Drei ehemalige FU-StudentInnen auf dem Weg zur Turmspitze

The Making of Talk im Turm


Sonntag abend, neun Uhr dreißig. Gut, daß Michael Ließfeld schwindelfrei ist. Mit starrem Blick fixiert der Talk-im-Turm-Redakteur die Drehtür des Interconti. Noch 40 Minuten bis zum Beginn der Sendung, diesmal zum Thema "Was darf Kunst?"

Ließfeld beim Gästeempfang: Prominente wie den Entertainer Helge Schneider erkennt er auf Anhieb, aber wie sieht der Sänger der "Angefahrenen Schulkinder" aus? Erkannt und begrüßt, müssen die Gäste gleich nochmal durch die Tür, diesmal für die Kamera. Doch zuvor will Helge sein pinkfarbenes Jackett überwerfen. Und natürlich geht der Spaßmacher nicht normal durch die Tür: Rum, raus und zum Seiteneingang wieder rein.

Schließlich haben die Talk-Show-Gäste ihren Gang durch die Tür und über den roten Teppich absolviert. Sie sind auf Video gebannt und der Redakteur kann mit der Kassette zum Ü-Wagen vorm Interconti hetzen. Dort verwursten die Cutter die Drehtür-Szenen eilig zum Erkennungs-Trailer von Talk im Turm, denn um zehn nach zehn geht's los.

Wenn die Live-Sendung beginnt, ist für Michael Ließfeld und den Rest des Redaktionsteams die Hauptarbeit geschafft. Jetzt können sie nur noch hoffen, daß es läuft, daß Talk-Master Erich Böhme sich nicht verhaspelt, der Dolmetscher der Ehrengäste Christo und Jeanne-Claude mit der Technik klarkommt und vor allem, daß sich die Gäste ordentlich streiten.

Freundlich moderierte Konfrontation ist das Konzept der Sendung. Damit lockt sie jeden Sonntag rund zwei Millionen Zuschauer vor den Bildschirm. In den Anfangszeiten der Sendung, die kurz nach dem Mauerfall ins Programm kam, waren es fast doppelt soviele. Auf der Montagskonferenz in ihrem weitläufigen Dachgeschoßbüro in der Leipziger Straße grübeln die Redakteure: Welches aktuelle Thema mit deutschem Bezug erhitzt momentan die Gemüter? Steht das Thema fest, müssen fünf Streithähne gefunden werden. Und das heißt: Telefonieren, telefonieren und nochmal telefonieren: "Telefonieren ist rund siebzig Prozent meines Jobs", meint die Redaktionsleiterin Karin Hagemann. Seit fünf Jahren arbeitet die 35jährige für die "AVE-Gesellschaft für Fernsehproduktion", die Firma, die Talk im Turm für SAT. 1 produziert. Spaß macht ihr der Job immer noch, vor allem wegen ihrer "rasenden Neugierde".

Eigentlich wollte die neugierige Redakteurin Lehrerin werden. Als sie nach neun Semestern ihr erstes Staatsexamen für Deutsch und Französisch in der Tasche hatte, war ihr die Lust auf Schule bereits vergangen. ¥hnlich ging es der anderen FU-Absolventin im Redaktionsteam. Elke Lohmann sattelte vom Lehramt auf Magister um. Die 47jährige, von ihren Kollegen zärtlich Lohmi genannt, ist eine Frau, die nach eigenem Bekunden "durch alle Klischees fällt": Als sie ihr Volontariat beim SFB machte, war sie vierzig und alleinerziehende Mutter. Von ihrem Talk-im-Turm-Job ist sie begeistert, auch wenn sie "manchmal ganz schön fertig auf der Bereifung" nach Hause kommt. Fürs Arbeiten bis sieben Uhr abends und manchmal auch bis elf fühlt sie sich durch den Team-Geist in der Redaktion belohnt. "Ich werde für etwas bezahlt, was ich sowieso gerne mache: Mir mit Freunden über Themen den Kopf heiß reden und Zeitung lesen".

Ähnlich positiv sieht auch Michael Ließfeld seinen Job: "Ich werde fürs Reisen bezahlt". So tourte er quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, um potentielle, fernseh-unerfahrene Talk-Show-Gäste auf ihre Bildschirmtauglichkeit hin zu prüfen. Daß er beim Fernsehen landen würde, hatte er zu Beginn seines Studiums garantiert nicht gedacht. Für Publizistik schrieb er sich nur deshalb ein, weil er dafür die wenigsten Scheine sammeln mußte. Nach 25 Semestern (eine fünfjährige Pause eingeschlossen) wurde er damit tatsächlich fertig - eine Qualifikation, nach der ihn noch niemand gefragt hat. Das Manko bei seinem Job sieht er darin, daß er selten Zeit hat, sich mit einem Thema intensiv zu befassen. "Irgendwie bleibt doch das Meiste an der Oberfläche."

Und so ist es auch schnell halb zwölf geworden im Interconti. Das Thema "Was ist Kunst?" ist "durch", so der Talk-im-Turm-Jargon, und die Drehtür wartet auf Helge, diesmal ohne pinkfarbenes Jackett und Kameraüberwachung.

Brenda Strohmaier


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