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Den Marlene-Dietrich-Platz erleben

Unbehagen und Entertainment

In diesem Abschnitt will ich auf eine Art von Konstellationen eingehen, die sich im Zusammenhang mit der Gesamtgestaltung des Marlene-Dietrich-Platzes und des Potsdamer Platzes ergibt und die sich weniger an einem einzelnen Punkt in diesem Raum lokalisieren lassen als in der Atmosphäre und in der Art und Weise, wie sich das Leben an diesem Ort darstellt. Vergnügen und Konsum sind zwei zentrale Themen, die sich durch diesen Ort ziehen. Das Vergnügen stellt sich hier als ein organisiertes und von zentraler Stelle aus geleitetes und inszeniertes Spektakel dar. Vergnügt werden die BesucherInnen des IMAX Discovery Kinos ebenso wie diejenigen, die in Disneys Glöckner von Notre Dame gehen und wie diejenigen, die durch diesen Raum mit seiner für regionale Verhältnisse neuen und fremden, hoch aufragenden und merkwürdig ungewohnten Architektur gehen. Diese Architektur beeindruckt jedoch nicht nur durch ihre Fremdheit und Größe, sondern auch durch eine große Anzahl von Hinweisen auf die Besonderheit dieses Ortes.

Da ist zum Einen sein Charakter als eine groß angelegte und unter enormen Aufwendungen errichtete Neuschöpfung. Denn um eine Neuschöpfung handelt es sich hier – dies wird insbesondere an den eingesprengten Historika deutlich. Im Gegensatz zum intuitiven Gedanken, dass das Weinhaus Huth, die Linden auf der Alten Potsdamer Straße (und natürlich der aus dem Hotel Esplanade stammende Saal im Sony Center) übrig Gebliebenes, eine Hinterlassenschaft aus der Vergangenheit des Ortes sind, steht die Wirkung, die diese alten Dinge in der neuen Welt des Potsdamer Platzes haben – sie sind Errungenschaften der modernsten Technik. Bei Stadtführungen wird hervorgehoben unter welchen Anstrengungen diese Dinge erhalten worden sind; wenn ich mit Besuch von außerhalb die Alte Potsdamer Straße entlang gehe und erzähle, dass hier eine gewaltige Grube war, aus der nur noch das Weinhaus Huth und die Linden hervorragten und das diese mit hohem Aufwand bewässert und gestützt worden sind, dann wird deutlich, dass diese Dinge eigentlich gar nicht mehr an diesem Ort sein können; sie sind hier nicht mehr ‚natürlich’ im Raum stehen gebliebene Objekte oder die selbstverständlich aus der Vergangenheit in den Ort ragende Geschichte, sie verdeutlichen vielmehr den Bruch mit der Geschichte und sie verdeutlichen die Tatsache, dass Geschichte hier ein großartiger Artefakt, ein hergestellter Teil dieses Raums ist.

Zum Anderen wird, wie bereits beschrieben, die Besonderheit dieses Ortes durch die hier versammelten großen Namen und Marken präsentiert. DaimlerChrysler/Debis, Sony, das Hyatt Hotel tragen dieses Image, andere hier angesiedelte Unternehmen beteiligen sich daran in einem zweiten Schnitt, sie profitieren von der Auszeichnung dieses Ortes und lassen sich ebenfalls hier nieder – der Swatch Store ist dafür wahrscheinlich das deutlichste Beispiel. In diesem Geschäft wird die aktuelle Swatch Produktkette ebenso wie von Sony im eigenen Center eher ausgestellt als verkauft, die jeweiligen Produkte präsentieren sich als Lifestyles mit den dazugehörigen Accessoires, wie im Swatch Store z.B. den Smart Autos und iMac Computern von Apple in knalligen Farben. Für diese Geschäfte, wie für die hier angesiedelten Unternehmen ist der Potsdamer Platz eine Bühne oder ein Schaufenster, in dem ihr Name oder ihre Marke vermarktet wird. So erweckt es in diesen Läden eigentlich auch nicht den Anschein, dass hier Waren direkt verkauft werden sollen; es geht um das Produktplacement, um Public Relations. Andere Unternehmen nutzen den Potsdamer Platz als Bühne für einen Werbespot oder für ein Plakat, die hier angesiedelten profitieren permanent von ihrer Anwesenheit in diesem Raum. Es ist hier wie mit den Souvenirverkäufern und den fotografierenden Touristen: einerseits machen sie den Ort zu dem was er ist, einer Umwelt für Produkt- und Lifestylepräsentationen, andererseits sind sie auch darauf angewiesen, dass dieser Ort als solcher erkannt und behandelt wird. Aus dieser Perspektive wäre es absurd, wenn die Menschen hierher kämen, um bloß alltäglichen Dingen nachzugehen.

