pressefotos 2006

pressestimmen zu "kartographie" (sitzer records 2006)


Info

Mobilé, Kartographie

'Kartographie' ist das zweite Album von Mobilé, das erste heißt 'Nennen wir es den Tag' und erschien 2003 bei LoobMusik, beide Alben wurden mit und bei Tobias Siebert von Delbo und Klez_E in dessen Berliner Studio aufgenommen. Ihr Sound, astreine Independentmusik, wurde (ob weiterhin wird, soll dieses Album zeigen) gerne mit (den frühen) Tocotronic verglichen; ein Mißverständnis, das darauf beruht, daß beide Bands ihre Wurzeln in einen vergleichbaren (amerikanischen) Nährboden (in klassischen Indierock: Sebadoh, Chokebore, Dinosaur Jr, Lemonheads, Mogwai, dazu später mehr) schlugen, aus dem in beiden Fällen ein völlig eigenes und unverwechselbares Gezücht erwuchs. Dieser Absatz war der mit dem Informationsgehalt, wer nicht viel Zeit hat und nur ein paar Schlagworte für die Ankündigung im Monatsmagazin oder Programm gesucht hat, wurde hoffentlich fündig, ohne den ganzen Sermon lesen zu müssen.

Es ist ein langweiliges Thema, von der Ungerechtigkeit zu reden, mit der Bands aus Deutschland sich herumschlagen müssen: daß sie es so ungleich schwerer haben als Bands aus England oder gar Amerika. Ob das stimmt oder nicht sei dahingestellt, ob es ein Grund ist, Desinteresse oder Erfolglosigkeit zu rechtfertigen ebenfalls. Was ich aber bestimmt weiß: wären Mobilé Amerikaner, wäre die Chance doch höher, daß noch mehr Leute mit mir in Peer Göbel ein Genie vom Format eines Will Oldham oder Doug Martsch erkennen wollten. Einen dieser Kauze, die ein bißchen seltsam aussehen und irgendwo weit draußen wohnen und dort hauptsächlich einen Song, ein Album, ein Projekt nach dem anderen aus dem Ärmel schütteln; nahezu alles, was sie tun, ist überraschend und wird von Kennern wie eine kleine Offenbarung aufgenommen. Bassist Frank Neuer würde vielleicht ähnlich wie Steve Albini verehrt werden: als einer, der neben der großen Leistungen als Musiker noch in anderen Reservaten wildert, aber alles auf seine völlig eigene, verschrobene, aber in sich geschlossene konsequente Weise erledigt und lose Enden miteinander verknüpft, die streng genommen nicht verknüpfbar sind.
icht jedem, vermutlich nahezu keinem, der dieses Infoschreiben erhält, sind Mobilé und die Mitglieder (persönlich) bekannt. Aber in meinen Augen liegt ein wesentlicher Bestandteil zum Verständnis der Band gerade darin. Wie die Typen sind, was sie so treiben. Die CD kann ja jeder hören und ich maße mir nicht an, einerseits Mobilés Album abordnen, andererseits das Urteil der oder des Rezensenten damit in die ein oder andere Richtung lenken zu wollen oder zu können. Ich begreife die Musik so, daß sie ausgeht von ganz klassischem Indierock im seinem umfassendsten Verständnis wie bei Sebadoh, Chokebore, Dinosaur Jr, Lemonheads oder auch Mogwai (gerade live) und von einer Band umgesetzt wird, die nicht versucht, mit ihren Unzulänglichkeiten zu kokettieren und 'dilettantischen Charme' aufzurufen, wenn sie am großen Wurf scheitert, aber immerhin etwas Niedliches auf dem Weg dorthin zustande bringt (ohne das nun per se abwerten zu wollen), sondern die ihren Unzulänglichkeiten an der richtigen Stelle Raum gibt und in das verkehrt, was das Ziel von Musik zu sein hat: einen eigenen Sound. Will sagen: das besondere an Mobilé könnten gerade die Töne, die Rhythmen, die Soli, die Akkordwechsel sein, die sie NICHT spielen und welche Entscheidung sie stattdessen treffen. Mobilé versuchen nicht etwas zu sein, was sie nicht sein können, sondern ziehen die richtigen Schlüsse aus dem was sie mögen und was sie können und heraus kommen dann Meisterwerke wie 'Tschaikowski' oder 'Kaffeweißer', um nahezu willkürliche Beispiele zu wählen.
