Ein Kleidungsstück geht nach 30 Jahren in Pension
Kampf dem Kittel
Manchmal sind die ungeliebten Dinge ganz besonders langlebig. Mit Kittel
und einem amerikanisch angehauchten Häubchen auf dem Kopf haben 1968
die Krankenschwestern ihren Dienst im neuen Klinikum angetreten. Die Haube
hat es schon Anfang der 70er Jahre von den Köpfen geweht, aber der
Kittel hat 30 Jahre durchgehalten. "Selbst im Kloster trägt man nicht
so lange das gleiche Modell", sagt Krankenpflegedirektorin Hedwig François-Kettner.
Schlechter Schnitt und weitgestellte Knöpfe, die mehr Einblicke
erlauben, als nötig: Keiner mochte den Kittel leiden. Nicht einmal
eine Hose durfte man darunter anziehen. François-Kettner: "Ich habe
neun Jahre in der Ersten Hilfe gearbeitet und im Winter immer kalte Beine
gehabt." Als sie 1973 ans Klinikum kam, war sie sicher: "Das ändere
ich in kürzester Zeit". Heute glaubt sie zu wissen, warum das nicht
geklappt hat: "Die Männer in Beschaffungsstelle und Wäscherei
waren mächtiger."
Die hatten zumindest wenig Verständnis für das leidige Kittelproblem.
Die Frauen wollten Hosenanzüge, wie ihre männlichen Kollegen,
wenn es schon keine schicken Kittel gab. Immer neue Ausreden mußten
herhalten, um das zu verhindern: Angeblich fehlten Hosenpressen in der
Wäscherei. Und als die endlich beschafft wurden, waren die Hosenanzüge
immer noch nicht in Sicht. Erst Jahre später durften auch Frauen Hosen
tragen - die der Männer, denn eigene Modelle wurden nicht geordert.
Deshalb trugen immer mehr Krankenpflegerinnen im Dienst Privatkleidung
oder blaue, grüne oder brombeerrote Kasacks, Kleidungsstücke,
die eigentlich nur in OP oder Intensivstation gehören.
Das Ende der Wäscherei im Klinikum brachte 1997 die modische Wende.
Eine Firma hat dem Klinikum die alte Wäsche abgekauft. Neue Kittel,
Schürzen und Hosen werden jetzt geleast: Damit die nächsten
30 Jahre Textilgeschichte im Klinikum erfreulicher ablaufen, wurde eine
kleine Auswahlkommission gegründet. Vier Kasack-Modelle in weiß
und brombeer und vier verschiedene Hosen stehen zur Auswahl. "Und wer will,
kann auch einen Kittel tragen", sagt Stefanie Bieberstein, stellvertretende
Pflegeleiterin im stationären Bereich. Vom Kleidungsstück der
Wahl gibt es dann sieben Stück für jeden, mit Namen drauf. "Und
wenn man ein paar Kilo zunimmt, kann man auch die Größe wechseln",
sagt François-Kettner, "selbst das war früher schwierig."
Die flotte Haube mit den Flügeln kommt aber nicht zurück.
Anfang der 70er Jahre haben sich die Krankenschwestern davon befreit. "Muff
von 1000 Jahren, wir wollen keine Haube tragen", hieß ein Slogan.
Regine Loell, stellvertretende Pflegeleiterin der Intensiv- und Sonderbereiche
erinnert sich: "Es war eine Entscheidung der Pflegenden selbst, die Haube
abzuschaffen." Sie selbst war eine der wenigen, die gegen die Abschaffung
stimmten: "Mir hat die Haube gefallen, wir waren für die Patienten
sofort als Krankenschwestern zu erkennen." Und im Vergleich zu anderen
Hauben war das amerikanische Modell mit dem Hollywoodcharme schnell in
Form gebracht.
Ohne Haube, aber gut gekleidet können alle Pflegenden im Universitätsklinikum
Benjamin Franklin die nächsten 30 Jahre angehen. Der Kittel des Grauens
ist dann Geschichte. Mit der blauen OP-Hose sollte man sich dann nicht
in der Mensa sehen lassen. Stefanie Bieberstein: "Wenn wir umstellen, wird
jeder Verstoß gegen die Kleiderordung geahndet."
Bernd Plümper