Dies ist eine der Konstellationen, die sich durch diesen Raum zieht: Das Alltägliche wird vermieden, es wird, wie in den Arkaden, so platziert, dass es nicht auf den ersten Blick sichtbar ist, es wird vermieden, in dem die Fassaden der Gebäude im Quartier DaimlerChrysler nicht denen von Berliner Bürgerhäusern ähneln und es wird vermieden, in dem außergewöhnlichen Einrichtungen wie dem Musical Theater und Casino eine zentrale Position zugewiesen wird – gleichzeitig aber ist dieser Ort, soll er denn funktionieren, auf Alltäglichkeit angewiesen. Dieser Ort, der ein städtisches Unterhaltungszentrum, ein Urban Entertainment Center im erweiterten Sinne ist, bei dem der Ort selbst zur Unterhaltung wird, dieser Ort braucht alltägliche Menschen mit ihren alltäglichen Bedürfnissen oder Wünschen. Dadurch, dass die Leute hier auch ihre normalen Einkäufe erledigen können, wird es für sie attraktiv oder attraktiver auch noch anderes zu erledigen, sich hier unterhalten zu lassen, mit Bekannten zu treffen und zu flanieren. Dies gilt natürlich vor allem für die Menschen die in Berlin leben und arbeiten. TouristInnen können hier jedoch auch mehr machen, als nur ein ‚Sight’ zu bewundern und einen Imbiss zu sich zu nehmen. Sie sind auch potentielle Kunden für den Besuch eines Kinos (hierzu lädt insbesondere die verhältnismäßig kurze Dauer der Filme im IMAX ein), des Musical Theaters oder des Casinos – wenn nicht zu dem Zeitpunkt, wo sie über diesen Platz laufen, so dann vielleicht doch noch zu einem späteren Zeitpunkt. Die Konstellationen des Nebeneinanders und des Wechselspiels von Exklusivität und Trivialität entstehen ebenso in der räumlichen Gestaltung wie in den Waren- und Dienstleistungsangeboten an diesem Ort und wie sie werden auch durch die Leuten, die sich hier bewegen, aufhalten und arbeiten produziert.

In den Wochen in denen ich meine Beobachtungen durchgeführt habe, konnte ich am und auf dem Marlene-Dietrich-Platz eine sehr konstante Mischung von Menschen beobachten. Hier bewegen sich ebenso Jugendliche wie ältere Menschen, Männer in Anzügen und Frauen in Kleidern wie Touristen in Shorts – Punks und Obdachlose sind hier jedoch genauso wenig zu sehen wie Sicherheitskräfte, die auf dem Marlene-Dietrich-Platz oder auf dem dorthin führenden Straßen patrouillieren. Wie lässt sich dieser Effekt erklären, warum scheint an diesem Ort eine Kontrolle durch private Sicherheitskräfte wie z.B. an Bahnhöfen oder anderen Orten in Berlin nicht nötig zu sein? Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass diese einschreiten, wenn es notwendig erscheint – auf dem Marlene-Dietrich-Platz habe ich dies aber in dem gesamten Zeitraum meiner Beobachtungen kein einziges Mal gesehen.

Bei Sharon Zukin findet sich die Beschreibung und Analyse eines ähnlichen Szenarios: In The Cultures of Cities ist eines ihrer Beispiele der Bryant Park in New York. Dieser war wegen der Obdachlosen bekannt, die den Park für sich genutzt haben. Er wurde dann neu gestaltet und so zu einem Ort gemacht, der auf die Büroangestellten aus Midtown Manhattan zugeschnitten ist. Sie prägen nun die Normalität des Ortes und Obdachlose fallen als Abweichende aus dem Schema. Der Raum wird von den Angestellten aus der Umgebung praktisch besetzt und ist somit für die anderen, Unerwünschten nicht mehr nutzbar.

[The] Bryant Park Restoration Corporation started cleaning up the midtown business district by adopting the social design principles developed by Whyte[19]. Whyte’s basic idea is that public spaces are made safe by attracting lots of normal users. The more normal users there are, the less space there will be for vagrants and criminals to maneuver. The Bryant Park Restoration Corporation intended their work to set a prototype for urban space. […] They established a model of pacification by cappuccino.[20]

