Kurt Zegenhagen leitete 22 Jahre lang das Präsidialamt der FU

"Garant für Normalität auch in rauhen Zeiten"

Major domus: Kurt Zegenhagen


Wer hat das Hausrecht an der FU? Der Präsident. Wer übt es aus? Kurt Zegenhagen. In den zweiundzwanzig Jahren, in denen er das Präsidialamt zu leiten hatte, gehörte das zu seinen täglichen Geschäften, und es gab Jahre, in denen es das schwierigste von allen Geschäften war, denn an ihm hing die Entscheidung, bei welchem Grade auf der Richterskala der inneruniversitären Beben die Polizei auf den Campus zu rufen wäre. Das war für den Doktor zweier Fakultäten, der in der Physik über extragalaktische Systeme mit Auszeichnung promoviert und dann noch einen Dr.rer.pol. über die Dynamik der Preise nachgeschoben hatte, ein sehr irdisches Betätigungsfeld und obendrein eines, bei dem mit Gewinn auf keiner Seite zu rechnen war. Festigkeit war da geboten und inmitten politischer Ereiferung ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit, und beides brachte Zegenhagen gerade dann auf, wenn Rage auf der einen und Bitterkeit auf der anderen Seite der puren Machtprobe mehr zutrauten als dem eigenen Argument.

Erinnerungen solcher Art halten ein Gesicht noch anders fest als es die regelmäßige Nachbarschaft in Jahren normaler und geordneter Tätigkeit von sich aus vermag. Dabei war Zegenhagen als Leiter des Präsidialamtes geradezu der Garant für einen Erhalt von Normalität auch in rauhen Zeiten. Schon vor dem Antritt dieses Amtes im September 1973 hatte er sich manchen Wind um die Nase wehen lassen und das Arbeitsleben so gut wie das akademische von mehr als einer Seite kennengelernt. Mit 18 Jahren hatte er bei Bosch in Berlin die Lehrzeit zum Elektromechaniker hinter sich gebracht und mit 22 war er bereits Entwicklungsingenieur bei der AEG und dann bei Telefunken im schwäbischen Backnang. Fachschul- und dann Hochschulreife waren der Ertrag von abendlicher "Nebentätigkeit".

Als einer, der die Arbeitszeit nicht mit der Stechuhr maß, begann er im Oktober 1959 das Physikstudium an der FU. Vier Jahre später sah die Ingenieur-Akademie Gauß in Berlin ihn schon als Fachdozenten für Mathematik und noch einmal drei Jahre später war er Wissenschaftlicher Assistent am I. Mathematischen Institut der FU. Auch das Vordiplom zum Volkswirt hatte er damals schon ganz nebenbei erworben. Kaum Assistenzprofessor der Astrophysik, vertrat er sein Fach und die Assistentenschaft seiner Fakultät quer durch die Universität in zahlreichen Gremien vom Institutsdirektorium bis zum Kuratorium, und in den aufgeregten Jahren nach 1969, in denen zwischen studentischem Aufruhr und professoraler Zwietracht die Assistenten einen historischen Augenblick lang das Rückgrat der Universität bildeten, war ihm eine Zeitlang die Leitung der Forschungskommission seines Fachbereichs überantwortet.

So war er mit den Menschen, mit den Institutionen und nicht zuletzt auch mit den Wissenschaftsgebieten seiner Universität aus mehr als einer Perspektive vertraut, als Rolf Kreibich ihn 1973 ins Präsidialamt berief. Hier war er bald ein Major domus, der eher in der Stille seines aktenumstellten Dienstzimmers als in der hochschulpolitischen Arena wirkte. Aber vor allem die Studentenschaft konnte ihm dankbar sein, wenn er ihrem Drang nach hochschulpolitischem Engagement so weit wie immer möglich Rechnung trug und dabei zugleich mit der ihm eigenen Unerschütterlichkeit die Grenzen markierte, bis zu denen Hilfe und Mittelgewährung von seiten der Universität noch statthaft waren. Oft genug in die Rolle gedrängt, Verständnis und Entschiedenheit im selben Maße aufzubringen, hat er freilich mehr als einmal auch die bittere Erfahrung machen müssen, daß einer, der behutsam vermittelt, in aufgeregten Zeiten dafür den Dank von keiner Seite erfährt. Doch konnten Gremien so gut wie einzelne Angehörige der FU in all den Jahren der Redlichkeit trauen, mit der er sein Amt versah und ihre Interessen mit denen der gesamten vielgestaltigen FU zu vermitteln suchte.

Sein selbstgewählter Ruhestand wird ihn von seiner Alma mater nicht entfernen, denn noch ist viel Wissensdurst auf den Gebieten seiner früheren Studien ungestillt geblieben, und an der Spieltheorie, für die einer seiner Lehrer an der FU sich den Nobelpreis einhandelte, hat er mit seinem frühen Doppelaugenmerk auf der Dynamik physischer und ökonomischer Prozesse nun neues Interesse gewonnen. Das läßt für alle, die auf eine gemeinsame Arbeitszeit mit ihm zurückblicken, ihren Dank mit dem besonderen Wunsch verbinden, daß seiner Arbeitslust auf diesem alten und neuen Spielfeld nun weiterhin Glück und Erfolg beschieden sind. .

Eberhard Lämmert

Der Autor war von 1976 bis 1983 Präsident der FU


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