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Den Marlene-Dietrich-Platz erleben

Eingeparkt

Mit dem Auto zum Potsdamer Platz zu fahren ist kein einfaches Unterfangen. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Arbeit ist die Region um den Potsdamer Platz immer noch mit Baustellen gespickt und der Verlauf des Straßenverkehrs ist häufigen Veränderungen unterworfen. Aus diesen Gründen ist auch noch nicht ohne weiteres zu ersehen, wie sich die Verkehrs- und Parklandschaft in Zukunft gestalten wird, wo sich Lücken für Parker ergeben und ob und wie der Verkehr am Potsdamer Platz fließen wird (vgl. Stadtplan.)

Wer den Potsdamer Platz und den Marlene-Dietrich-Platz erreichen will, muss sich entweder in eines der entgeltpflichtigen Parkhäuser begeben oder nach Lücken suchen, sich mit anderen über günstige Parkmöglichkeiten austauschen und wahrscheinlich Geduld und Zeit mitbringen. Die Parkmöglichkeiten reichen vom Parkhaus Gleisdreieck über Plätze an der Leipziger Straße und am Kulturforum bis zur großen Tiefgarage unter dem Potsdamer Platz und bis auf die Straßen im Quartier DaimlerChrysler – das heißt bis an den eigentlichen Marlene-Dietrich-Platz heran.

Die Suche nach einem Parkplatz kann, insbesondere beim Parken im Parkhaus, schnell beendet sein, sie kann aber auch eine Belastung und Verzögerung mit sich bringen. Dementsprechend kann das Verlassen des Wagens etwas Befreiendes an sich haben – die Suche ist beendet. Zur gleichen Zeit jedoch verlässt man auch einen vielfach geschützten und privatisierten Raum. Wenig Dinge sind privater als der Innenraum eines Automobils, der über den Zeitraum seiner Benutzung eigene Gerüche annimmt, vertraute Macken hat und durch verschiedenste Waren und Gegenstände personalisiert werden kann. In diesem geschützten Innenraum wird Beschäftigungen nachgegangen, denen sonst nur in der eigenen Wohnung in einem unbeobachteten Moment nachgegangen wird. Es handelt sich mit Bestimmtheit nicht um ein bloßes Fortbewegungsmittel, sondern vielmehr um einen Raum mit sehr ausgeprägten Qualitäten, die ihn stark von dem nun zu betretenden, öffentlichen Raum unterscheiden. Um den Potsdamer Platz und den Marlene-Dietrich-Platz zu erreichen, muss ein Teil des Persönlichen im Auto zurückgelassen werden.

Ein weiterer, wichtiger Unterschied ist der der Kontrolle der unmittelbaren Privatsphäre. Durch die Fenster eines Autos dringt nur ein gefilterter Teil der Außenwelt herein und die Fahrenden können weitgehend beeinflussen, was für Eindrücke herein- und was für Interaktionen zugelassen werden, indem Fenster geöffnet oder geschlossen werden, indem die Musik laut oder leise eingestellt wird oder indem das Fahrtempo verändert wird. Insbesondere eine Berührung durch Fremde kann nahezu ausgeschlossen werden. Das Auto ist ein schnelles Fortbewegungsmittel und eröffnet als solches den Fahrenden auch die Möglichkeit, ein unangenehmes Umfeld einfach zu verlassen und fortzufahren, über die große Kraft eines Verbrennungsmotors zu verfügen und wieder Kontrolle über die Situation zu erlangen, eine Flucht, die in dieser Form auf dem Marlene-Dietrich-Platz nicht möglich ist. Das Auto ist in gewissem Sinn eine Privatheits- und Komfortmaschine, die seine BenutzerInnen einhüllt und die Interaktion zwischen Insassen und Umgebung mehrfach filtert und modifiziert. So ergibt insbesondere für diejenigen, die Sightseeing per PKW oder per Reisebus betreiben ein nur distanzierter Kontakt zu dem hier untersuchten Ort.

Aber auch wer hier parkt und den Wagen verlässt betritt den Platz unter bestimmten Bedingungen. So kann die sich ergebende Situation immer noch recht unterschiedlich sein, wenn der Parkplatz gefunden ist. Wer im Parkhaus oder in der Tiefgarage parkt, muss sich in diesem ungewohnten Raum erst einmal orientieren und versuchen, Merkmale auszumachen (in diesem Fall eine Farbkodierung), die ein späteres Wiederfinden des Wagens vereinfachen. Während diese Orientierung stattfindet wird auch der Weg nach ‚draußen’ gesucht, wobei dieses Draußen im Fall der Tiefgarage unter dem Potsdamer Platz auch das ‚Drinnen’ eines der Gebäude des Quartiers DaimlerChrysler sein kann. In diesem Fall ist der Übergang von der geschützten und klimatisierten Atmosphäre des Autos in die klimatisierten Innenräume der Bauten am Potsdamer Platz fast nahtlos und die Wahrscheinlichkeit, dass es auf diesem Weg zu Interaktionen kommt, ist eher gering. Nichtsdestoweniger haftet Tiefgaragen und Parkhäusern insbesondere für Frauen etwas Riskantes und Unübersichtliches an, auch wenn, wie es am Potsdamer Platz der Fall ist, eine helle Beleuchtung und die Beschränkung auf ein Minimum an die Sicht versperrenden Mauern und Wänden die Entstehung von Angst möglichst vermeiden sollen.

