50. Gründungstag der FU herzlich begrüßen zu dürfen. Unser Willkommen gilt - und hier möchte ich zunächst ganz unprotokollarisch sein, wie es in einer akademischen Institution wohl erlaubt ist - zunächst den Gründungsmitgliedern der FU - überwiegend damaligen Studenten, aber auch Dozenten. Wir freuen uns, daß Sie heute unter uns sind, denn Ihrem Engagement vor 50 Jahren verdanken wir diese Universität. Die Rückbesinnung auf diese schwersten Jahre der Stadt Berlin, die uns anhand der eben gesehenen Bilder wieder gegenwärtig werden, nötigt uns zu Dankbarkeit und Respekt
 

  • angesichts der Entschiedenheit des Urteils, mit dem Sie damals erkannten, daß Unfreiheit und politische Indoktrination mit der Idee einer Universität nicht vereinbar sind und daß eine freie Universität Voraussetzung für eine freie Gesellschaft ist,
  • angesichts Ihrer Entschlossenheit, mit der Sie die Idee der Universitätsgründung im Westen der sich zunehmend spaltenden Stadt erfolgreich verfolgten,
  • angesichts der Kraft Ihrer Überzeugung, mit der Sie scheinbar Unmögliches durch Improvisation möglich gemacht haben
  • und angesichts Ihrer Bereitschaft, dabei persönliche Nachteile und hohe Risiken auf sich zu nehmen und die Sicherung Ihrer eigenen Lebnsbedingungen zugunsten des gemeinsamen Ziels hintanzustellen.

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    Vielleicht steht dies alles im Rückblick gar nicht so sehr im Vordergrund Ihrer eigenen Erinnerungen, aber ich meine, wir werden dadurch alle darauf hingewiesen, welch elementare Bedeutung das persönliche Engagement des Einzelnen für das Gelingen des Allgemeinen hat. Und insofern ist der Geist dieser Gründung auch für die heutige Universität von großer Bedeutung.

    Die studentische Gründungsinitiative von 1948 war, so stellt es sich jedenfalls für mich dar, nicht so sehr eine Leistung von Einzelnen, sondern es waren Viele, deren gemeinsame Anstrengung letztlich den Erfolg ermöglichte. Natürlich gab es - je nach Begabung und Fähigkeit - Unterschiede in der konkreten Beteiligung, und Namen wie Georg Wrazidlo und Otto Hess oder unser Ehrenmitglied Horst Hartwich wären vielleicht besonders hervorzuheben. Wenn wir daher heute zwei der damaligen Gründungsstudenten durch Verleihung der Ehrenmedaille der FU auszeichnen möchten, so geschieht dies stellvertretend für andere, auch weil viele Mitglieder der Gründergeneration hier heute nicht oder nicht mehr anwesend sein können. In diesem Sinne möchten wir heute zwei der damaligen Gründungsstudenten ehren, den Studenten mit der FU-Matrikel-Nummer 1, Stanislaw Kubicki, und den ersten AStA-Vorsitzenden der FU, Helmut Coper, der die Matrikelnummer 2 hatte.

    Die ersten beiden Plätze im Immatrikulationsverzeichnis der FU einzunehmen, mag man als keine besondere Tugend ansehen, zumal - wenn ich die Geschichte glauben darf - Herr Kubicki und Herr Coper damals um die Nummer 1 gewürfelt haben. Aber beide sind auch nach Beendigung ihres Studiums an der FU geblieben, haben hier eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen und sind als Hochschullehrer über viele Jahre an der FU bis zu ihrer Emeritierung verdienstvoll tätig gewesen. Wir ehren mit ihnen somit nicht nur das Engagement zweier Gründungsstudenten - und durch sie auch alle anderen, denen wir uns gleichermaßen verpflichtet fühlen - sondern auch ein ganzes akademisches Leben mit Engagement in Lehre und Forschung.
    Gestatten Sie mir, Ihnen hiermit die Ehrenmedaille der FU mit einer entsprechenden Urkunde mit folgendem Text zu überreichen: (... -  Übergabe der Ehrenurkunde)
     

    Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, sehr geehrter Herr Senator Radunski, Exzellenz, sehr geehrter Herr Botschafter Kornblum, Exzellenz, Herr Botschafter Vattani, verehrte Gäste, meine Damen und Herren, liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,

    ich habe die Freude, nun auch Sie alle sehr herzlich willkommen zu heißen und dabei vor allem Sie, Herr Regierender Bürgemeister, denn 50 Jahre FU-Geschichte haben viel zu tun mit 50 Jahren Berliner Geschichte, und im übrigen gehören ja auch Sie ebenso wie Herr Senator Radunski, den ich ebenfalls willkommen heiße, zu den Ehemaligen dieser Universität.