Der Marlene-Dietrich-Platz funktioniert sehr ähnlich: Durch die dort vorhandenen Einrichtungen wird eine große Anzahl von Menschen angelockt, die diesen Ort einerseits zum Konsum verschiedener Waren und Dienstleistungen nutzen und die andererseits das Publikum für das an diesem Ort statt findende Marketing sind. Diese Menschen gehören nicht nur einer bestimmten Schicht oder Gruppe an, sie repräsentieren vielmehr eine Art Durchschnitt der potentiellen Kunden und Konsumenten – als solche besetzen sie den Raum. Durch das in diesem Raum zu findende Angebot und durch die Gestaltung des Raums wird eine Normalität für diesen Ort definiert. Mit der Definition des Normalen wird immer auch das Abweichende definiert. Im Falle des Marlene-Dietrich-Platzes wird ein Konglomerat aus dem Konsum des Spektakels, dem Entertainment und alltäglichen Einkäufen geschaffen; diese verwertbare Normalisierung ist einer der Faktoren, die ökonomische und symbolische Macht miteinander verknüpfen und so das soziale und räumliche Gefüge am Potsdamer Platz in bestimmte Konstellationen beugen.

Diese Normalität schließt allerdings nicht bloß bestimmte Gruppen aus, sie übt auch feinere Wirkungen aus und findet ihren Weg in das Verhalten und die Handlungen der Menschen, die diesen Ort nutzen. Diesen Effekt kann ich wiederum am Besten beschreiben, wenn ich von den von mir selbst gemachten Erfahrungen (und auch von Gesprächen mit anderen) ausgehe. Das subtile Unbehagen, das ich spüre, wenn ich mich zu lange im Foyer des Musical Theaters aufgehalten habe, habe ich in anderem Zusammenhang schon erläutert – das Unbehagen wäre geringer, wenn sich dort auch andere Leute aufwärmen würden. Ähnlich ist es mit den Zweifeln, die mir vor allem anfangs gekommen sind, wenn ich mich an diesem Ort aufgehalten habe, um dort zu beobachten und meine Beobachtungen zu notieren; auch dieses Verhalten ist hier nicht normal und bereitet mir deshalb Unbehagen. Eine Art und Weise mit diesem Unbehagen umzugehen, ihm zu trotzen, ist, es einfach trotzdem zu machen, Provokationen in Kauf zu nehmen oder sogar zielgerichtet hervorzurufen. Solche Äußerungen von Widerstand lassen sich auch gelegentlich an diesem Ort beobachten, sei es in offensichtlicher Form durch Jugendliche, die mit BMX Rädern durch die Menge schießen, sich während dessen laut Anfeuerungen zurufen und sich wenig um die ‚Touristen’ auf dem Platz scheren. Andere Formen des Widerstands sind weniger offensichtlich und es ist nicht klar, ob diese Handlungen sich eigentlich als Widerstand bezeichnen lassen, oder ob sie bloß als Schwierigkeiten beim sich Einfügen in die Ordnung dieses Ortes aufzufassen sind – diese Frage kann ich besser behandeln, wenn noch andere Aspekte dieses Ortes und andere mögliche Konstellationen erläutert worden sind. Dementsprechend soll nun noch weiter die Komplexität des Geschehens an diesem Ort rekonstruiert werden, bevor ich mich mit dieser Frage auseinandersetze.

Insbesondere an Wochenenden finden auf dem Marlene-Dietrich-Platz verschiedenste Events statt. Der erwähnte Welt-Falun-Gong Tag und das Auftreten eines schwul-lesbischen Chors gehört ebenso dazu, wie eine Skate Show, die von Nike ausgerichtet wird. Diese Events und Vorführungen sind ein Grund dafür, auch bei geschlossenen Geschäften zum Potsdamer Platz und zum Marlene-Dietrich-Platz zu kommen. Insofern lassen sie sich auch als Fortsetzung des Ortsmarketings für den Potsdamer Platz und seine Anlieger beschreiben. Aber auch hier gilt, dass solche Events darüber hinaus eine gewisse Eigendynamik haben und somit über die (un)mittelbare Verwertung des Ortes hinausweisen. Im Gegensatz zu der vor allem negativen Beziehung zur Verwertung dieses Raums, die sich aus den beschriebenen Kontrollkonstellationen ergeben und sich in Illegitimität, Ausgrenzung und Unbehagen äußern können, würde ich bei diesen Events eher noch positive oder zumindest gemischte Effekte sehen. Wenn Falun-Gong PraktikerInnen auf dem Platz meditieren, wirkt das zwar möglicherweise deplatziert , es verleiht dem Ort aber auch eine andere Qualität. In gewisser Weise sind diese Präsentationen zwar inszeniert, aber ich würde nicht so weit gehen, sie als rein künstlich und notwendigerweise einfach passiv konsumierbar zu bezeichnen. Solche Events haben immer einen Doppelcharakter: Einerseits demonstrieren sie die Political Correctness von DaimlerChrysler und erfüllen damit wiederum Public Relations Funktionen, andererseits können sie auch für sich bedeutsam sein und diesem Ort eine allgemeinere und öffentliche Funktion verleihen.

Fußnoten

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