DER PRÄSIDENT DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN4. April 1996

Liebe FU-Mitglieder,

viele von Ihnen werden wegen der Semesterferien oder weil sie jetzt erst mit dem Studium hier beginnen, die kürzlichen Haushalts- und Strukturentscheidungen der CDU/SPD-Koalition in Berlin zu Lasten der Hochschulen noch nicht kennen. So muß ich Sie vor allem mit schlimmen Nachrichten begrüßen:

Zusätzlich sind mehrere Studiengänge und Fächer kraft Gesetzes eingestellt worden, obwohl dieses Verfahren dem Hochschulrahmengesetz widerspricht und damit rechtswidrig ist. Aber das kümmert die Koalitionspolitiker nicht, die sogar Numerus-clausus-Fächer wie die Zahnmedizin an der FU und die Pharmazie an der HU ohne die notwendige Abwägung einstellen und damit verfassungswidrig handeln. Dagegen werden wir natürlich gerichtlich vorgehen, weil wir in diesen Fächern verfassungsgemäß weiter Studienbewerber zulassen müssen - so absurd ist die gegenwärtige gesetzliche Entscheidung. Die Einstellung der FU-Zahnmedizin ist vor allem der SPD zu verdanken, deren neue Finanzsenatorin "strukturelle Opfer" sehen will und deren Ost-Abgeordnete damit das FU-Klinikum Benjamin Franklin treffen wollen, damit die HU-Hochschulmedizin möglichst von Kürzungen verschont bleibt.

Die CDU/SPD-Koalitionspolitik bringt für die Hochschulen nur noch Haushalts-, Stellen- und Kapazitätsabbau. Von den früher finanzierten 115.000 Studienplätzen in Berlin, die schon durch einen "Hochschulstrukturplan" laufend auf 100.000 reduziert werden, sollen jetzt nur noch 85.000 übrigbleiben. Aber da für 1997 bereits neue Kürzungen geplant sind, wird es auch mit den Studienplätzen weiter bergab gehen - so als ob Berlin am wenigsten Hochschulen brauchte. Schon heute gibt es hier, gemessen an der Bevölkerungszahl, nur halb soviel Studienplätze wie etwa in München, Frankfurt und Köln, von Paris und London gar nicht zu reden, obwohl Berlin "metropol" sein will. Während der Regierende Bürgermeister in der Regierungserklärung noch verkündet hat, die Hochschulen seien "das Pfund, mit dem wir wuchern müssen", und hier nur so gespart werde, "daß wissenschaftlicher Substanzverlust und eine Verschlechterung der Studiensituation vermieden werden", geschieht in Wirklichkeit genau das Gegenteil.

Die Erklärung für diese Berliner Hochschulpolitik ist so einfach wie abwegig. Die neue SPD-Finanzsenatorin hat die erhebliche Überschuldung des Landes erstmals ermittelt. Diese ordentliche Bilanzierung der Schulden gilt - gemessen an der bisherigen Finanzpolitik - bereits als so großartig, daß die bloße "Umlage" von Kürzungen zur Konsolidierung des Landeshaushalts als politische Planung ersten Ranges gefeiert wird. Welche Wirkungen diese Kürzungen bei den betroffenen Institutionen haben, interessiert schon nicht mehr, und erst recht wird nicht gefragt, wohin das führen und was aus den Hochschulen am Ende werden soll. Man kann nicht mehr "intelligent sparen", wie es die Politik in Verkehrung der Verantwortung fordert, wenn die Vorgaben derart "verrückt" sind. Das "Loch" im Landeshaushalt dadurch zu stopfen, daß man die Hochschulen platt macht, ist keine vernünftige Politik.

Unter diesen Umständen muß in den Berliner Hochschulen eine wirklich "gründliche" Disussion darüber beginnen, wie einerseits noch erträglich gekürzt werden kann, weil das Land tatsächlich nicht genug Geld für alles hat, und wie wir andererseits einer rücksichtslosen Abbaupolitik entgegentreten. Resignation, mit Rückzug "ins Private" darf es nicht geben; denn die Folgen dieser Politik werden alle treffen und die Studien- wie die Forschungsverhältnisse gravierend verschlechtern.

Zwar müssen alle an ihrem Platz auch die Pflichtaufgaben erfüllen, von den Lehrenden bis zu den Studierenden. Aber dazu muß ein neues hochschulpolitisches Bewußtsein entstehen, um der herrschenden Politik die nötigen Grenzen zu zeigen. Jede und jeder zählt dabei, weil es um das Ganze der FU und deren Entwicklung geht, die auch alle Einzelnen betrifft. Das muß jetzt regelmäßig Thema werden, auch in den Lehrveranstaltungen; denn wir können nicht so tun, als ob sonst nichts wäre, während alles gefährdet ist.

Deshalb lade ich Sie zu einer anhaltenden hochschulpolitischen Diskussion ein, damit wir uns noch einmal der heutigen Aufgaben einer Universität wie der FU vergewissern und aus einer gemeinsamen ºÜberzeugung auch die Kraft zum Widerstand gegen die hohschulfeindliche Politik in Berlin gewinnen. Wenn wir diese Politik nämlich einfach hinnehmen, verraten wir uns selbst und "das öffentliche Interesse", das die Hochschulen zweifellos darstellen.

Mit besten Wünschen und Grüßen



Prof. Dr. Johann W. Gerlach


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