Im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Modernisierungsprozesse am Ende des 19. Jahrhunderts veränderten sich auch Körperideale und Körperkonzepte entscheidend. Sport war einerseits Ausdruck, andererseits Motor dieser Entwicklungen, die unter anderem auch mit einer Neukodierung der Geschlechterordnung verbunden waren. Die Geschichte der Körperkultur und der Geschlechterverhältnisse spiegelt sich in der Mode wider, die bis jetzt allerdings auf wenig (sport)historisches Interesse stieß. Im folgenden werde i ch einige Wechselwirkungen zwischen Sport, Mode und Geschlechterordnung am Beispiel der Entwicklung der Frauensportkleidung rekonstruieren.
Die Alltagskleidung der Frauen am Ende des 19. Jahrhunderts macht die Ambivalenz von Sexualisierung und Tabuisierung des weiblichen Körpers deutlich: Sie verhüllte die Beine, betonte aber Busen, Po und Hüften. Unverzichtbar war die schmale Taille, die Zartheit und Zerbrechlichkeit signalisieren sollte und nur durch die gewaltsame Verformung des Körpers mit Hilfe des Korsetts erreicht werden konnte. Nach der Jahrhundertwende propagierten die Kleidungsreformbewegung, der Wandervogel oder auch die Gymnast ikbewegung - allerdings noch ohne breite Resonanz zu finden - eine "Befreiung des weiblichen Körpers".
Ein neues funktionales Körperkonzept und damit auch eine neue Sportkleidung forderte auch der aus England importierte moderne Sport, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts seinen Siegeszug in Deutschland angetreten hatte. Wegen seiner Leistungs- und We ttkampforientierung galt die Beteiligung an sportlichen Übungen zwar als besonders unweiblich, dies hielt aber Frauen nicht davon ab, sich in verschiedenen Sportarten vom Hockey auf dem Eis bis hin zum Skispringen zu versuchen. Allerdings nahmen Frauen nu r vereinzelt an sportlichen Wettkämpfen teil.
Vom Straßenkleid zum Sportkostüm - bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts unterschied sich das "Sportcostüm" in Schnitt und Material kaum von der Straßenkleidung. Auf die feinen Unterschiede, die die Distinktionsbestrebungen des Bürgertums signalisierten, kam es aber an. So sollte das Kleid für eine Bergtour aus steierischem Sommerloden, das Eislaufkostüm mit Pelz besetzt und das Reitkleid von schlichter Eleganz sein.
Während bis zum Ende des Jahrhunderts die Bewegungsmöglichkeiten der Frauen durch die Kleidung bestimmt worden waren, wurde im Zuge der Veränderungen des Frauenbildes die Kleidung an die Erfordernisse der jeweiligen Sportart angepaßt, wodurch sich auch wieder die Vorstellungen von Ästhetik und Weiblichkeit wandelten. In den einzelnen Sportarten hatten Frauen dabei mit ganz unterschiedlichen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Lawn-Tennis, das sich zunächst in vornehmen Badeorten etablierte, galt als unterhaltsamer Zeitvertreib, der auch für junge Damen der Mittel- und Oberschicht "salonfähig" war, nicht zuletzt weil der Tennisplatz wie der Ballsaal als Heiratsmarkt dienen k onnte. Zum Match traten die Damen bis zum Ersten Weltkrieg in leicht abgewandelter Straßenkleidung an. Was im einzelnen zu ihrer Toilette gehörte, beschreibt der Sporthistoriker Gillmeister: "Röcke, die bis auf den Boden reichten; darunter mehrere gestärk te Petticoats, darunter das obligatorische Schnürkorsett. Gehalten wurde das ganze von einem Gürtel mit dekorativer Silberschnalle, abgeschlossen nach oben mit einem mit Fischbein versteiften Stehkragen, um den eine Krawatte oder ein Halstuch geschlungen war. Alle Kleider waren selbstverständlich mit langem Arm versehen. Auf dem Kopf thronte ein großformatiger, breitkrempiger Filzhut. Selbstverständlich trugen sie Lederschuhe mit hohen Absätzen." Versuche, die Röcke zu kürzen und Tennis wettkampfmäßig zu betreiben, stießen auf den energischen, aber vergeblichen Widerstand der Tennisfunktionäre. Kurz vor dem ersten Weltkrieg setzte sich dann der wadenlange Rock für Turnierspielerinnen durch.
Ambivalent war die öffentliche Meinung zum Damenschwimmen, dem man zwar positive Wirkungen auf die Gesundheit, aber auch eine Gefährdung der Sittlichkeit zuschrieb. Dieses Dilemma wurde im 19. Jahrhundert durch eine strikte Geschlechtertrennung beim Ba den gelöst. Auch wenn die Damen beim Baden unter sich waren, trugen sie voluminöse Kostüme, die viel züchtiger waren als eine Balltoilette. In den 70er Jahren stiegen die Frauen im knöchellangen Rock und einer weiten Bluse ins Wasser, später im knielange n Kleid und Pluderhosen, in den 90er Jahren wurde dann die knielange Hose mit einem bis zum Oberschenkel reichenden Oberteil akzeptiert. All diesen Modellen war gemeinsam, daß sie beim Schwimmen einen erheblichen Wasserwiderstand erzeugten. Erst die Wettk ampfschwimmerinnen machten kurz vor dem Ersten Weltkrieg den Schwimmanzug aus dünnem schwarzen Trikotstoff populär.
