Hypermedia-Lernsoftware am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft
Total digital im Hörsaal
Die Entwicklung multimedialer Lehreinheiten und deren Verteilung über Hochgeschwindigkeitsnetze ist zentraler Gegenstand des aktuellen Forschungsprojekts DIALEKT (Digitale Interaktive Lektionen). Dieses Projekt wurde - neben anderen - 1995 vom DFN-Verein (Verein zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes e.V.) bzw. dem damaligen Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) aufgelegt.
Das Wirtschaftswissenschaftliche Rechenzentrum (WRZ) der FU erstellt in enger Kooperation mit Lehrstühlen der FU und der Humboldt-Universität computergestützte Lehreinheiten, die sowohl Video/Audio als auch Computeranimation, Simulation und Hypertext integrieren. Kernidee ist dabei, mittels einer Fallstudie die Theorie zu erleuchten und sie mit der Praxis in Verbindung zu bringen. Durch die Kombination einer realitätsnahen "Story" mit einer dazugehörigen Fallstudie gewinnen die zu erlernenden Inhalte an Plastizität. Die Verwendung interaktiver Videosequenzen ist hierbei von entscheidender Bedeutung für die Veranschaulichung der inhaltlichen Problemstellung und die Führung des Lernenden durch die einzelnen Abschnitte der Lehreinheit.
Das Problem: Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der FU ist mit seinen 4.000 Studenten und über 100 Dozenten einer der größten in der Bundesrepublik. Daraus ergeben sich Massenveranstaltungen im Grund- und Hauptstudium, bei denen wegen der geringen Betreuungsdichte der Lernerfolg sowohl von den Studenten als auch von den Dozenten als gering eingeschätzt wird. Abhilfe wurde bisher durch ºbungen und Tutorien geschaffen, welche aber sehr personalintensiv und damit aufwendig sind. Dieser Mangel soll nun durch Erstellung von interaktiven hypermedialen Lehreinheiten möglichst behoben werden: Indem neue Techniken Einzug in den täglichen Lehrbetrieb halten, sollen Computer helfen, die Qualität von Aus- und Weiterbildung zu steigern und Personalkosten zu sparen. Life-Long-Learning und Just-In-Time-Learning sind die neuen Leitbilder. In Verbindung mit modernen, leistungsfähigen Kommunikationsstrukturen entstehen neue Einsatzfelder, denn die Ausbildung endet heute nicht mehr mit dem Abschlußzeugnis.
Die DIALEKT-InfrastrukturSchon seit geraumer Zeit werden Computer zur Unterstützung der Ausbildung eingesetzt, oft jedoch nicht mit dem erhofften Erfolg. CUU (Computer Unterstützter Unterricht) und CBT (Computer Based Training) sind die technischen Kürzel für elektronische Lehrsysteme, deren Darreichungsform den Wissensdurst von Schülern und Studenten bisher nicht angemessen befriedigen konnte. Die technische Annäherung von Computer und Fernsehen verspricht nun Besserung: Audiovisu-elle Medien erhöhen ganz erheblich die Infor-mationsdichte aber auch das Aufnahmevermögen von Lernenden. Durch geeignete Integration aller Medien kann der Unterricht am Computer "lebendiger" und damit spannender gestaltet werden.
Die neue Lernform wird den Studenten ermöglichen, ihrem Lernfortschritt entsprechend im "Selbststudium" die Grundlagen eines Faches zu erarbeiten oder eine Vorlesung nachzuarbeiten. Hierdurch ist eine Effektivierung der Lehre erreichbar und damit eine Studienzeitverkürzung denkbar. Die Dozenten in den Veranstaltungen können sich dann besser den Fragen, aktuellen Problemstellungen und fachlichen Diskussionen widmen. Der Einsatz von Visualisierungstechniken (Hyperlinks, grafische Aufbereitung, Videosequen-zen, Animation, grafisch unterstützte Simulation etc.) und Mensch-Maschine-Interaktion trägt wesentlich zum Verständnis abstrakter Zusammenhänge und Theorien bei. Deshalb wird insgesamt mit einer substantiellen Verbesserung der Wissensvermittlung gerechnet.
