Viel Spreu und wenig Weizen im Bücherhaufen
Publish or perish
Fachleute schätzen, daß sich alle zehn Jahre das wissenschaftliche Schrifttum verdoppelt. Da ist es nicht schwer, sich auszumalen, wann die Wissenschaft wie eine Schnecke vom eigenen Haus erdrückt wird. In den empirischen Wissenschaften is t die Gefahr etwa s geringer, da hier die Schnecke oft nur die alte Tapete gegen eine neue austauscht. In den Kultur- und Sozialwissenschaften dagegen muß sie die Ablagerungen aller früheren Jahre mit sich herumschleppen, bis sie womöglich nicht mehr von de r Stelle kommt. I n den Bibliotheken sammelt sich so ein immer größer werdender Bodensatz, der von einem gesunden Stoffwechsel längst ausgeschieden worden wäre. Da aber die Zahl der Publikationen als Maß für wissenschaftliche Leistung gilt, wird immer mehr leeres Stroh gedr oschen.Da stapelt sich das Schrifttum
Inzwischen leben ganze Verlage davon, daß sie mit hoher Druckkostenbeteiligung der Verfasser Bücher herausbringen, die von den Universitätsbibliotheken gekauft werden müssen, um dann auf den Regalen zu verstauben. Andere Verlage lasse n sich noch direkter vom Steuerzahler alimentieren, indem sie dickleibige Aufsatzsammlungen zu Preisen von etlichen hundert Mark in winzigen Auflagen auf einen Pseudomarkt drücken, auf dem nur die Universitäten als Käufer in Frage kommen.
In den Bibliotheken sammelt sich so ein immer größer werdender Bodensatz, der von einem gesunden Stoffwechsel längst ausgeschieden worden wäre. Da aber die Zahl der Publikationen als Maß für wissenschaftl iche Leistung gilt, wird immer mehr leeres Stroh gedroschen.
Was läßt sich tun gegen diese Stoffwechselstörung? Eine Scheidung der Spreu vom Weizen durch die Bibliotheken wäre Zensur und für die Freiheit des Geistes verhängnisvoll. Eine Abkehr vom Publikationszwang würde diejenig en, die seit ihrer Habilitation nicht s mehr zur Forschung beigesteuert haben, zu noch größerer Enthaltsamkeit ermutigen. Und eine strengere Qualitätskontrolle bei den seriösen Verlagen würde nur dem grauen Markt der Druckkostenzuschußabzocker nützen. Ist die Wissenschaft dazu verdammt, irgend wann in naher Zukunft an ihren eigenen Ausscheidungen zu ersticken? Nicht unbedingt, wenn man sich darauf besänne, was zu einem gesunden Stoffwechsel gehört.
Dr. Hans-Dieter Gelfert ist Professor am Institut für Englische Philologie des Fachbereichs Neuere Fremdsprachliche Philologien.
Solange Bücher von denen gekauft werden, die sie benutzen, ist keins davon wertlos; sonst würden sie nicht gekauft. Was der Produktion von wissenschaftlicher Literatur fehlt, ist der Markt. Es ist das gleiche Problem wie bei den Krankheitskosten , wo weder die Ärzte ihre Leistungen noch die Patienten deren Inanspruchnahme einschränken, solange die Kassen zahlen müssen, ohne die Berechtigung überprüfen zu können. In beiden Fällen ist der Marktmechanismus außer Kraft g esetzt. Wenn die Reputation wissenschaftli cher Autoren aber am Verkauf ihrer Werke gemessen würde, selbstverständlich bezogen auf die jeweilige Größe der in Frage kommenden Leserschaft, hätte die Wissenschaft Aussicht, wieder zu einem gesunden Stoffwechsel zurückzuf inden. Statt dessen mißt man aber die Reputation entweder an der Zahl der Titel, was zur Vermarktung winziger Gedanken in Dutzenden von Artikeln und zu Gemeinschaftsarbeiten mit langen Listen von Autoren führt; oder aber man zählt, wie oft eine Arbeit zitiert wird, was nicht unbedingt in telligenter ist, weil sich dann die Produzenten in aufgeblähten Fußnotenapparaten fortwährend mit Zitaten gegenseitig auf die Schultern klopfen werden. Müßten sie sich dagegen auf dem Buchmarkt behaupten, würden über i hre Reputation diejenigen entscheiden, die nach dem gegenwärtigen System zahlen, ohne entscheiden zu können, nämlich die Steuerzahler, die dann als Kunden aufträten.
Was sich am Markt nicht behaupten kann, braucht auch nicht gedruckt zu werden. Es genügt, wenn es in irgendeinem Datenspeicher abrufbar ist. Ansonsten braucht nur noch die individuelle steuerliche Absetzbarkeit von Fachliteratur durch einen vom Finan zamt p auschal erstatteten Rabatt von 40 Prozent auf den Ladenpreis ersetzt zu werden. Dann hört endlich die Ungerechtigkeit auf, daß Studierende für ein Fachbuch den vollen Ladenpreis zahlen, während gutverdienende Professoren je nach Einko mmen 40 bis 53 Prozent vom Finanzamt zurückerhalten.
Hans-Dieter Gelfert
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