Im Rock wurden auch alle anderen Sportarten betrieben, Rudern im Matrosenkleid, Segeln im bodenlangen Yachtanzug und der "Automobilsport" wegen des aufgewirbelten Staubes in sandfarbenen Kostümen. Am brisantesten war die Kleidungsfrage beim Radfahren, weil hier die Straßenkleider nicht nur unpraktisch, sondern auch gefährlich waren. Während es nur wenige mutige Frauen gewagt hatten, sich auf dem Hochrad in der Öffentlichkeit zu zeigen, brach mit der Erfindung des Niederrades und der Gummireifen auch un ter den Frauen das Radfahrfieber aus. Radfahren erweiterte den Bewegungsspielraum, war - nicht zuletzt wegen der hohen Fahrradpreise - gerade in der feinen Gesellschaft "comme il faut", galt allerdings auch als Zeichen der Emanzipation.
Da lange weite Röcke "Verwicklungen" und unzulässige Einblicke befürchten ließen, enge Röcke das Auf- und Absteigen unmöglich machten, war ein brauchbares Radlerinnenkostüm dringend notwendig. Konservative bevorzugten den fußfreien Rock, der mit Riemen hochgeschürzt oder mit Gummibändern gerafft werden konnte. Darunter mußte selbstverständlich eine Hose getragen werden. Ein Kompromiß war der sogenannte geteilte Rock, der aus zwei sehr weiten Beinkleidern bestand. Die progressivsten Radfahrerinnen entsc hieden sich für weite Pumphosen, die nach ihrer Erfinderin, der amerikanischen Frauenrechtlerin Amelia Bloomer, auch Bloomers genannt wurden. Bevor sich die Bloomers dann durchsetzten, mußten die Hosen tragenden Radlerinnen nicht nur scheele Blicke, sonde rn auch Beschimpfungen oder sogar tätliche Angriffe über sich ergehen lassen. Das Beispiel der Radfahrerinnen machte rasch Schule, vor allem weil die Fahrradindustrie mit zahlreichen Plakaten und Prospekten für das Damenrad und damit auch für die Pumphose n beim Radfahren warb.
Auch in anderen Sportarten entbrannte nach der Jahrhundertwende der Kampf um die Hose, die die notwendige Bewegungsfreiheit garantierte, die aber in der Öffentlichkeit, bei Turn- und Sportfunktionären und nicht zuletzt bei vielen Frauen auf energischen Widerstand stieß, weil sie als Tracht der Emanzipation, der leichtlebigen Muse und des Mannweibsports galt. Angst vor der Vermännlichung des weiblichen Geschlechts wurde sowohl von Frauen als auch von Männern geäußert, wobei in den Argumenten der Männer das Bemühen, ihre privilegierte Stellung zu verteidigen und die "Hosen anzubehalten", deutlich wird.
Vor dem Ersten Weltkrieg gewann die Funktionalität in der Sportmode ein immer stärkeres Gewicht. Die Radfahrerinnen, die ersten Leichtathletinnen, die z.B. 1904 in Berlin vor zahlreichen Zuschauern in Pumphosen einen Damen-Wettlauf absolvierten, oder a uch die Pilotinnen in ihren Fliegeranzügen repräsentierten einen neuen Frauentyp, der den Männern nicht nur die Hosen streitig machte.
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich im Turnen und Sport ein "Einheitslook" durch. In vielen Sportarten wurden die kurze schwarze Hose und eine Bluse, später ein "Sweater" getragen. Die Form der Kleidung orientierte sich jetzt bei allen Sportarten end gültig an der Funktionalität. Darüber hinaus übertrug sich die Sachlichkeit der Sportmode auf die Straßenkleidung, "sportlich" wurde zu einem häufig verwendeten Attribut, das zu Sommerkleidern ebenso wie zu Wintermänteln paßte. Sportlichkeit signalisierte aber auch eine neue Einstellung zum Körper und zur Bewegung, neue Ideale und Erwartungen, die von Frauen als Befreiung interpretiert, aber auch als Internalisierung von Zwängen, als Ambivalenzen und Konflikte erlebt werden konnten.
Die Mode entdeckt den Sport: In den 50er und 60er Jahren blieb die Sportkleidung weitgehend uniform und funktional. Erst seit der "Wiederkehr des Körpers" in den 70er und 80er Jahren unterliegt das sportliche Outfit zunehmend modischen Trends. Die Koll ektionen in den Sporthäusern werden immer umfangreicher, Kleidung und Accessoires immer spezialisierter und differenzierter. Gleichzeitig kommt es mehr denn je auf die "feinen Unterschiede" an, die sich an der Kleidung, am Lacoste-Hemd oder am Bogner-Skia nzug, deutlich ablesen lassen. Männer und Frauen nutzen "Sportswear" heute im Rahmen ihrer jeweiligen Imagekonstruktionen.
Sport ist heute zentraler Bestandteil verschiedener Lebensstile und gilt bei beiden Geschlechtern als Zeichen der Modernität. Ein durchtrainierter Körper und Sportkleidung vom Joggingschuh bis zum Tennishemd sind heute nicht mehr nur auf dem Sportplatz , sondern vor allem auch im Alltag wichtig. Für Frauen zeichnet sich dabei eine Angleichung an männliche Körperkonzepte ab, die aber keine Befreiung, sondern eine Disziplinierung und Ver-Formung ihres Körpers bedeuten.
Gertrud Pfister
Gertrud Pfister ist Professorin am Institut für Sportwissenschaft des Fachbereichs Erziehungswissenschaft, Psychologie und Sportwissenschaft der FU. Ihr Arbeitsbereich ist Sportgeschichte.