Die Infrastruktur: Berlin verfügt (noch) über drei große Universitäten mit über 100.000 Studenten sowie über eine große Anzahl an Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen. Die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildungsstätten (drei Universitäten, zwei Fachhochschulen) sind über das gesamte Stadtgebiet verstreut. Viele der Studenten würden gerne - ohne den entsprechenden Zeit- und Kostenaufwand für die Wegstrecken - an den Veranstaltungen dieser Institutionen teilnehmen. Ebenso können sich viele Dozenten vorstellen, mit Kollegen "gemeinsame Lektionen anzubieten", sofern sie durch eine adäquate Infrastruktur unterstützt würden. Zu diesem Zweck und zur Versorgung anderer assoziierter Projekte wurde durch den DFN-Verein das Breitband-Netzwerk BRAIN (Berlin Research Area Information Network) basierend auf moderner ATM-Technik aufgelegt. Dieses Netzwerk verbindet die wesentlichen Wissenschafts- und Ausbildungsstandorte der Stadt. Studierende werden in der Lage sein, in eigens dafür eingerichteten Multimedia-PC-Pools auf dieses Netzwerk und somit auf die dort angebotenen DIALEKT-Anwendungen - zunächst aus den Bereichen Marketing/Vertrieb und Finanzwirtschaft - zuzugreifen. In absehbarer Zeit werden schnelle Leitungen bis in den Heimbereich für Anschlußmöglichkeiten rund um die Uhr sorgen.
Das DIALEKT-Lernmodell: Für die nahtlose Integration der wichtigsten Elemente einer DIALEKT-Lehreinheit muß ein umfassendes Konzept erstellt werden. Das ist kompliziert und kostenintensiv, so daß sich die Frage stellt, welche Art von Lehrveranstaltung und Wissen in digitale Lehreinheiten umgewandelt werden soll und was man sich davon verspricht. Theorien, die aufgrund technischer Innovationen schnell ihre Gültigkeit verlieren, sind hier sicherlich nicht geeignet. Dasselbe gilt für Themen, bei denen auf grafische Darstellungen weitestgehend verzichtet werden kann. Um es gleich vorwegzunehmen: Es kann nicht das Ziel von DIALEKT sein, ein komplettes Studium auf Abruf zu liefern, sondern vielmehr aktiv bei der Vor- und Nachbereitung von Lehrveranstaltungen behilflich zu sein.
Viele Autoren haben sich bereits mit dem Problem der Umwandlung von Lernmaterial und Wissen in digitale Lehreinheiten beschäftigt. Bis in die jüngste Vergangenheit war die Integration umfangreicher digitaler Videosequenzen in Lernmaterial aufgrund von Hardwareeinschränkungen nicht möglich, doch immer leistungsfähigere Rechner und Netzwerke rücken diese Option wieder in greifbare Nähe.
Die folgenden Kriterien bilden die Eckpfeiler des DIALEKT-Lernmodells:
- Kopplung von Theorie und Praxis durch Einsatz einer Fallstudie
- Führung durch die Lehreinheit mit Hilfe einer "guided tour" in Form einer geeigneten Story
- Design einer intuitiven und ergonomischen Benutzeroberfläche
- Berücksichtigung der Erkenntnisse der Lerntheorie beim Aufbau der Lernsequenzen
- Berücksichtigung von ästhetischen Gesichtspunkten beim Front End (Attraktivität)
- Einbeziehung von motivierenden Elementen für den Lernenden
Dazu gehören natürlich auch die üblichen computergestützten Instrumente der Wissensrepräsen-tation wie Animation, Simulation, Hyperlinks zu verwandten Wissensdomänen sowie Kalkulation und "what-if"-Analysen.
Für das Projekt war es von Anfang an wichtig, Aspekte der Produktivität und Wirtschaftlichkeit in den Produktionsablauf zu integrieren. Dies hatte ganz konkrete Auswirkungen für die Phase der Vorbereitung und Implementierung, so auch für die Zusammensetzung des Produktionsteams. Eine didaktisch fundierte Lehranwendung, die sich eines anspruchsvollen Medieneinsatzes be-dient, kann nur durch ein ausgesuchtes Team von Spezialisten aus verschiedenen Domänen implementiert werden.