    Der heutige Gründungsfestakt soll natürlich an das Ereignis von 1948 erinnern, aber darüber hinaus auch die weitere Entwicklung der FU in den vergangenen 50 Jahren ins Bewußtsein zurückrufen - und eine bewegte Geschichte hat diese Universität wahrlich erlebt. Ich will auf Einzelheiten, die Ihnen im übrigen vertraut sind, hier nicht eingehen - aber wenige Universitäten haben wie diese die Änderungen gesellschaftlicher, bildungs- und wissenschaftspolitischer, ökonomischer Vorstellungen der Zeit in so intensiver Weise mitvollzogen oder diese mitgeprägt. Die FU war ein Seismometer der Geschichte Berlins seit dem Ende des Weltkriegs und die politische Begründung für ihre Gründung ist noch heute ein Element der FU-typischen Lebendigkeit. Heute ist sie vielleicht mehr geprägt durch die Folgen des tiefgreifenden Umbruchs in den 68er Jahren und des explosionsartigen Größenwachstums, das gleichzeitig mit der ideologischen Auseinandersetzung dieser Jahre unter üppigen Haushaltsbedingungen im subventionierten West-Berlin möglich wurde. Die Entwicklung zur Massenuniversität mit zeitweise über 60.000 Studierenden hat sie seitdem mindestens ebenso geprägt wie die radikale Veränderung des inneren Machtgefüges.

    Heute stehen wir nach einem weiteren, tiefen Entwicklungseinschnitt mit der Wiedervereinigung wieder in einer Situation wachsender innerer Konsolidierung, Abbau, ja Überwindung der politischen Polarisierung und zunehmende Rückkehr zu neuer Fokussierung auf die Kernaufgaben in Lehre und Forschung. Die Jahre der Gründung ohnehin, aber auch die Jahre der ideologiebestimmten Polarisierung sind einer Zeit der Konzentration gewichen. Da die Gründung der FU 1948 auch von den anderen deutschen Universitäten erst nach einer Weile akzeptiert wurde - bedeutete sie doch faktisch die Trennung der Universitäten in Deutschland-West von denen in Deutschland-Ost  - freut es uns besonders, daß dies heute so ganz anders ist: Die deutsche Hochschulrektorenkonferenz hat im Frühsommer dieses Jahres und die europäische Rektorenkonferenz im Sommer in Würdigung des 50. Jubiläums der FU hier ihre wichtigen Tagungen abgehalten - und besonders herzlich begrüßen wir in diesem Zusammenhang den Präsidenten der HRK und heutigen Festredner, Herrn Prof. Landfried.

    Seit Anbeginn ist die FU von einer starken internationalen Verknüpfung geprägt - auch Folge der großartigen Unterstützung vor allem durch amerikanische Universiäten in den ersten Jahren: Nach 1949, als die FU als erste deutsche Universität nach dem Krieg einen Studentenaustausch mit der Stanford University verabredete, wurden zahlreiche internationale Partnerschaften entwickelt, und die Verbindungen insbesondere zu den USA sind auch heute noch anhaltend stark.

    Daher ist es für uns eine besonders große Freude, daß Sie, Herr Botschafter Kornblum, heute wieder bei uns sind und zu uns sprechen werden - wir begrüßen Sie sehr herzlich und erinnern uns dabei an die Besuche Ihres früheren Präsidenten John F. Kennedy im Jahr 1963 und seines Bruders Robert ein Jahr später. Das John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien, der Henry-Ford-Bau, in dem wir uns heute befinden, und das Benjamin-Franklin-Klinikum der FU sind Zeugen des bemerkenswerten amerikanischen Engagements für diese Universität; sie sind auch Zeugen unserer anhaltenden Verbundenheit mit Ihrem Land und seinen Universitäten, Herr Botschafter.