Eine andere Situation ergibt sich, wenn das Auto in der näheren Umgebung des Potsdamer Platzes geparkt wurde. In dieser Lage wird der Wagen verlassen, und die Kleidung je nach Wetterlage ergänzt, um dann zu Fuß zum Bestimmungsort am Potsdamer Platz zu gelangen.


Foto 1

im Vordergrund mehrspurige Straße mit Grünstreifen in der Mitte, im Hintergrung verschiedene hohe Gebäude

Vom Parkplatz der Philharmonie auf Neue Potsdamer Straße und Potsdamer Platz. Mai 2001.[3]


Hier steht dann der Wechsel zwischen zwei sehr unterschiedlichen Umwelten im Vordergrund, einerseits dem auf Komfort, Sicherheit und Privatheit optimierten Innenraum des Automobils, andererseits der offene und für eine Vielzahl unterschiedlicher und konfligierender Nutzungen und Interessen gestaltete Straßenraum. Auch hier sind mehrere Orientierungen nötig, wovon die Lokalisierung des Potsdamer Platzes wahrscheinlich noch die einfachste ist.


Foto 2

Silhouette der beiden südlichen Hochhäuser am Potsdamer Platz, im Vordergrund die Straßenkreuzung

Über den Potsdamer Platz auf Quartier DaimlerChrysler. Mai 2001.


Der Debis Turm und die am eigentlichen Potsdamer Platz anliegenden hohen Gebäude sind, wie auf Foto 1 und Foto 2 zu sehen, im Stadtraum von Berlin ein deutliches Statement und auch aus verschiedenen Perspektiven schwer zu übersehen.

Bevor ich die Beschreibung fortsetze möchte ich noch einige Anmerkungen zu den in dieser Arbeit verwendeten Fotos und Grafiken machen. So gilt für Foto 1 und Foto 2 wie für die meisten der hier gezeigten Aufnahmen, dass ich sie mit relativ geringer Brennweite (28mm) gemacht habe; sie weisen die für diese Brennweite üblichen perspektivischen Effekte und Verzerrungen auf. Daraus folgt, dass die abgebildeten Objekte sich geringfügig um die Mitte des Bildes wölben, weshalb z.B. Häuserfassaden und hohe Wände etwas überhängendes, bedrohliches bekommen. Bei Foto 2 ist dieser Effekt zu erkennen; zusätzlich erscheint das rechte, von Hans Kollhoff entworfene Gebäude auf diesem Bild besonders dunkel – es sollte beim Betrachten und Bewerten dieser Bilder immer bedacht werden, welche Auswirkungen Situation, Perspektive und Licht auf das Dargestellte haben. Ich werde versuchen, in der Kommentierung der Bilder etwaige Probleme anzusprechen und offener mit den Vor- und Nachteilen fotografischer Abbildungen zu arbeiten als dies beispielsweise im Rahmen der Präsentation von Bauprojekten der Fall ist.

Was für den Einsatz von Fotografien gilt, gilt natürlich auch für den Einsatz von Karten und Schaubildern (wie beispielsweise Karte 1 Bei diesen Medien gerät allerdings noch ein anderer Aspekt in den Vordergrund – die Abstraktion. Indem bei diesen Abbildungen bestimmte Informationen im Vordergrund stehen, wie zum Beispiel die Darstellung des Straßenverlaufs, werden andere Aspekte ausgeblendet oder zumindest stark reduziert. Im Fall der Straßenkarte ist es beispielsweise so, dass der Lärm und die Dichte des Verkehrs, die Bebauung der Straße und die Abgase der Autos nicht sichtbar gemacht werden. Alle Abbildungen, seien es Fotos oder Skizzen, reinigen das Dargestellte, und heben ausgewählte Aspekte hervor. So fehlt in Foto 2 das Geräusch und die Abgase der durchfahrenden Autos, es wird nicht klar, ob der abgebildete Radfahrer schnell oder langsam fährt, ob er durch abbiegende Autos gefährdet wird oder nicht. Außerdem ist dieses Foto vom Potsdamer Platz zur Mittagszeit aufgenommen; wäre es während des Feierabendverkehrs aufgenommen, womöglich mit einem vorbeirauschenden LKW in der Bildmitte, würde ein anderer Eindruck entstehen.

