Wiedergutgemacht?

Versuch einer Bilanz nach mehr als 40 Jahren Entschädigungspraxis


In diesen Tagen, 50 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, Bergen-Belsen und Dachau - gibt es kaum eine öffentliche Diskussion über möglicherweise anhaltende Probleme in der Entschädigungspraxis Überlebender KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter. Die ausgezeichnete und von allen wesentlichen Verfolgtenverbänden getragene Informations- und Beratungsstelle in Köln unter der Leitung von Sonja Schlegel fürchtet erneut um ihre Existenz. Der ABM-Weg ist seit Anfang des Jahres versperrt; Bund und Land verweigern die Unterstützung. Da das Büro überregional arbeite, sei der Bund zuständig, argumentiert die SPD-Landesregierung.

Aber vielleicht gibt es auch nichts mehr zu bearbeiten: Ende gut, alles gut? Gibt es nicht in Berlin eine vorzügliche Entschädigungsregelung, die man noch in den letzten Jahren (1990) neu installiert hatte? Und man hatte ja mit den Polen eine Stiftung polnisch-deutsche Aussöhnung (wenn auch mit einem sehr sparsam eingerichteten Härtefonds). Und vor allem hatte in zwar zähen, aber doch erfolgreichen Verhandlungen die Claims-Conference während der Wiedervereinigungsverhandlungen durchzusetzen vermocht, daß jüdische Überlebende ab August 1995 (!) nach Antrag je 500 DM monatlich als Rente erhalten sollen. Die genannten Regelungen stehen in der Tat auf der Habenseite. Resultat zäher Verhandlungen und internationalen Drucks.

Aber wird über diese Regelungen vergessen, daß es keineswegs um "nur noch wenige" geht und daß es um Menschen geht, die von den bisherigen Regelungen gar nicht erfaßt sind? So fiel man aus allen Wolken, als jetzt bei der Claims-Conference mehr als 20.000 (!) jüdische Überlebende die bei der deutschen Einigung verabredete Rente beantragten. Es gibt immer noch keine zureichende Regelung für jene wenigen jüdischen Überlebenden etwa aus Lettland, denen der Weg für die deutsche Regelung versperrt bleibt. Und es gibt die Zwangsarbeiter, vor allem, aber nicht nur aus Polen, die in mehreren tausend Zwangsarbeitslagern an jeder Ecke in Deutschland unter tierischen Bedingungen arbeiteten, wenn sie überlebten. In Polen sind es allein mehrere hunderttausend, die noch leben. Und schließlich die Deserteure, die schon zufrieden wären, wenn sie politisch rehabilitiert würden.

Ob wir es wollen oder nicht: Auch 50 Jahre danach gibt es einen Bedarf an mindestens finanzieller Entschädigung erlittenen Unrechts - erst recht dessen, was William Niederland als erneute Verfolgung in seinem Buch "Folgen der Verfolgung" (Frankfurt/M. 1980) beschrieben hat: die kleinkrämerische Entschädigungspraxis der Bundesrepublik und die Abwehr von Entschädigungsregelungen für viele Opfergruppen in der DDR.

Nein, das Thema ist mit dem 8. Mai 1995 nicht beendet, obwohl es das schon 1952 - mit der ersten "Wiedergutmachungs"regelung, die von Deutschen selbst beschlossen worden ist - hätte sein sollen. Für viele war es schon damals zu viel - für einen großen Teil der CSU mit dem Antisemiten Fritz Schäffer, für beträchtliche Teile aus CDU und FDP. Deswegen zogen sich die Verhandlungen um die erste Regelung zur "Wiedergutmachung" aus deutscher Entscheidungsmacht lange hin. Und sie produzierten die erste größere Welle eines Nachkriegsantisemitismus aus Schuldabwehr.

Zwar hatte man sich, um gegenüber der DDR besser dazustehen und um vor allem im Westen reputierlich zu werden, bemüßigt gesehen, Anfang der 50er Jahre zu einer tragbaren Regelung zu kommen.

Und noch in den 80er Jahren - auch eine der bundesrepublikanischen Kontinuitäten - gab es hier die gleiche Verbissenheit im Kampf um jeden Pfennig - wie sich in den von den Grünen ausgelösten späten Debatten um Nachbesserungen der Entschädigungsregelung in den 80er Jahren zeigte.

Wie prekär dann die Regelungen anläßlich der deutschen Einheit 1989/90 waren, belegt der simple Umstand, daß die Paragraphen für die fünf neuen Bundesländer so geartet sind, daß fast niemand sie erfüllen kann: Von ca. 1.500 Anträgen sind lediglich 38 positiv beschieden - so restriktiv sind die Bedingungen. Sie sind es offenkundig nur dann nicht, wenn genügend internationaler Druck da ist - und Öffentlichkeit.

Insofern ist die Austrocknung der gegenwärtig bestinformierten und bestberatenden Beratungsstelle in Köln - so ist jedenfalls zu fürchten - etwas mehr als ein bürokratischer Zufall. Sie stände in einer bitteren Kontinuität kleinkrämerischer Kaltherzigkeit.

Hajo Funke


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