Die in Deutschland lebenden Landsleute waren die ersten Kunden der türkischen Tourimusindustrie
Die Türkei hat sich erst spät am Tourismusgeschehen beteiligt, hat aber nach einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 17 Prozent in den letzten zehn Jahren den 18. Platz unter den dreißig wichtigsten Tourismusnationen erreicht. Die Zahl der aus ländischen Touristen stieg von 300.000 auf 6,5 Millionen, davon etwas mehr als eine Million aus Deutschland. Die Nutzung der Bettenkapazität stieg von durchschnittlich drei auf sieben Nächte, im Falle der deutschen Besucher auf durchschnittlich dreizehn N ächte. Insgesamt stieg die Kapazität von rund 65.000 auf 330.000 Betten. Die Deviseneinnahmen stiegen von ca. 400 Millionen auf etwas über vier Milliarden US Dollar.
Das bisherige Spitzenjahr verbuchte der Türkei-Tourismus 1992; 1993 und 1994 gingen die Besucherzahlen wohl ausschließlich aufgrund der politisch instabilen Lage zurück; 1993 nur bei den deutschen und italienischen Besuchern, 1994 mit Ausnahme der Brit en bei Besuchern aus allen westeuropäischen Staaten. Ein spürbarer Einschnitt, da knapp die Hälfte aller Besucher aus diesen Ländern kommt. In den ersten drei Monaten des Jahres 1995 konsolidierten sich die Zahlen auf einem geringfügig niedrigeren Niveau als 1994.
Die Folgen der türkischen Militärintervention im Nordirak für den türkischen Tourismus müssen zwar negativ eingeschätzt werden, können aber gegenwärtig noch nicht quantifiziert werden.
Eine Reaktion auf die schlechte politische Stimmungslage zwischen Westeuropa und der Türkei sind die Versuche von türkischer Seite, die Tourismuswerbung in den außereuropäischen Ländern (USA, Kanada, Japan, Australien) zu verstärken und gleichzeitig mi t einem differenzierteren Angebot - "weg von Strand und Sonne" - Reisende aus Westeuropa wiederzugewinnen. So gibt es inzwischen Angebote für Yacht- und Wildwassertourismus, für Alm- und Kurferien oder für einen Glaubenstourismus mit Reisen zu den für di e verschiedenen Religionen bedeutenden Stätten.
Gleichzeitig hat die Türkei auf das insgesamt gewachsene Umweltbewußtsein reagiert. In einer "Sensibilitätsaktion für die Umwelt im Tourismus" werden Tourismusbetriebe, die bestimmte Umweltkriterien erfüllen, mit Symbolen ausgezeichnet: Hotels mit eine m Nadelbaum, Yachthäfen mit einem Anker, Yachten selbst mit einem Delphin. Darüber hinaus hat die Türkei die "Blaue Flagge Aktion" der europäischen Stiftung für Umwelterziehung aufgegriffen und 1994 an der Küste von Istanbul bis Antalya neun Yachthäfen un d zwölf Strände mit einer "blauen Flagge" ausgezeichnet. Auch ein "Projekt für die touristische Infrastruktur in den Mittelmeer-Ägais-Regionen" in hundert Orten dieser Regionen, die 80 Prozent der touristischen Bettenkapazität nachweisen, hat als Ziel den vorbeugenden Umweltschutz.
Um das Defizit beim ausgebildeten Personal auszugleichen, sind durch das Ministerium für Tourismus seit 1968 insgesamt zwölf touristische Ausbildungszentren geschaffen worden. Auch das Erziehungsministerium mit Schwerpunkt-Gymnasien für touristische Au sbildung und private Unternehmer mit entsprechenden Stiftungseinrichtungen beteiligen sich an der Ausbildung für diese Branche.
Vor ein paar Jahren habe ich selbst eine Pilotstudie zur Möglichkeit der Reintegration von Remigrantenkindern in der Türkei durch Tätigkeiten im Fremdenverkehr durchgeführt. Bestärkt durch jährliche Beobachtungen und Gespräche in der Türkei sowie unmit telbare Erfahrungen im Freundeskreis, bin ich überzeugt, daß die Grundergebnisse dieser Studie noch immer zutreffen.
Damals ging ich von der These aus, die dann auch weitgehend bestätigt wurde, daß in der Türkei die traditionellen Tätigkeitsfelder einer modernen Gesellschaftsorganisation bereits weitgehend besetzt sind und nur im Einzelfall den Zugang von außen zulassen. Nur relativ junge Dienstleistungsbereiche wie z. B. die Tourismusbranche sind in der Lage, in größerem Umfang Migrantenkinder aufzunehmen und in die türkische Arbeitswelt einzugliedern. Die gleichzeitig angestrebte Integration in die türkische Lebenswelt wird hierdurch kaum erleichtert, auf jeden Fall aber verlangsamt, weil nach meinen Erfahrungen die Aufnahme einer Tätigkeit im Tourismusbereich zunächst einen Fluchtversuch aus den Integrationsschwierigkeiten bedeutet.
