Von Schafsgedärm und Ziegenhaar

Entwicklungsexperten der FU entdecken die Mongolei


Wann haben Sie das letzte Mal in eine richtig knackige Wurst gebissen? Bei der die Haut dem Gaumen entgegenplatzt und der Geschmack im Mund explodiert. Gut möglich, daß die Hülle aus der Mongolei kam. Die Schafsdärme haben wegen des dort wachsenden hervorragenden Rauhfutters "eine sagenhafte Qualität", schwärmt FU-Geograph Dr. Franz-Volker Müller.

Die Weiden für Schafe und Ziegen, Yaks, Rinder und Kamele sind obendrein noch wunderschön: Grassteppe soweit das Auge reicht, dazwischen ganze Wiesen voller Enzian und Edelweiß. "Und im Umkreis von 2000 Kilometern keine Industrie", erzählt Müller, der gerade von seiner sechsten Reise dorthin zurückkehrte.

Doch Müller hat die Mongolei nicht der Gedärme wegen bereist. Vielmehr interessiert den Mitarbeiter des "Zentrums für Entwicklungsländerforschung" (ZELF) an der FU die einzigartige Wirtschaft und Kultur des Landes. Das 2,2-Millionen-Staatsvolk der Mongolei besteht zum größten Teil aus "mobilen Tierhaltern".

ZELF-Leiter Prof. Dr. Fred Scholz, FU-Geograph und einer der internationalen Nomadismusexperten, versuchte deshalb schon vor fast 15 Jahren, Kontakte mit der Regierung zu knüpfen. Erst 1991 kam die Antwort: Die Mongolen waren an einer Zusammenarbeit plötzlich sehr interessiert. Das Ende der Sowjetunion hatte den Vasallenstaat quasi isoliert.


Innerhalb weniger Stunden können die Filzzelte (Jurten) der Mongolen abgebaut werden. Die Nomaden ziehen mit ihrer gesamten Habe zu den jeweils besten Weidegründen der Jahreszeit.


"Unser Beitrag ist bescheiden", sagt Scholz, "aber elementar": Die Berliner untersuchen, wie man für die Nomaden Märkte und Versorgungseinrichtungen schaffen kann. Der große Sowjetbruder hatte zwar Orte mit zentralen Funktionen (wie Krankenhäuser, Schulen) aus dem Boden gestampft, doch, so Scholz, "oft an den Leuten vorbei". Mit dem Ergebnis, daß diese "Som-Zentren" jetzt verwaisen.

Alles konzentriert sich auf die Kapitale Ulaanbaatar, gleichzeitig einzige Stadt des Landes: Dort wohnen rund 600.000 Menschen, Tendenz steigend. Immer neue Jurtenviertel entstehen, weil die Nomaden dort ihr Vieh vermarkten wollen. "Diesem unkontrollierten Zuzug und seinen schädlichen Folgen für die Umwelt wollen wir entgegenwirken", sagt Scholz. Die Strategie klingt einfach, stellt aber in der Entwicklungspolitik eine Abkehr von allem bisher Erprobten dar: Die nomadische Bevölkerung unt erstützen.

In anderen Ländern gibt es Ansätze zur Stärkung des ländlichen Raumes seit längerem. Doch überall förderten die "Geber" nur Seßhafte oder, schlimmer noch, städtische Eliten. "Wie sollten sie auch anders", erklärt Scholz, stellen die Nomaden selbst wohlmeinende Helfer vor Probleme: Allein der Kontakt zu Menschen, die morgen wieder woanders sein können, ist schwer. "Ihr ganzes Leben, ihre materielle Kultur und ihre politischen Entscheidungsprozesse wurzeln im Nomadismus", sagt der Geograph.

Für die eigenen Regierungen stellen Nomaden bestenfalls einen Anachronismus dar, meist einen politischen Unruheherd ohne ökonomischen Wert. "So wurden sie in der Entwicklungshilfe einfach weggelassen", sagt Scholz. Der Professor kennt "kein Beispiel, wo eine Seßhaftmachung dauerhafte Erfolge zeitigte". Diese Fehler sollten sich in der Mongolei nicht wiederholen.