    Sehr herzlich begrüße ich unter dem Stichwort der internationalen Verflechtung die Rektoren, Präsidenten und weitere Vertreter der 45 ausländischen Universitäten, die heute unter uns sind. Universitäten in Japan, China, Thailand, Korea, Australien im fernen Osten und Südosten, Rußland, Ungarn, Polen, Bulgarien, Tschechien im europäischen Osten, Italien, Holland, England, Frankreich, Portugal und Spanien im europäischen Westen, Kanada, USA, Mittel- und Südamerika - ich kann sie unmöglich hier alle einzeln aufzählen, ohne erneut unvollständig und daher ungerecht sein zu müssen, und begrüße Sie daher alle gemeinsam sehr herzlich. Sie sollen wissen, daß die FU auch weiterhin die unmittelbare Verbindung in alle Welt durch vielfältigen Austausch von Studenten und Wissenschaftlern als einen ihrer wichtigsten Beiträge zur Internationalisierung auch der neuen Hauptstadt Berlin ansehen und weiterentwickeln wird. Das gilt besonders angesichts der für die FU typischen regionalwissenschaftlich ausgelegten Institute, des Osteuropa- oder des Lateinamerika-Instituts, oder des erst vor zwei Wochen anläßlich der Ehrenpromotion  von Umberto Eco offiziell eingerichteten Italienzentrums. Ostasien und der Vordere Orient sind zwei Bereiche, für die Ähnliches derzeit in der Vorbereitung ist.

    Sie sehen, die FU ist heute immer noch und wieder alles andere als eine Universität in der Isolation; sie bietet nicht nur in enger Kooperation mit den entsprechenden Institutionen wie der Fulbright-Stiftung und dem DAAD ihren Studierenden intensiven internationalen Kontakt, sondern ist auch ihrerseits Anlaufstelle für Gastwissenschaftler aus aller Welt. Ich verweise hier auf die neuerliche Mitteilung der Alexander von Humboldt-Stiftung, derzufolge die FU in Deutschland im letzten Jahr mit der LMU in München an erster Stelle unter den Universitäten liegt, die von ausländischen Gastwissenschaftlern - vor allem auch aus den USA - als Ziel ihrer Kooperationswünsche gewählt werden.

    Die aktiv betriebene internationale Profilierung der FU ist sicher auch Folge der Erfahrungen der ersten Jahre nach der Gründung - am 14. Dezember findet übrigens mit dem Besuch des Botschafters der Russischen Republik die letzte Veranstaltung dieses Jahres im Rahmen des Ambassador-Kollegs statt, das Botschafter Kornblum zu Beginn dieses Jahres unter leider recht unrühmlichen äußeren Bedingungen eröffnet hat, und das seitdem mit dem französischen und dem britischen Botschafter fortgesetzt wurde. Eine internationale Universität in der Hauptstadt ist die FU, und sie wird es weiterhin bleiben, Herr Senator.

    Meine Damen und Herren, wer Augen hat zu sehen - und die Veranstaltungen dieses Jubiläumsjahrs boten und bieten zahlreiche Gelegenheiten dazu - wird wahrnehmen, daß die FU in den letzten Jahren eine Entwicklung genommen hat, die ihr Standing unter den deutschen Universitäten nachhaltig gesteigert hat. Das gilt in der Lehre wie in der Forschung: Seit letzter Woche weist sie 11 von den 25 Berliner Sonderforschungsbereichen auf und steht mit ihren Drittmitteleinwerbungen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft an 3. Stelle unter den deutschen Universitäten, an 5., wenn man die technischen Universitäten mitzählt. Unsere internationalen Partner, DAAD, Fulbright, DFG und Alexander von Humboldt-Stiftung wissen das, in Berlin wird es noch nicht ganz ausreichend gewürdigt.