Die Geschichte der Beziehungen zwischen den Migranten und dem Tourismus in der Türkei läßt sich so skizzieren: Die Anfänge hier in Deutschland waren zunächst die Entwicklung einer eigenständigen türkischen Tourismusbranche zur Befriedigung der Bedürfnisse der in Deutschland lebenden Landsleute. Daneben entstand, zum Teil nebengewerblich, gestützt auf heimische Verbindungen, ein Angebot auch für deutsche Touristen. Ähnliches konnte man in der Türkei bei zahlreichen Hotel- und Restaurantgründungen feststellen.
Nicht ausschließlich, aber überwiegend findet man aus Deutschland kommende Migrantenkinder in touristischen Tätigkeiten, vor allem in dem von deutschen Urlaubern bevorzugten Küstenstrich zwischen Fethiye und Antalya. Insgesamt, so ältere Schätzungen, s ind 80 Prozent aller in diesem Dienstleistungssektor Beschäftigten Migrantenkinder.
Man muß davon ausgehen, daß trotz der Ausbildungsbemühungen türkischer Stellen das Ausbildungsniveau niedrig ist und das entscheidende Qualifikationsmerkmal die deutsche (oder eine andere) Sprachkenntnis ist. Auch stimmt es bedenklich, daß lange Zeit - und für viele bis heute - die Tätigkeit in der Reiseindustrie lediglich die zweite Wahl bedeutete. So wurden als Gründe für die Berufswahl die Nichterfüllung der Studienvoraussetzungen, eine sonstige fehlende Berufsausbildung, besondere Sprachkenntnisse, eine bessere Bezahlung als z.B. im staatlichen Sektor und schließlich Interesse an einer solchen Tätigkeit überwiegend aus finanziellen Gründen genannt. Eine untergeordnete Rolle bei der Entscheidung für diese Arbeit spielte der Kontakt mit Ausländern od er die Abschwächung der Integrationsproblematik.
Daraus ergibt sich, daß eine Qualifizierung für dieses Berufsfeld nicht erfolgt und dieser Weg angesichts der bloßen Fremdsprachenqualifikation, die in vielen Fällen nach zwanzig oder dreißig Jahren in Deutschland die einzige Qualifikation ist, die sie ihren Landsleuten voraushaben, oft in einer Sackgasse endet. Dies zeigt sich z.B. bei den Migrantenkindern, die mit der ersten großen Rückkehrwelle zwischen 1975 und 1985 in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehrten und heute im Tourismusbereich tätig sin d. Mit ganz wenigen Ausnahmen haben sie Tätigkeiten übernommen, für die ihre Fremdsprachenkenntnis wichtig war, nämlich als Dolmetscher und Reiseführer ohne Aufstiegschancen. Hinzu kommt, daß diese Arbeitsplätze bei rückläufigen Touristenzahlen als erste gefährdet sind.
Allerdings war der Direktor eines der touristischen Ausbildungszentren in Antalya trotz dieser nicht sehr glücklichen Konstellation der Ansicht, daß die Migrantenkinder aufgrund ihrer Fremdsprachenkenntnis nach einer touristischen Ausbildung größere Ch ancen für eine qualifizierte Anstellung hätten als die einheimischen Absolventen.
Als Ergebnis kristallisiert sich heraus, daß eine Ausbildung im Ausland in traditionellen Berufen trotz wohlmeinender Absicht ihr Ziel verfehlt, sobald die Ausgebildeten in ihrer ursprünglichen Heimat Fuß zu fassen versuchen; zum Teil, weil am Markt vo rbei ausgebildet worden ist, vor allen Dingen aber, weil die wirtschaftliche Situation im Heimatland die finanziellen Erwartungen nicht erfüllen kann.
Daher driften diese Personen in neue expandierende Industrien ab, in denen Berufsbilder noch nicht definiert sind und die Verdienstmöglichkeiten auch bei unqualifizierten Tätigkeiten größer sind als im ursprünglich erlernten Beruf. Dies gilt in der Tür
kei vor allen Dingen für den Tourismusbereich, der trotz der aus der Politik resultierenden Verwerfungen mit starker ökonomischer Unterstützung des Staates rechnen kann und zu den Wachstumsbranchen zählt und trotz der saisonalen und konjunkturellen Schwan
kungen in relativ großem Umfang Arbeitsplätze anbieten kann.
Rana von Mende
Rana von Mende ist Lehrbeauftragte am Institut für Turkologie der FU. An der Universität Köln promovierte sie 1986 in den Fächern Islamwissenschaft, Wirtschafts- und Sozialgeschchte und Bibliothekswissenschaft.