Doch man ist auf dem besten Weg dazu: "Alle Hilfe fließt in die Hauptstadt", berichtet Scholz' Mitarbeiter Dr. Müller. Die Geber wollten "ein 'richtiges' Entwicklungsland aus der Mongolei machen: Man züchtet sich eine städtische Elite und füttert sie dann". Dabei sei "ganz Afrika mit dem Modell badengegangen".


Ein Bogenschütze beim Naadam-Fest: Tradition hat bei den Mongolen einen hohen Stellenwert


Das ZELF erforscht und dokumentiert Entwicklungsprobleme im "altweltlichen Trockengürtel" von der Sahara bis zur Gobi. Dieses Wissen soll genutzt werden, um den Mongolen zu helfen. Zum einen vor Ort, wo man die mobile Tierhaltung umweltverträglich und doch wirtschaftlich optimieren will. Dazu "muß man ohne Zweifel die Mobilität reduzieren", sagt Fred Scholz, der erst im Juli wieder in Ulaanbaatar bei der Mongolischen Akademie der Wissenschaften (MAW) war. Statt Zentren, die nicht an den Wanderwegen der Mongolen liegen, braucht man geeignete Anlaufstellen für die Versorgung.

Zum anderen ist ein Austauschprogramm angelaufen mit Hilfe des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und nicht zuletzt der FU. Mehrere mongolische Dozenten waren seit 1992 bei den FU-Geographen. Ende 1994 kam eine hochrangige Delegation der MAW mit einem Minister nach Berlin und unterzeichnete eine Kooperationsvereinbarung mit der FU. Im September führte Müller erstmals eine Studenten-Exkursion in die Mongolei. Die Geographen befragten Nomaden und dokumentierten Änderungen in deren Wanderwegen.

Zum dritten soll der Tourismus entwickelt werden. Dazu folgt ein weiterer Austausch mit der FU: Marketing-Professor Dr. Günther Haedrich und Dr. Kristiane Klemm (Geographie) vom Institut für Tourismus reisten im Oktober nach Ulaanbaatar. Haedrich ist zuversichtlich, daß bereits ab nächstem Wintersemester Tourismus-Dozenten in der Mongolei Kompaktkurse abhalten. Bald werden auch mongolische Studenten an das Institut für Tourismus kommen, um an dem einjährigen Ergänzungsstudium "Tourismus mit den Schwerpunkten Management und regionale Fremden-verkehrsplanung" teilzunehmen.

Haedrichs Mitarbeiterin Kristiane Klemm nennt als Zielgruppe der künftigen mongolischen Tourismusfachleute belastbare Naturliebhaber. Denn "600 Kilometer mit dem Jeep am Tag macht nicht jeder mit". Doch es lohnt sich: Nahezu unberührte Landschaften von den Bergen des Altai im Westen zur Wüste Gobi im Süden warten auf "Entdeckung".

Derzeit boomt erst das zweifelhafte Geschäft mit reichen Jägern. Für 40.000 US-Dollar darf einer der seltenen Argali-Widder abgeknallt werden. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von knapp 300 US-Dollar pro Jahr bedeutet der Jagdtourismus einen enormen Wirtschaftsfaktor für eines der ärmsten Länder der Erde. Da ist die Versuchung groß, Abschußquoten zu ignorieren.

Dabei gäbe es so viel für den Weltmarkt: Rindfleisch, "so gut wie ich es noch nirgends gegessen habe", schwärmt Frau Dr. Klemm, Wolle, Leder und eben auch Schafsdärme. Oder Murmeltierfett, Heilpflanzen, Kräuter und Kaschmir. Ausgekämmte Ziegenhaare sind der Rohstoff für diese feinste Wolle, die auf dem Weltmarkt 200 Dollar pro Kilo kostet. Für Franz-Volker Müller liegt die Zukunft der Mongolei in den Naturprodukten.

Doch bis dahin ist ein weiter Weg: Die Milch in Frau Klemms Kaffee kam als Pulver aus der Schweiz nach Ulaanbaatar, die Butter aus Bayern.

Josef Zens



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