ODI - Eine DIALEKT-Lehreinheit: Um die Gültigkeit des DIALEKT-Modells verifizieren zu können, wird eine Reihe digitaler Lektionen erstellt und mit Studenten getestet. Das Thema der ersten Lektion ist Bestandteil des Seminars Weiterbildendes Studium: Marketing und Technischer Vertrieb an der FU (Prof. M. Kleinaltenkamp). Der Kreis der Seminarteilnehmer setzt sich zusammen aus Studenten der Wirtschaftswissenschaften und Fachleuten, die Marketing-Theoriewissen auf praxisnahe Entscheidungssituationen anwenden wollen. Das Seminar basiert inhaltlich auf einer Fallstudie mit dem Namen "Optical Distortion Inc." (ODI), die in den späten 60er Jahren von der Harvard Business School entwickelt wurde. Diese behandelt theoretische Aspekte und Probleme der Einführung innovativer Produkte am Markt. Während des schrittweisen Aufarbeitens der einzelnen Schwerpunkte der Fallstudie erhalten die Seminarteilnehmer detaillierte Informationen über das Unternehmen und das Produkt. Ziel des Seminars ist es, mit Hilfe der Kernaussagen der Diffusionstheorie eine Marketingstrategie für die erfolgreiche Markteinführung des neuen Produktes zu entwerfen. Ein fundiertes Wissen um Marketingstrategien und -instrumente ist hier ebenso Voraussetzung wie die Kenntnis mathematischer Modelle zur Abbildung des Diffusionsverhaltens innovativer Produkte. Eine Auswahl von Exkursen gewährt den Kursteilnehmern zusätzlich Einblick in allgemeine theoretische Ansätze.
Erste Ergebnisse:
- Die Studierenden sind bereit, solche Lernformen anzuwenden, wenn sie ausgereift und in das Lehrangebot des Lehrstuhls integriert sind (Erwerb von Leistungsnachweisen etc.).
- Eine hohe Qualität in der Interaktion und der Benutzerschnittstelle läßt sich mit den derzeit verfügbaren technischen Mechanismen im Internet noch nicht erreichen. Neue Ansätze (z.B. Java) sollen künftig Abhilfe schaffen.
- Für die Distribution von multimedialen, interaktiven Lernsystemen ist ein Breitbandnetz erforderlich. Hier hinken die Verkabelung und auch Übertragungsmethoden hinterher. Gute Antwortzeiten im Netz sind genauso wichtig wie spontane Fragen und Antworten in traditionellen Veranstaltungen.
Wird Lernen mit Multimedia tatsächlich leichter?
Diese Frage läßt sich wohl erst nach einer angemessenen Testphase beantworten. Die ersten Tester sind jedoch schon jetzt beeindruckt. Anerkennung findet v.a. die gelungene Integration wohlbekannter mit neuen Medien. Texte wurden mit aktivierbaren Querverweisen versehen, elektronische Tabellen laden ein zum Spielen mit Zahlen, dynamische Grafiken verschaffen Überblick. Audios, Videos und Animationen tragen das dramaturgische Gerüst und sorgen für einen "humaneren" Wissenstransfer. Und die attraktive Story kümmert sich um das vielleicht wichtigste Element: die Motivation der Studenten.Nicolas Apostolopoulos / Albert Geukes / Stefan Zimmermann
Die Autoren Nicolas Apostolopoulos (li.), Albert Geukes (re.) und Stefan Zimmermann sind Wissenschaftliche Mitarbeiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Rechenzentrums (WRZ) am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft. Kontakt: Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Wirtschaftswissenschaftliches Rechenzentrum (WRZ), Garystr. 21, D - 14195 Berlin, Tel. (0 30) 838-2775, Fax (0 30) 838-2843, e-mail: wrz@ccmailer.wiwiss.fu-berlin.de
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