Fast ununterbrochen flimmern die Bilder, die das Fernsehen von der Politik kreiert, über die Mattscheiben: Politikerköpfe, Staatskarossen, Kameras und Mikrofone, Statements im 10-Sekunden-Takt. Politik im Zeitalter ihrer überall verbreiteten televisuellen Präsenz unterwirft sich gnadenlos dem Rhythmus einer ganz aufs Fernsehen abgestellten Politikdarstellung.
Das "Superwahljahr" 1994 hat mit Nachdruck gezeigt, daß visuelle Präsenz, Image-management, Telegenität und "media fitness" die wichtigsten Attribute der Politik in der Fernsehgesellschaft sind. Die Tatsache, daß Politik nicht nur zunehmend vor, sondern vor allem für die Kamera inszeniert wird, läßt die hehre Vorstellung einer von Offenheit und Gleichheit geprägten liberalen Öffentlichkeit ins Wanken geraten.
Die Inszenierung der Politik durch das Fernsehen
Ein Wortwechsel zwischen den amerikanischen Journalisten David Brinkley und Peter Jennings (beide ABC), die bei der ersten Fernsehdebatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten Bush und Dukakis 1988 live im Studio dabei waren, mag diesen "Quantensprung" in der Politikpräsentation verdeutlichen. Brinkley stellt im Anschluß an das Rededuell seinem Kollegen die Frage: "What did you think?" Jennings antwortet: "I donÍt know. I didn't see it on television."
Daß für viele Zuschauer erst durch das Erscheinen der Politiker und Politikerinnen in einem der zahlreichen Kanäle Politik manifest wird, ist eine politisch-kulturelle Herausforderung für die Massendemokratie. Aber nicht nur die Wahrnehmung, auch die Logik der Politik hat sich durch das "Fernsehdiktat" geändert. So orientieren sich Politiker zunehmend an den Zeitvorgaben der Hauptnachrichtensendungen und Nachrichtenmagazine - "Fernsehpräsenz als Politiksubstitut"! Es besteht die Gefahr, daß sich Politik zunehmend an die Eitelkeiten des Showbusiness anlehnt und zu regelrechtem "newsmaking" verkommt. Vor laufender Kamera wird politisches Handeln nurmehr suggeriert. Durch die Reduktion auf "symbolische Politik" wird eine Simulation erzeugt, die mit der Wirklichkeit nicht mehr allzu viel zu tun hat. Politik erscheint als Inszenierung mit wenigen Akteuren, die mit griffigen und populistischen Themen und Slogans ein leicht einprägsames "Patchwork" von Politik vermitteln.
Diese Tendenz in der Politikberichterstattung wurde im "Bericht zur Lage des Fernsehens" für den früheren Präsidenten Richard von Weizsäcker als "Rückkehr der höfischen Öffentlichkeit" umschrieben, "weil sich die politische Repräsentation von der Vertretung des Volkes zur Darstellung des eigenen Amtes entwickelt."
Dies läßt nicht nur eingeschworene Medienkritiker aufhorchen, die im Kanon mit Neil Postman ("Wir amüsieren uns zu Tode") und Noam Chomsky ("Necessary Illusions") den Weg in eine pseudodemokratisch abgesegnete "Fernsehdiktatur" befürchten.
Zwei Ausprägungen in der aufs Televisuelle abgestimmten Politikpräsentation stechen hierbei besonders hervor. Zum einen sind es die an die Medienlogik angepaßten staatsrepräsentativen Akte, wie sie sich in der Eröffnung der Neuen Wache oder des Großen Zapfenstreiches im Rahmen der Verabschiedung der Westalliierten dem Fernsehpublikum offenbaren. In diesen Fällen erscheinen die "Staatsmänner" in höfischer Distanz und präsentieren Politik als ritualisierte Handlung eindringlicher Gesten. Das neue Bildformat (16 : 9) des HDTV-Systems (hochauflösendes Fernsehen) stellt für derartige "Repräsentationen", aber auch für die künftige Kriegsberichterstattung im Stile von CNN, das geeignete Komplementärmedium dar. Auch "PALplus", ein technisches Verfahren zur Optimierung der Farbqualität, läßt die Politiker mehr denn je als Ikonen der "schönen neuen Fernsehwelt" erscheinen. Zum anderen sind es die als "soundbites" bezeichneten Info-Schnipsel, mit denen in wenigen Worten Nichtssagendes als herausragende Nachricht verkauft wird. Eine spezielle Tele-Rhetorik, die in weniger als zehn Sekunden die Botschaft zum Zuschauer transportiert, gilt als Garant für den kommenden Wahlsieg. Mehr Zeit läßt das "grazing" und "zapping" der Fernsehkonsumenten auch gar nicht mehr zu.
Zukünftig wird Politik(er)präsentation in der Fernsehgesellschaft folgendes Gesicht haben:
1. Die Kluft zwischen der Entscheidungspolitik auf der Hinterbühne und der Darstellungspolitik auf der Vorderbühne wird größer. Dies suggeriert eine Kompetenz der politischen Akteure, die von ihnen kaum eingelöst werden kann. Das Konjunkturtief einer diffusen "Medien- und Politikverdrossenheit" könnte dadurch neuen Nährstoff bekommen.
2. Die zunehmende Reduktion von Politik auf ihre ästhetische Oberfläche verweist auf die prinzipielle ¥hnlichkeit von Waschmittelreklame und Wahlwerbung. Selbst das allmähliche "Verschwinden der Politik" (Guggenberger) gilt in Ansätzen bereits als ausgemacht.
3. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist Politik längst zu einem Genre der Unterhaltungsindustrie geworden, was sich auch in der wachsenden Beliebtheit und Beliebigkeit politischer Talkshows widerspiegelt.
Soviel soll abschließend prognostiziert werden: Indem die Berichterstattung immer reißerischer, kürzer und hektischer wird und "Politikinhalte" von wenigen "Polit-Stars" im wahrsten Sinne des Wortes präsentiert werden, nähert sich Politik weiter der Videoclip-Ästhetik der 90er Jahre an. Obwohl die Auswirkungen in ihrer Gesamtheit noch bedacht werden müssen, bedeuten die skizzierten Entwicklungen dennoch keineswegs das Ende der Politik!
Dietmar Schiller
Der Diplom-Politologe Dietmar Schiller ist Lehrbeauftragter am Fachbereich Politische Wissenschaft der FU und Promotionsstipendiat des Graduiertenkollegs "Politische Ikonographie" am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg.