Spontaneität und Steuerung
Wenn das Wetter angenehm ist, kann sich das Geschehen auf dem Marlene-Dietrich-Platz recht lebendig gestalten. Es ergeben sich an einem solchen Nachmittag häufig Situationen, in denen Kinder an der Skulptur von Jeff Koons spielen und darauf herumklettern, in denen junge Menschen an den beiden am Marlene-Dietrich-Platz zusammenfließenden Wasserflächen sitzen und sich am Ufer der im Süden des Platzes gelegenen Wasserfläche eine größere Anzahl recht gemischter Leute versammelt, einfach nur so dasitzt, sich unterhält, verbotenerweise die Enten und Goldfische füttert oder einen Snack vertilgt – sei dieser mitgebracht oder bei McDonald’s erworben. In gewisser Weise ist dies ein entspanntes Szenario und solche Nachmittage waren auch die für mich als Beobachter entspanntesten Gelegenheiten. Unter diesen Umständen war ich praktisch völlig unauffällig, da sich auch andere Leute oft ohne erkennbare Motivation längere Zeit an einem Punkt in diesem Raum aufgehalten, gelesen oder sich das Geschehen angesehen haben.
In einer solchen Situation gewinnt der Marlene-Dietrich-Platz, zumindest für jüngere und agilere Personen, eine gewisse, angenehme Aufenthaltsqualität und Konsum scheint keine notwendige Bedingung zu sein, um einen Aufenthalt zu legitimieren.
Vom Südende des Marlene-Dietrich-Platzes auf die im Süden gelegene Wasserfläche. Mai 2001.
Jedoch finden sich auch unter diesen Bedingungen immer Hinweise darauf, dass dieser Ort nicht eine gewöhnliche, öffentliche Anlage ist. Der auf Foto 16 zu sehende Müllmann ist Angestellter der von den Anliegern mit der Straßenreinigung beauftragten Firma Ruwe, einer Tochter der BSR. Im (nicht statistisch ausgerechneten) Durchschnitt meiner Beobachtungen konnte ich ein- bis zweimal pro Stunde Angestellte der Firma Ruwe bei der Reinigung des Marlene-Dietrich-Platzes und der anderen zum Quartier DaimlerChrysler gehörenden Straßen beobachten. Meist sind diese Allein oder in Zweiergruppen mit der auf Foto 16 zu sehenden Ausstattung (die Uniform ist im typischen Müllmann-Orange) unterwegs, seltener konnte ich ein Straßenfegefahrzeug beobachten. Zu diesen Arbeitern kommen auch noch Angestellte der Berliner Stadtreinigung, die allerdings seltener auf dem Platz anzutreffen sind. Insgesamt ergibt sich so eine sehr gründliche und häufige Reinigung des Platzes und des Straßenraums. Es wird also Sorge dafür getragen, dass an diesem Ort immer ein Mindestmaß an Sauberkeit und Ordnung herrscht. Eine Sauberkeit, die alle Hinweise auf ‚Verwahrlosung’ verbannt. So finden auf dem Marlene-Dietrich-Platz auch keine unangemeldeten Darbietungen statt, ich konnte dort zu keiner Zeit, auch wenn am Platz viel Betrieb war, Musiker oder Kleinkünstler beobachten – diese haben sich immer auf dem öffentlichen, d.h. der Stadt Berlin gehörigen Straßenraum (entweder der Alten Potsdamer Straße oder auf dem eigentlichen Potsdamer Platz vor dem Südeingang zum unterirdischen Bahnhof) präsentiert und wenn sie dies nicht getan haben so werden sie vom DaimlerChrysler Privatbesitz auf den öffentlichen Raum verwiesen, denn der Marlene-Dietrich-Platz, wie auch der Rest des Quartiers DaimlerChrysler mit Ausnahme der Alten Potsdamer Straße, befinden sich im Privatbesitz des Investors. Dies wird aber durch keine Markierungen vor Ort sichtbar gemacht, so dass der Ort für seine Besucher mindestens als öffentlicher erscheint: So äußerte ein aus Berlin stammender Akkordeonspieler, mit dem ich mich darüber unterhalten habe, dass er so etwas zum ersten Mal erlebt hätte. Er wäre zwei Mal verwiesen worden, bis sein Standort den Anforderungen des Sicherheitspersonals genügt hätte. Diese Maßnahme hat ihn sichtlich geärgert und er hat berichtet, dass er schon vor verschiedenen Einkaufszentren in Berlin gespielt hätte, ihm so etwas aber noch nicht passiert sei. Warum er nicht vor den Potsdamer Platz Arkaden spielen durfte, war ihm nicht verständlich. So sagte er sogar, dass er einen ‚Aufstand machen’ und sich rufend darüber beschweren würde, wie man so etwas machen könne, wenn die Sicherheitskräfte es ihm gänzlich verboten hätten, dort zu spielen.[21] Die Orte, an denen nicht von den Investoren organisierte oder genehmigte Darbietungen stattfinden können sind also stark begrenzt. Einerseits wird so ein geordnetes Straßenbild dadurch hergestellt, dass nicht zentral koordinierte, in gewissem Sinn spontane Aktivitäten von Kleinkünstlern verhindert werden und dass andererseits durch die Arbeit und Anwesenheit von Reinigungspersonal das ordentliche Straßenbild gewahrt wird.
Es ist unwahrscheinlich, dass diese Maßnahmen
für sich genommen einen sehr starken Einfluss auf die Handlungen der
Menschen am Potsdamer Platz haben. Es ist entscheidend, diese Maßnahmen
mit den anderen, bereits beschrieben Aspekten der Gestaltung dieses Ortes im
Zusammenhang zu sehen – einen ähnlichen Versuch der Bündelung
macht auch Lyn Lofland in ihrem Buch über die öffentliche Sphäre.
