CD-ROM und WWW: eine ideale Kombination für Historiker
Menschen sind Augentiere
Seit 1975 unterrichte ich Sozialgeschichte am Fachbereich Geschichtswissenschaften. Von Anfang an tat ich dies weitgehend anhand von Schaubildern, Grafiken, Figuren. Menschen sind "Augentiere". Bildhaft Vermitteltes bleibt leichter und länger haften. So entstanden im Verlauf der Zeit Hunderte von Blau- und Farbdias.
Wie ein Geschenk des Himmels kam da vor zwei, drei Jahren die CD-ROM-Technologie. Je 100 Dias passen auf eine Scheibe. Sind die Bilder auf solchen Foto-CDs erst einmal digitalisiert, lassen sie sich anschließend auf dem Monitor mit jeder Bildbearbeitungssoftware schöpferisch weitergestal-ten, mit Kommentaren versehen, vergrößern, verkleinern, neu arrangieren. Vor allem ältere Teilnehmer in meinen Online-Lehrveranstaltungen schätzen die Möglichkeiten des beliebigen Zoomens auch kleinster, für sie sonst schwer erkennbarer Details.
Zum ersten Geschenk kam bald ein noch mächtigeres zweites hinzu: das World Wide Web (WWW). In kürzester Zeit waren ausgewählte CD-ROM-Inhalte ins Netz gespeist und bis zum Wintersemester 1995/96 zu kompletten, dort nunmehr kontinuierlich angebotenen Lehrveranstaltungen ausgeweitet. Diese Webseiten enthalten Bilder, Texte, Kommentare, bibliographische Hinweise, konkrete Aufgaben. Um deren Lösung zu erleichtern, sind anklickbare Links zu den großen Online-Bibliotheken (wie Bodleian Library, Library of Congress, Königliche Bibliothek in Kopenhagen), zu elektronisch publizierten Fachzeitschriften und OnlineRezensionsorganen, zu moderierten Dis-kussionsforen, vorbildlich im Netz vertretenen historischen Institutionen auf der ganzen Welt eingebaut. In den weiterhin wie üblich stattfindenden wöchentlichen Lehrveranstaltungen wird dann über das auf diese Weise Selbsterlernte diskutiert.
Ideal ist hierbei die Kombination von CD-ROMs und WWW insofern, als auf ersteren immense Bild- oder Textdateien jederzeit offline abrufbar sind. Ihr "ROM"- (Read-Only-Memory-) Nachteil wird im WWW auf ebenso einfache wie elegante Weise durch stets auf dem neusten Stand gehaltene Webseiten ausgeglichen. Logischerweise werden unsere ersten eigenen, bis zur Marktreife gebrachten interaktiven Lehr-CD-ROMs denn auch über eigens für sie angelegte Webseiten kontinuierlich betreut (so z. B. die Anfang 1996 im Saur-Verlag München erschienene CD-ROM Historische Demographie über die ständig à jour gehaltene Webseite).
Zu den unerwartetsten Erfreulichkeiten gehörte bisher die Reaktion ehemaliger, mittlerweile längst im Beruf stehender Studierender (bzw. völlig Außenstehender), die sich als Lehrer, Journalisten, Museumsfachleute "auf dem Lande" in diese, im WWW frei zugänglichen Lehrveranstaltungen einklinken, um ihre Kenntnisse aufzufrischen und wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Am erfolgreichsten verlaufen ist nach meinem Dafürhalten andererseits bislang ein seit Ende 1995 im WWW angebotener sechsteiliger Teleteaching-Erasmuskurs. Im April fand dann an der finnischen Koordinationsuniversität Tampere nur noch ein zehntägiges Brainstorming der 50 europaweit angereisten Teilnehmer statt. Im großen Lehrsaal verfügte jeder über seinen eigenen ATM-Netscape 2.0-angeschlossenen 17"-Monitor. Anderswo scheint die Bereitschaft, in ökonomisch schwierigen Zeiten in die Zukunft zu investieren, grösser, die Technikfeindlichkeit und das Sparen ohne Vision geringer zu sein.
Hierzulande muß dagegen noch viel geduldige ºberzeugungsarbeit geleistet werden, merkwürdigerweise weniger bei Vorträgen außerhalb der Universität. Dort genügt meist eine sorgfältig vorbereitete Online-Veranstaltung, um darzulegen, daß CD-ROMs nicht nur Spiele sind und das WWW keineswegs nur Schund enthält. Es liegt an uns (Lehrenden), auf die Gestaltung der Inhalte Einfluß zu nehmen und Ernstzunehmendes ansprechend zu gestalten.
Die Zeit drängt. In den Geisteswissenschaften bilden wir Leute aus, die ohne solide Kenntnisse der neuen Technologien auf dem harten Arbeitsmarkt schwerlich werden Fuß fassen können. Ganz zu schweigen von ahnungslosen Lehramtskandidaten, denen die übernächste Generation beibringen wird, was Sache ist.
Arthur E. Imhof ist Professor am Friedrich-Meinecke-Institut des Fachbereichs Geschichtswissenschaften. Seine Homepage: http://userpage.fu-berlin.de/~aeimhof/
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