    Aber wir befinden uns gegenwärtig in schwieriger Lage, denn die Haushaltsrestriktionen, mit denen wir konfrontiert sind, sind bedrohlich. Ich will das Thema im Interesse der guten Stimmung nicht breit diskutieren, aber die Bewältigung des erforderlichen Schrumpfungsprozesses, der nach Umfang und vor allem Geschwindigkeit seinesgleichen sucht, ist eine formidable Herausforderung. Ich will hinzufügen, daß die Verwandlung des Universitätshaushalts in eine Rentenkasse, die angesichts bestehender Vorgaben kaum vermeidbar erscheint, eine völlig unakzeptable Perspektive darstellt - die Kenner unter Ihnen werden wissen, was ich damit meine. Dies darf so nicht weitergehen, wenn Leistung in der Forschung und qualifizierte Ausbildung exzellenter Absolventen - etwa solcher, die wir Ihnen heute Nachmittag bei der Verleihung der Ernst-Reuter-Preise vorstellen werden - auch zukünftig noch möglich sein soll.

    Ich sage das nicht, um ein Lamento vorzutragen. Aber ich möchte der Sorge Ausdruck geben, daß nach innerer Konsolidierung, nach deutlicher Leistungssteigerung in Forschung und Lehre, nach konstruktiver Bewältigung einer grundlegenden Neustrukturierung, nach umfassender Revision interner Organisationsabläufe und -verfahren im Rahmen der Erprobungsklausel nunmehr angesichts der Riesenaufgabe auch der Neukonfigurierung der Verwaltung durch Dezentralisierung und Budgetierung - kurz angesichtes der Notwendigkeit eines grundlegenden Umbaus eigentlich der gesamten FU nunmehr unsere haushaltsmäßige Bewegungsmöglichkeit in kritischem Ausmaß schwindet und eine dringende Lockerung restriktiver Verwaltungspraxis nicht ermöglicht wird. Die FU ist - vielleicht im Gegensatz zur Erwartung mancher - nicht mehr ein unbeweglicher Tanker. Sie ist in Fahrt gekommen und im 50. Jahr nach ihrer Gründung auf gutem Wege in die nächsten vorerst 50. Daß sie dabei kleiner wird, ist gut; aber kleingemacht werden darf sie dabei nicht.

    Wir sehen den heutigen Tag angesichts der 50 vergangenen Jahre nicht nur als Anlaß zum Jubel, doch zu kritischem Selbstbewußtsein. Schwierige Zeiten liegen vor uns, aber auch an eigenen Kräften und an der Bereitschaft zu ihrem Einsatz wird es nicht fehlen. Schwierige Kursbestimmungen stehen uns noch bevor, wenn wir den anstehenden Wettbewerb mit anderen bestehen wollen. Den Rückenwind, den wir dazu dringend brauchen, werden wir uns zu einem großen Teil selbst machen müssen. Aber wir sehen uns auch aufgefordert, der zunehmenden Drosselung von Handlungsspielräumen entschieden zu widersprechen. Universitäten sind ein kostbares Gut - ihr Beitrag zur Generierung wichtigen Wissens für die Gesellschaft und ihr Beitrag zum Wissenstransfer durch Ausbildung exzellenter Studenten darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.

    Wir beobachten diese Gefahren mit Sorge: Die Hochschulbauförderung in diesem Lande ist ebenso in einem gewaltigen Rückstand wie das Defizit der Hochschulfinanzierung insgesamt, die Ausbildungsförderung der Studenten ist gänzlich unzureichend und die vielfältige Erschwerung der sozialen Lage vieler unter ihnen eines Kulturlandes unwürdig, zahlreiche Studien zeigen Ausbildungsdefizite, von denen ein großer Teil auf der seit Jahren anhaltenden Überlast der Universitäten beruht - und die Zahl derer, die in die Universitäten drängen, wird weiterhin nicht kleiner. Wir bauen darauf, daß durch eine kluge Politik die sich entwickelnden Rahmenbedingungen das neue Momentum, das sich an dieser Universität entwickelt hat, nicht in Frage stellen. Und daher tun wir gut daran, uns bei einem Anlaß wie dem heutigen des Geistes unserer Gründer und der Unermüdlichkeit ihres Engagements zu erinnern; an ihrer Haltung sollten wir uns auch heute noch orientieren.


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