Schneisen im Bergwald für Lifte und Pisten, Hotels und Straßen bis ins Hochtal, durch Pistenraupen und scharfkantige Skier aufgerissene Berghänge, von Artensterben gar nicht zu reden: Zwar, sagt der Geograph Dr. Michael Walther, ist durch "klügere Pla nung heutzutage" Besserung in Sicht, doch längst drohen durch Umweltgifte und "global warming" neue Gefahren in den Alpen.
Privatdozent Walther ist nicht der einzige, der am Fachbereich Geowissenschaften der FU dazu forscht. Prof. Dr. Peter Ergenzinger und seine Mitarbeiter untersuchen im von der Europäischen Union geförderten EROSLOPE-Projekt Hänge und Flußsohlen auf ihre Stabilität. Was so trocken klingt, kann bei nasser Witterung rasch dramatisch werden: Starke Regenfälle verwandeln friedliche Gebirgsbäche zu reißenden Strömen und bringen ganze Berghänge ins Rutschen. Solche Schlammströme und Muren richten große Schäden an und töteten schon viele Menschen. Für Bewohner der Alpen ebenso wie für Besucher kann der Sicherheitsfaktor eines Hanges, den Ergenzingers Team ermitteln will, lebenswichtig sein.
Das Tessin-Tal bei Airolo in der Schweiz - oder besser - was Fortschritt und Tourismus davon übrigließen: Betonbrücken für Straßen und Bahntrassen, Stromleitungen sowie ein Stausee
Doch nicht nur Regen bringt Gefahr. Der Rückzug von Gletschern, erklärt Michael Walther, ist oft ebenso fatal. Denn einer gewaltigen Spundwand gleich stützen die Eismassen Bergflanken ab. Verschwindet so ein "Widerlager", stürzt womöglich der Hang mit vernichtender Wucht ab.
Dazu bedarf es keiner menschgemachten "Klimakatastrophe". Seit Jahrhunderten erleben die Alpenbewohner das Abschmelzen der Gletscher. Bergstürze sind historisch belegt - im Jahr 1348 etwa, am Dobratsch in den Villacher Alpen. Damals war ein Erdbeben Au slöser, Hauptursache, so Walther, aber die vor Jahrtausenden zu Ende gegangene Eiszeit. Die Gletscher und die schneebedeckten Berggipfel sind eigentlich bloß die Reste davon. So, wie die Inlandeismassen Skandinaviens über Berlin verschwunden sind - bis au f die Gletscher in den Skanden, so schmolzen die Alpengletscher von einem großen "Eisstromnetz" zu kleineren Talgletschern zurück und werden sicher noch weiter schmelzen.
Zu allem Üşbel pfuscht der Mensch seit jeher der Natur insHandwerk und verschlimmert die Lage: "Es gibt im Prinzip in den ganzen Alpen keine natürliche Waldgrenze mehr", sagt Walther. Seit Jahrhunderten weidet Vieh auf den Almen. Der Viehverbiß und die Abholzungen gelten sogar ihres ästhetischen Wertes wegen als schützenswert - "wer weiß, vielleicht haben die Menschen sich in 200 Jahren auch an Sessellifte und Skipisten gewöhnt", meint der Geograph.
Doch bei dem rasanten Tempo, mit dem die Menschheit die Atmosphäre verändert, wird der Skitourismus in den Alpen sich künftig auf wenige Hochlagen, vor allem in den Westalpen, konzentrieren. Denn die Welt wird wärmer. Das hebt die Schneefallgrenze an.
Zum anderen kommen regionale Effekte dazu, wie Professor Dr. Manfred Geb vom Meteorologischen Institut der FU sagt. Er hat nachgewiesen, daß über schneefreien Flächen in den Alpentälern die Wahrscheinlichkeit geringer ist, daß es dort schneit. Denn ein e Schneedecke kühlt die Luft direkt darüber ab und verhindert so, daß die weiße Pracht noch in der Luft taut und zu Regen wird.
Dieser Effekt sei derzeit immer öfter zu beobachten, erklärt Geb, der selbst häufig in die Alpen fährt. Am schlimmsten sei es zu Beginn der Wintersaison. Das Ausbleiben des so wichtigen ersten starken Schneefalls im Spätherbst bzw. dessen Verspätung ve rringert die Chancen für weiteren Schneefall - ein Teufelskreis beginnt.
Ursache dafür ist ein stärkeres Azorenhoch, das sich seit rund zehn Jahren nach Südwest-Europa verlagert hat. So sind die Alpen - bis auf Gunstregionen in Frankreich, der Schweiz und Vorarlberg - im Winter wärmer und zugleich trockener geworden. Verblü ffend ist, daß das gleiche Phänomen für Vorderasien feuchtere und kühlere Luft gebracht hat. "Zu jedem Hoch gehört ein Tief", erläutert der Meteorologe, "wir haben es hier im Winter mit einer stehenden Welle zu tun". Der Wellenberg (das Hoch) trifft die A lpen, der Wellentrog ( das Tief) die Südosttürkei und angrenzende Gebiete: "Ganz arg trifft es die Kurden, die zu allem, was ihnen sonst noch angetan wird, jetzt im Winter mehr denn je unter Schnee und Kälte leiden."
Künftig also Skilifte in Kurdistan? Kaum, denn der Massentourismus ist einer der schlimmsten Feinde des Schnees selbst. Die strapazierten Alpen zeigen es exemplarisch: Große Verkehrsadern überqueren das Gebirge, "fast alle fünf Minuten fliegt ein Jumbo drüber", weiß Geb, Industrie, Ferienwohnungen und Hotels blasen weitere Schadstoffe aus ihren Kaminen. Der Schmutz färbt den Schnee, der dadurch einen großen Teil seiner Rückstrahlfähigkeit (Albedo) einbüßt. Er nimmt mehr Wärme auf und schmilzt schneller . Michael Walther hat jüngst die Schadstoffe erforscht. Wo man eigentlich Reinluftgebiete vermutet hatte, sagt der Geograph, "kamen erschreckende Werte heraus". Wie das Ausbleiben des ersten Schnees erzeugt der Schmutzfilm einen Teufelskreis des Schmelzen s, und das Gletschereis taut. Ganz ohne "Klimakatastrophe".
Josef Zens