Man kann sie weder riechen noch schmecken, sie sind größtenteils unsichtbar, lautlos und nicht stofflich: Elektrische und magnetische Felder können im allgemeinen nicht von den Sinnesorganen des Menschen wahrgenommen werden. Lediglich mit den Augen können wir elektromagnetische Wechselfelder in einem schmalen Frequenzbereich als sichtbares Licht beobachten. Andere Lebewesen sind da weitaus fähiger. Schnabeltiere beispielsweise besitzen in ihrem Schnabel spezielle Sinneszellen zur Wahrnehmung schwacher elektrischer Felder. Damit vermögen sie in trüben Gewässern, undurchdringlich für Augen und Ohren, ihre Beutetiere auszumachen, z. B. Süßwasserkrabben, weil Muskeln bei Bewegungen kleine Felder erzeugen. Auch einige Knochen- und Knorpelfische besitzen Elektrorezeptoren zum Aufspüren ihrer Beute, Haien und Rochen dienen sie darüber hinaus zur Orientierung im Erdmagnetfeld, Vogelschwärme scheinen ihren Flug über elektromagnetische Signale zu koordinieren, die möglicherweise mit dem Federschaft wahrgenommen werden. In der Natur werden demnach sowohl elektromagnetische Felder erzeugt als auch zum Überleben genutzt. Es wäre also falsch, sie von vornherein als etwas Lebensfeindliches zu betrachten. Selbst wenn in den Medien von Zusammenhängen zwischen bestimmten Krankheiten (z. B. Krebs) und elektromagnetischer Strahlung berichtet wird, sollte man sich bewußt sein, daß solche Aussagen aufgrund statistischer Untersuchungen getroffen werden. Bevölkerungsgruppen, die in der Nähe elektromagnetischer Strahlungsquellen wohnen (beispielsweise Hochspannungsleitungen) oder berufsbedingt solchen Feldern ausgesetzt sind, werden bezüglich der Häufigkeit, mit der bestimmte Krankheiten auftreten, mit Kontrollgruppen verglichen, die keinen extremen Feldern ausgesetzt sind. Kritiker bezweifeln den Aussagewert dieses Verfahrens. Die jeweilige Abweichung der erfaßten Krebsfälle von der Norm sei nicht größer als die natürliche Schwankung, behaupten sie.
Auch die Begriffsbildung ist in solchen Zusammenhängen oft nicht neutral. Immer wieder lesen wir von den Gefahren durch "Elektrosmog", ein Begriff, der eindeutig negativ gefärbt ist, aber nirgendwo genau definiert wird.
Mit dem Schlagwort "Elektrosmog" wird eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage, ob - und wenn ja, wie - Felder einer bestimmten Stärke und Frequenz Einfluß auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden haben, umgangen. "Wellen- oder Frequenzsalat", so Professor Ingolf Lamprecht vom Institut für Biophysik der FU Berlin, "ist ein viel passenderer, da wertfreier Ausdruck. Außerdem beschreibt er die Situation, der wir ausgesetzt sind, viel besser." Wer beispielsweise zu Hause vorm Computer sitzt , während gleichzeitig der Ventilator läuft, und ab und zu ein Zug auf der nahen Bahntrasse vorbeirauscht, befindet sich gleichzeitig in dem Feld des PC mit einer Frequenz von vielleicht 25 MHz (d. h., daß die Stärke des elektromagnetischen Feldes 25 mal in jeder millionstel Sekunde ihren maximalen Wert annimmt), im 50 Hz-Feld des Ventilators und im 16 2/3 Hz-Feld der Bahn. Hinzu kommen noch die permanent vorhandenen Radiowellen, die im Frequenzbereich zwische n etwa 100 kHz und 100 MHz liegen. Auch die Stärke dieser Felder ist unterschiedlich und hängt sowohl von der Strahlungsquelle als auch von dem Abstand, den man zu der Quelle hat, ab.
Um eine wissenschaftlich fundierte Aussage darüber treffen zu können, ob eines dieser elektromagnetischen Felder irgendwelche biologischen Effekte bewirkt, muß eine Situation geschaffen werden, in der nur das jeweils interessierende Feld und keine weiteren Felder anderer Frequenz oder Stärke auf einen Organismus wirken. Zum Vergleich braucht man außerdem einen zweiten, identischen Organismus, der sich in einer feldfreien, ansonsten aber völlig gleichen Umgebung entwickelt. Nur so kann ein eventuell beobachteter Effekt der Wechselwirkung mit dem verwendeten Feld zugeordnet werden.
In der Arbeitsgruppe von Professor Lamprecht untersuchen zwei Doktoranden nach diesem Prinzip die Auswirkungen elektrischer Felder auf Lebewesen: Olaf Schulz setzt die Zysten von Salzkrebschen jeweils 24 Stunden 150 MHz-Feldern (also Feldern, die im Radiowellenbereich liegen) unterschiedlicher Stärke aus und beobachtet, wieviele der Salzkrebschen nach der Bestrahlung geschlüpft sind. Thorsten Grospietsch verwendet für seine Arbeit Colibakterien, die er ebenfalls mit 150 MHz-Feldern bestrahlt, und betrachtet ihre Vermehrungsrate. In einem Teil seiner Experimente variiert er die Bestrahlungsdauer der Bakterien von einer bis zu sechs Stunden. In dem anderen Teil verwendet er modulierte Felder, d.h. er bestrahlt die Bakterien nicht kontinuierlich, sondern schaltet die Felder mit einer bestimmten Frequenz (zehn- bis tausendmal pro Sekunde) an und ab.
