Arthur Q. Davis, der amerikanische Architekt des Klinikums erinnert sich
Eine schöne Zeit, aber ...
Meine Zeit in Berlin: Eine schöne Zeit, eine Herausforderung,
aber gleichzeitig auch die frustrierendsten zehn Jahre meines Lebens.
1959 wurde ich der leitende Architekt für das, was heute das Universitätsklinikum
Benjamin Franklin ist. Zuerst mußte die Planung übarbeitet werden,
die fast ohne Beteiligung aus Berlin in Kalifornien
entstanden war. Nach Monaten intensiver Beratung mit der deutschen
Gruppe unter Paul Rössing und dem amerikanischen Team unter Russell
Nelson konnten wir uns über die Ausstattung und vor allem die Größe
des Klinikums einigen.
Denn gerade die Größe war umstritten: Wieviele Betten braucht
dieses Krankenhaus? Das deutsche Team plädierte für 2000 Betten,
die Amerikaner hielten 800 für ausreichend. Geeinigt haben wir uns
dann auf 1200 Betten. Das war nur eine von zahlreichen Diskussionen: Wieviele
Studenten soll das Klinikum ausbilden können? Wie sollen Hörsäle
und Kursräume aussehen? Und wie groß soll die Schwesternschule
werden? Die "Bibel" nannten wir das Papier, das aus all diesen Diskussionen
entstand. Wir haben ihre Worte getreulich befolgt für die nächsten
zehn Jahre.
Dann wurde ein Team für die Konstruktion des Klinikums gegründet.
Franz Mocken, unser deutscher Partner in Berlin, hat die Produktionszeichnungen
gemacht und Peter Weiss leitete das Design-Büro in Berlin. Er war
unser starker rechter Arm und immer hilfreich, wenn es galt, Mißverständnisse
zwischen den beteiligten Parteien auszuräumen. (Wenn er diesen Artikel
liest: Wir würden gerne wieder von ihm hören). Der Architekt
Werner Deuttmar hat unschätzbare Dienste geleistet, wenn es darum
ging, mit Behörden und Offiziellen zu verhandeln, die all unsere Pläne
absegnen mußten. Vor allem die Benjamin-Franklin-Stiftung unter Leitung
des begeisterungsfähigen Leon Chatelain hatte großen Anteil
am Erfolg des Projekts.
Eine Person will ich besonders herausstellen: Den Regierenden Bürgermeister
Willy Brandt. Ohne ihn wäre das Klinikum in Steglitz nicht gebaut
worden. Jedenfalls nicht so, wie es heute steht. Dazu muß man wissen,
daß all unsere Pläne von der Baupolizei abgesegnet werden mußten.
Die deutschen Bauvorschriften waren aber über zwanzig Jahre alt. Gemacht
für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, aber nicht für unsere
Vorstellung von einem modernen Krankenhaus. Wir wollten keine Kompromisse
machen, nur um veraltete Bauvorschriften zu erfüllen.
Ich ging zu Willy Brandt und trug ihm das Problem vor. "Sind sie sicher,
daß wir dieses Klinikum so und nicht anders bauen sollten ?", fragte
er mich. Ich versicherte ihm, daß wir etwas wirklich Neues bauen
wollten. Drei Tage später wurde zu meinen Ehren ein Empfang im Hause
Willy Brandts gegeben. Ich stand neben dem Regierenden Bürgermeister
und begrüßte die Gäste, unter ihnen alle Abteilungsleiter
der Berliner Baupolizei. Die Stimmung war gut; die Probleme mit dem Bau
des Klinikums wurden mit keinem Wort erwähnt. Und doch waren kurze
Zeit später all unsere Pläne genehmigt.
An anderer Stelle gab es Streit über die Schwesternschule des
Klinikums. "Zu luxuriös", hieß es, als wir die Pläne präsentierten.
Die Schlafzimmer seien zu groß und die Badezimmer zu extravagant.
Die Pflegeleitung der Berliner Krankenhäuser wollte keinen Präzedenzfall
schaffen. Sie war der Meinung, dann müsse man alle Schwesternheime
in Berlin auf diesen Standard bringen. Wir fanden, das sei eine sehr gute
Idee. Nach langen Diskussionen bekamen die Steglitzer Schwesternschülerinnen
dann doch ihre "Luxusappartments".
Manchmal halfen nur noch Tricks, um die Bauvorschriften zu umgehen.
Eine davon sah vor, daß alle Zimmer des Bettenflügels ein Fenster
nach Süden haben müssen. Das hätte unsere Gestaltungsmöglichkeiten
stark eingegrenzt. Gelöst haben wir das Problem mit einer Wand aus
"Sägezahn-Fenstern". Jeder Bettenraum hatte nun ein "Fenster nach
Süden", auch wenn er gar nicht nach Süden herausgeht. Gleichzeitig
konnten wir so eine aufregende Fassade gestalten. Im Rückblick sind
es gerade solche Herausforderungen, die die Arbeit am Klinikum so lohnend
machten. Zu den Bausorgen kamen finanzielle Probleme. Es gab nur Geld für
eine Hälfte des Klinikums. Der Rest sollte erst sehr viel später
errichtet werden. Wunderbarerweise konnte der Berliner Senat im letzten
Moment noch Geld auftreiben, um das Klinikum so zu bauen, wie wir es geplant
haben.
Das Universitätsklinikum Benjamin Franklin ist heute eine der
größten Einrichtungen für medizinische Forschung und Lehre
in Europa. Unbescheiden muß ich hinzufügen, daß ich es
zu den aufregendsten Krankenhausbauten weltweit zähle. Die schwebenden
Bettenhäuser, die Integration von Forschung und Lehre oder die einzigartige
Verteilung der Mahlzeiten: Das alles wurde niemals zuvor versucht, später
aber oft kopiert.
Wenn ich nach dreißig Jahren wieder in Berlin bin, kehre ich
zurück in eine Stadt, die mir zehn Jahre ein zweites Zuhause war.
Alle Erinnerungen kommen zurück: Der Bau der Berliner Mauer, der uns
die Hälfte der Arbeiter und all unseren Zement raubte. Die Kameradschaft
durch die langen Jahre der Konstruktion. Grundsteinlegung, Richtfest und
die Einweihungsfeier in der Kongreßhalle. Das Symphonische Orchester
Berlin spielte die Ouvertüre zur Oper "Die Zauberflöte" von Wolfgang
Amadeus Mozart.
Die Bäume, die wir gepflanzt haben, sind nun groß. Die Mauer
ist weg und am Checkpoint Charlie ist keine Grenze mehr. Ich kann die großen
Museen im Osten und im Westen besuchen. So habe ich Berlin nie gekannt.
Vielleicht gibt es noch ein paar der Restaurants und Bars, die ich vor
dreißig Jahren oft besucht habe.
Arthur Q. Davis, New Orleans/ Louisiana
Übersetzung und Bearbeitung: Bernd Plümper