Es ist jedoch recht gut zu erkennen, dass die Gebäude am Potsdamer Platz ungewöhnlich hoch aufragen und sich den von Osten kommenden Menschen spitz entgegenstrecken. Weiterhin ist auch zu erkennen, dass sich am Potsdamer Platz zwei große Straßen kreuzen (vgl. dazu auch Karte 1). Fußgänger, zu denen sich die aus dem Auto Ausgestiegenen innerhalb kürzester Zeit verwandeln, auf dem Weg zum Potsdamer Platz sehen also deutlich, wo der Potsdamer Platz liegt. Sie müssen jedoch einige Barrieren überwinden, um dort auch anzukommen. Ich werde in der dritten Wegbeschreibung näher auf diese Hindernisse eingehen, wenn ich mich mit der Frage beschäftige, wie man aus der Umgebung des Potsdamer Platzes zu Fuß zum Marlene-Dietrich-Platz gelangt.

Das Foto 1 (ich habe dieses Bild vorangestellt, um den Potsdamer Platz nicht gleich in seiner ‚Schroffheit’ darzustellen – in den meisten Fällen werden Besucher des Potsdamer Platzes jedoch mit einer Foto 2 ähnelnden Perspektive konfrontiert, denn eine deutlich größere Anzahl von Menschen kommt von Nordosten, also aus der Richtung Leipziger Straße/Potsdamer Platz, zum hier untersuchten Areal[4]) zeigt eine in einigen Aspekten mildere Perspektive. Die Höhe der Bauten am Potsdamer Platz ist relativ zu den im Vordergrund stehenden Gebäuden weniger deutlich und die junge Bepflanzung der Neuen Potsdamer Straße steht im Gegensatz zur ‚Betonwüste’, die den Vordergrund von Foto 2 dominiert. Auch bei diesem Foto wird allerdings deutlich, dass der Autoverkehr einen großen Teil des Raums belegt. Hier schlägt der Verkehr gewissermaßen eine Schneise durch die Bebauung am Potsdamer Platz. Die Schneise, die ein Erreichen und überqueren des Potsdamer Platzes mit dem Auto vereinfacht, erweist sich allerdings auch als ein mit Hilfe von Kontrolltechnik reguliertes, die hier entlang Gehenden disziplinierendes Hindernis mit einem hohen Gefahrenpotential.


Die Straßen wandeln sich von Transportwegen zu Hindernissen, der wettergeschützte Raum des Autos wird durch die offene Stadtlandschaft ersetzt und Intimität und Privatheit von relativer Sichtbarkeit und Verletzbarkeit abgelöst. Dieser Wechsel in den offenen Stadtraum schafft nicht nur neue Risiken, er eröffnet auch Chancen. Die vielfältigeren sinnlichen Eindrücke, der direkte Kontakt mit verschiedenen Straßenbelägen, der Sonnenschein, der Foto 1 und 2 ausleuchtet, die Geräusche der Stadt und vor allem die Interaktionen mit Anderen, die nun nicht mehr als bewegte Karosserien oder verhältnismäßig statische Fußgänger erscheinen, können als Bereicherung wahrgenommen werden. Die Bewegungsfreiheit im offenen Raum hat eine andere Qualität als das Sitzen im Auto und kann es, je nach Alter, körperlicher Verfassung und Anlage des Raums, erlauben, eine Vielzahl von unterschiedlichen Positionen einzunehmen, den Raum zu durchmessen und zu begutachten. In wie fern dieses Einnehmen unterschiedlicher Positionen im Raum und das Begutachten desselben eingeschränkt ist, in wie weit der zu betretende Raum das Verhalten der Menschen strukturiert und kanalisiert – das ist Thema des Hauptteils dieser Arbeit.

An dieser Stelle ist festzuhalten, dass sich für Menschen, die per Automobil zum Potsdamer Platz bzw. zum Marlene-Dietrich-Platz gelangen, die sinnliche Beziehung zur Umwelt deutlich verändert und dass das Parken und Verlassen des Autos den Wechsel in einen anderen Interaktionsmodus bedeutet – wobei es zum Verständnis dieser Arbeit von zentraler Bedeutung ist, dass Interaktion nicht nur Interaktion mit anderen Menschen meint, sondern eben auch Interaktion mit der gesamten physischen Umwelt. Dieser Wechsel lässt sich vorläufig als Wechsel von einem intimen[5] Raum, der durch mehrere Barrieren von der Umwelt abgeschirmt ist, zu einem riskanteren und chancenreicheren offenen Raum skizzieren. Im Rahmen dieses Wechsels werden Neuorientierungen notwendig, sowohl im Sinne einer Neuorientierung als örtlichem Zurechtfinden als auch im Sinne einer Neuorientierung auf eine andere, nicht maschinenvermittelte Interaktion mit der Umwelt.

Fußnoten

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