"Mehr und mehr Länder der Dritten Welt werden vom internationalen Tourismus berührt. Die Sehnsucht der Bewohner aus den 'reichen Industrieländern des Nordens' nach dem 'Exotischen' und nach fremdartigen Kulturen, nach 'unberührten Völkern' und Landschaften, nach dem Fernen und dem Abenteuer und insbesondere nach dem 'ewigen Sommer' des Südens ist eine Triebfeder der globalen Expansion des Tourismus", so das Urteil Karl Vorlaufers, Geograph und Experte für Dritte-Welt-Tourismus.
In den letzten drei Jahrzehnten hat sich der Tourismus zu einer bedeutenden internationalen Wachstumsbranche mit beständigen Zuwächsen entwickelt. Konzentrierte sich der internationale Fremdenverkehr in den 50er und 60er Jahren überwiegend auf Europa u nd Nordamerika, so gewannen ab Mitte der 60er Jahre die Länder der Dritten Welt zunehmend an Bedeutung.
Die Erwartungen dieser Länder konzentrieren sich dabei vor allem auf Deviseneinnahmen, die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie auf Vernetzungen mit vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen. Länder unterschiedlichster Ressourcenausstattung, Kultur- u nd Gesellschaftsordnung versuchen am Welttourismus teilzuhaben und sehen im Ausbau dieses Wirtschaftszweiges einen Motor für die Entwicklung ihrer Länder. Mit der Erweiterung der Zielländer und der daraus resultierenden Konkurrenz, wird die Palette der An gebote immer breiter und extremer: Heli-Skiing im Himalaya, Primitiv-ºbernachtung im Langhaus ehemaliger Kopfjäger in Malaysia, Jagdtourismus in Wildreservaten Afrikas - alles, was das Touristenherz begehrt.
Für die Reisenden, was im allgemeinen nicht die Bewohner der Länder der Dritten Welt sind, steht zumeist der Wunsch nach Distanz zur gewohnten Umgebung, zum Alltag und die Suche nach Erholung, Glück und kontrolliertem Abenteuer im Vordergrund. Reisen wird zunehmend zur Fluchtbewegung aus der naturfernen, verbauten, hektischen Lebenswelt der Industriegesellschaft in die scheinbar unberührte, heile Welt der Länder des Südens. Allerdings ist diese Flucht aus der Alltagswelt und die Suche nach Glück zum eist nicht mit dem Verzicht auf Konsumgewohnheiten verbunden.
Für den Großteil der Menschen in den bereisten Ländern hingegen beinhaltet der Tourismus aus den "Ländern der Reichen" in die "Länder der Armen" nur sehr selten Glück oder eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Die Art und Weise, wie sich der Tou rismus in den Ländern ausbreitet, hat zunehmend negative soziale, kulturelle und ökologische Auswirkungen und auch die ökonomischen Folgen verfestigen eher bestehende Ungleichgewichte, als daß sie sie ausgleichen. Die durch den Tourismus verursachten Feh lentwicklungen wie Sextourismus, Kinderprostitution, Verdrängung der einheimischen Bevölkerung durch Luxushotels, Zerstörung von Flora und Fauna haben international Schlagzeilen gemacht und sind bereits seit Mitte der 70er Jahre Gegenstand der wissenschaf tlichen Diskussion.
Zunehmend wehren sich in den Ländern der Dritten Welt Menschen, die durch touristische Projekte existentiell bedroht sind, gegen einen Tourismus, an dem sie nicht teilhaben können und der über ihre Köpfe hinweg verordnet wird. Sie sprechen sich nicht grundsätzlich gegen den Tourismus aus, sondern fordern ein Mitspracherecht sowie verträglichere Tourismusformen. Dieser berechtigten Forderung gilt es Beachtung zu schenken. Gefordert sind hier vor allem Veränderungen im Anspruch und Angebot bei Reisende n und Reiseveranstaltern der westlichen Industrieländer. Dies beinhaltet in erster Linie den Verzicht auf gewohnte Konsumgewohnheiten und eine Anpassung an die Lebensverhältnisse in den Urlaubsländern. Information und Aufklärung über die dortigen sozial en, kulturellen, politischen und ökonomischen Strukturen sind dabei eine notwendige Grundlage für verträglichere Reiseformen.
Zudem scheint es notwendig, daß die Entscheidungsträger in den bereisten Ländern sich bei der touristischen Planung an den Bedürfnissen der ansässigen Bevölkerung orientieren und diese an Entscheidungsprozessen beteiligt wird. Sie müssen realisieren, d aß Tourismus mittel- und langfristig nur dann für die Entwicklung des Landes von Nutzen ist, wenn er von der breiten Bevölkerung getragen und akzeptiert wird.
Auf allen Ebenen ist somit ein Umdenken notwendig, das die Interessen der Bereisten und nicht allein die der Reisenden in den Mittelpunkt stellt. Diese Erkenntnis setzt sich - wenn auch langsam - durch.
Wie eine vergleichsweise sinnvolle touristische Entwicklung aussehen kann, zeigen Projekte wie das "Annapurna Conservation Area Project" in Nepal oder der ländlich integrierte Tourismus aus der Casamance im Senegal. Hier wurde unter konsequenter Beteil igung der dort lebenden Menschen und unter Beachtung der bestehenden ökologischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen ein Tourismus initiiert, der sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert, von dem diese damit maßgeblich profi tiert.
Auch wenn diese Projekte durchaus auch mit Problemen behaftet sind und sie zudem derzeit noch eher die Ausnahme sind, so stellen sie ein positives Beispiel für die notwendigen und auch realisierbaren Veränderungen im Dritte-Welt-Tourismus dar.
Die sich auf dem Welttouristikmarkt abzeichnende Abkehr von der Nachfrage nach standardisierten Massenangeboten hin zu regionsspezifischen und angepaßten Tourismusangeboten sind eine geeignete Grundlage für die breite Umsetzung solcher Projekte.
Die Entscheidungsträger in den Reise- und Zielländern sind hier gefordert, von den traditionellen Mustern der Tourismusentwicklung abzurücken und neue, den Menschen in den Ländern der Dritten Welt zuträglichere Wege zu gehen, die langfristig wesentlich
erfolgversprechender erscheinen. Dies kann allerdings nur realisiert werden, wenn auf nationaler wie internationaler Ebene eine ¥nderung der bestehenden Machtstrukturen erfolgt. Ansonsten wird die pessimistische Einschätzung des neuseeländischen Geograph
en Stephen Britton wohl auch in Zukunft seine Berechtigung nicht verlieren: "Wenn ein Dritte-Welt-Land Tourismus als eine Entwicklungsstrategie nutzt, wird es in ein globales System eingebunden, über das es wenig Kontrolle hat. Die internationale Tourismu
sindustrie ist ein Produkt von Unternehmen der kapitalistischen Metropolen. Die überlegenen Fähigkeiten und die wirtschaftliche Macht dieser Unternehmen ermöglichen ihnen, die Reiseziele in der Dritten Welt zu beherrschen."
Christel Lübben
Christel Lübben, diplomierte Geographin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für geographische Wissenschaften der FU Berlin