Unter dem Titel Control by Design: The Architectural Assault on the Public
Realm
beleuchtet sie in einem Kapitel den Erfolg und Misserfolg
verschiedener Strategien zur Herstellung eines ordentlichen und kontrollierten
öffentlichen Raums.[22] Sie zeigt, dass die Einführung bestimmter
Gesetze und Regulierungen, wie z.B. das Verbot von Straßenverkauf allein
wenig Erfolg haben und das zur Herstellung
des gewünschten Zustandes meist noch der Einsatz von Polizei oder privaten
Sicherheitskräften nötig wird. Dieser Einsatz wiederum ist aber eher
dysfunktional, da er den Ort als einen Kontrollbedürftigen ausweist und
weil solche Einsätze auf expliziten Widerstand bei den Nutzern
stoßen oder einen Skandal produzieren können. Diese Unruhe gilt es
zu vermeiden. Das Erlebnis Potsdamer Platz
[23]
soll ungestört und harmonisch sein. Um einen ordentlichen und homogenen
(bei Lofland purified
)
öffentlichen Raum zu produzieren, bedarf es dementsprechend noch eines
wichtigen zusätzlichen Faktors – architektonischer und
räumlicher Gestaltung in ausreichend großer Ausdehnung, welche das
Verhalten der Leute in Übereinstimmung mit den vorhandenen Ansprüchen
an Homogenität und Ordnung in einer Art Verhaltensmanagement beeinflusst
und steuert. Lofland bezieht sich in ihrem Kapitel vor allem auf Arbeiten von
Mike Davis[24],
Sharon Zukin[25]
und William H. Whyte[26]
bezeichnet solche Räume als Gegenräume
und ihre
Gestaltung als sanitary design
:
Counterlocales may be defined as locales to which both entry and behavior are monitored and controlled so as to reduce the possibility for discomforting, annoying, or threatening interactions. Stated another way, counterlocales are
purifiedorsanitizedlocales.[27]
Diese Orte bündeln verschiedene Arten von Aktivitäten und kanalisieren sie in ausgewählte Richtungen. Beispiele für diese Kategorie von Orten sind bei Lyn Lofland Themenparks und die Mall of America. Wie in der bisherigen Arbeit beschrieben worden ist, weist der Komplex von Marlene-Dietrich-Platz und otsdamer Platz ebenfalls einige Charakteristika dieser Kategorie auf – die Gebäude hier sind aufeinander abgestimmt und weisen die Merkmale eines groß angelegten urbanen Unterhaltungszentrums auf. Vom Multiplex über Musicaltheater und Casino bis zu den Marketing-Läden von Sony oder Swatch sowie Restaurants, Cafés und anderen Geschäften ist ‚alles’ vorhanden. Einkaufen, Essen, sich amüsieren, andere Leute treffen – all diese verschiedenen Aktivitäten finden in einem zentral gemanagten Ensemble von Gebäuden, offenen Straßen und Plätzen statt.
Für die ‚Reinigung’ des Raums am Potsdamer Platz und am Marlene-Dietrich-Platz von unerwünschten Personen, Aktivitäten und Dingen ist dieses Charakteristikum von enormer Bedeutung: Die hier vorhandenen Einrichtungen absorbieren eine große Anzahl verschiedener Aktivitäten und kanalisieren sie in gewünschte Richtungen; gleichzeitig wird ein großes Areal durch gestalterische Maßnahmen und durch zentrales Management vor allem auf Konsum und Marketing hin getrimmt. Räumliche Größe, zentrales Management und die Bündelung vieler Aktivitäten haben, zusammen genommen, eine eigene Wirkung: sie belegen diesen Ort mit einer Vielzahl miteinander vernetzter Kontrollkonstellationen und sorgen so dafür, dass das Geschehen innerhalb dieses Kontrollnetzes möglichst homogen und sauber abläuft. Sie sorgen ebenfalls dafür, dass dieser Ort nach außen hin abgeschirmt ist und die innere Logik dieses Ortes nicht von außen durcheinander gebracht wird.
Fußnoten
- 21 Sein Ärger sei nicht gegen die Sicherheitskräfte gerichtet, denn die würden auch nur ihren Job machen.
- 22 Siehe Lyn H. Lofland, The Public Realm. Exploring the City’s Quintessential Social Territory. S. 179-227.
- 23 Zitiert nach einer Broschüre der Potsdamer Platz Arkaden.
- 24 Mike Davis’ City of Quartz. Excavating the Future in Los Angeles gehört zu den Büchern, die mich zu dieser Arbeit inspiriert haben. Ich verzichte auch an dieser Stelle darauf, mich mit der umfangreichen vorhandenen Literatur zu sozialer und ökonomischer Kontrolle im Stadtraum oder mit der Literatur zu Themenparks und Malls zu beschäftigen. In dieser Arbeit will ich möglichst direkt am Geschehen am Marlene-Dietrich-Platz bleiben und theoretische Ergänzungen aus der Literatur nur wenn nötig einbauen und nur auf den für diese Arbeit interessanten Ort hin zuschneiden.
- 25 Sharon Zukin, Cultures of Cities und Landscapes of Power. From Detroit to Disney World.
- 26 William F. Whyte, City. Rediscovering the Center. (Vgl. auch Fußnote 18.)
- 27 Lyn H. Lofland, The Public Realm. Exploring the City’s Quintessential Social Territory. S. 209. Die Hervorhebungen sind aus der Quelle übernommen.
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