"Die Felder werden in einem Hohlraumresonator erzeugt, in den wir die Proben stellen", erläutert Olaf Schulz den Versuchsaufbau. Ihr Resonator ist ein 141 cm langer und hoher und 25 cm tiefer Kasten aus Kupfer. Strahlt man dort mit einer Antenne elektrische Leistung mit einer Frequenz von 150 MHz ein, so bildet sich in dem Resonator eine stehende Welle dieser Frequenz aus, d. h. das Feld breitet sich nicht wie eine Wasserwelle aus, sondern schwingt wie eine Gitarrensaite: In der Mittelebene, die den Resonator quer halbiert, schwingt es am stärksten, d. h. dort wird die Feldstärke am größten, zu den Seitenfläche hin wird es immer kleiner (innerhalb jeder Ebene parallel zu den Seitenflächen ist die Feldstärke jedoch gleich) und direkt an den Seitenflächen ist überhaupt kein elektrisches Feld vorhanden. Die Proben (Küvetten mit Salzwasser, in denen die Zysten der Salzkrebschen schwimmen, bzw. Küvetten mit Colibakterien in einer Nährlösung) stehen in sechs Reihen a acht Proben parallel zur Seitenfläche im Resonator. Innerhalb jeder Reihe befinden sich diese Proben in einem Feld gleicher Stärke, die aber von Reihe zu Reihe variiert. Die Proben direkt an der Seitenfläche si nd überhaupt keinem Feld ausgesetzt. Sie werden deshalb als Vergleich herangezogen. Der Vorteil bei diesen Experimenten ist, daß gleichzeitig eine große Zahl von Proben bei verschiedenen Feldstärken aber sonst gleichen Bedingungen be obachtet werden. Würde man die Versuche nacheinander durchführen, so könnten andere Einflüsse wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit von Versuch zu Versuch anders sein. Da die Proben innerhalb einer Reihe gleichen Feldstärken ausges etzt sind, bekommt man präzisere statistische Angaben.
Statt Wellensalat ein wohldefiniertes elektomagnetisches Feld: Um die Auswirkungen elektrischer Felder auf lebende Organismen zu ergründen, setzen Biophysiker Zysten von Salzkrebschen in einem Hohlraumresonator einem elektrischen Feld aus, das nur eine einzige Frequenz (150MHz) hat. Zur Veranschaulichung der Feldstärken dienen die Balken in der Skizze: Je dicker desto stärker das Feld. Die Proben stehen in sechs Reihen a acht, so daß die Feldstärke von Reihe zu Reihe variiert. Die Experimente ergaben, daß sich z. B. die Schlupfrate der Zysten bei einer bestimmten Feldstärke um 10-15% verringert.
Olaf Schulz beobachtet in seinen Experimenten, daß die Zahl der geschlüpften Salzkrebschen über einen großen Bereich nicht von der Feldstärke abhängt. Lediglich bei einem Feld von etwa 8 V/m - das entspricht der Feldst&a uml;rke, die in etwa 100 cm Entfernung von einer eingeschalteten Stereoanlage herrscht - schlüpfen 10-15% weniger Krebschen. Die Versuche von Thorsten Grospietsch ergaben zum einen, daß bei Feldern über 1000 V/m die Vermehrung der Bakterie n zunimmt, aber erst, nachdem sie mindestens zweieinhalb Stunden bestrahlt wurden. Kürzere Bestrahlungen haben keine Auswirkungen. Bei niedrigen Feldstärken fand er, daß bei einer Bestrahlung von sechs Stunden die Populationen sich zun&aum l;chst mit zunehmender Feldstärke stärker vermehren, durch Felder größer als etwa 50V/m ( entspricht etwa dem Feld eines Küchenmixers im Abstand von 30 cm) dasWachstum nicht mehr gesteigert werden kann. Dieser Effekt war etwas gr ößer bei modulierten Feldern, zeigte sich aber auch bei unmodulierter Bestrahlung.
Die FU-Wissenschaftler sind weit davon entfernt, diese Ergebnisse auf den Menschen zu übertragen. So ist es unwahrscheinlich, daß unsere Vermehrung auf genau diese Weise von elektrischen Feldern beeinflußt werden kann. Die Untersuchung en zeigen aber grundsätzlich, daß die Wirkungen von elektromagnetischen Feldern auf Organismen sehr differenziert betrachtet werden müssen, weil biologische Vorgänge eventuell erst nach einer minimalen Bestrah-lungsdauer beeinflu&szli g;t werden oder ein Effekt nur dann auftritt, wenn die Feldstärke innerhalb eines sehr schmalen Fensters liegt. Man sieht aber auch, daß die Erforschung der Wirkungen elektromagnetischer Strahlung auf biologische Vorgänge noch ganz am Anfa ng steht. Ziel ist das Verständnis der beobachteten Effekte, so daß vorhergesehen werden kann, unter welchen Umständen Schädigungen auftreten. Pauschalisierende Aussagen unter dem Schlagwort "Elektrosmog" verhindern eher eine kritisch e Auseinandersetzung.
Gabriele AndrŽ