ber zurück zur vorhin aufgemachten und bislang nicht geschlossenen Klammer, in der ich anfing, über die Boys behind Mobilé auszuholen. Wie sind sie privat, haben sie Freundinnen und wo trifft man sie nach Feierabend? Peer führt ein Leben, für das andere vier bräuchten. Seit mehreren Jahren gibt er die Zeitschrift SOMA heraus, ist Mitglied eines Chores, der Gruppe kritkon, die u.a. Comic-Live-Lesungen macht oder Hörspiele per Diashow nachträglich illustriert und sitzt viel in seinem Zimmer, wo er an einem seit mehreren Jahren schrottreifen Computer Streicherarrangements schreibt oder auf Butterbrotpapier Dinge ausdruckt, die ihm Freude machen: Flyer für Konzerte, Artwork für seine Platten oder kleine Kartenspiele wie das Mobilé-Trumpf-Quartettspiel. Er hat letztes Jahr sein Soloalbum veröffentlicht, ein Konzeptalbum mit dem Titel 'Lieder, um sie auf das Ende eines Mixtapes zu machen', das ebensolche enthält. Fast 30 Stück zwischen wenigen Sekunden und mehreren Minuten Spieldauer. Bei einem Soloauftritt vor wenigen Wochen hat er die Tierhitparade wiederentdeckt und sich aufgemacht, weitere Facetten von (seinem) Songwriting vorzustellen oder gerade in diesem Moment zu erfinden.
rank Neuer besitzt eine Firma für Emulsionstechnik (testroe.de) und ein Buchantiquariat (mogwa.de), in dem natürlich Peer als Verkäufer arbeitet und den aufmerksame Hörer irgendwo auf dem Album wiederfinden werden. Hat er Gäste, legt er morgens gerne eine Gymnastikschallplatte auf. Er kennt sich mit eigentlich allem aus, was es so gibt auf der Welt und weiß sofort, warum die fränkische Küche leichter ist als die schlesische (erfundene Beispiele) und welchen Wein er zu welcher reichen würde, wenn er dann eines Tages einen Musikklub mit Restaurant eröffnen wird (in dem dann nach Feierabend im Buchladen Peer hinter der Theke steht).
ch könnte das noch weiterführen, ewig meinetwegen. Daß ich über Marius Beutel nur schreibe, daß er zurückhaltend und konzentriert ist und auch so Gitarre spielt, hat Platzgründe. Ich könnte weitere Nebenschauplätze aufzählen, auf denen er sein Leben führt oder ein Forschungsprojekt, bei dem er das Vorkommen von Schokoladenspuren in Tabak untersuchte, und dasselbe wiederum bei Ralf Neuer, ausgebildeter Antiquar, Franks kleiner Bruder und der Schlagzeuger. Ich könnte noch weitere Bands oder Projekte nennen, weitere Ansätze, die wichtig sein könnten, um Mobilé besser, nein, nicht verstehen, sondern nachfühlen zu können. Ich könnte den unelitären Gestus loben, mit dem diese vier jungen Männer, die so gebildet, höflich, freundlich und intelligent sind, wie sich romantische Indierockfans womöglich die jungen Blumfeld oder Pavement vorstellen, ihre Band ohne jede Arroganz betreiben, ohne die Haltung 'Künstler' oder 'Profi' zu sein. Mobilé ist eine Selbstverständlichkeit im Leben von Peer, Frank, Marius und Ralf; so wie all die anderen Sachen, die sie machen und die alle nur deshalb selbstverständlich sind, weil sich die vier nicht vorstellen könnten, ein Leben ohne diese Dinge zu führen. Alles, was wichtig ist, alles, woran man glauben kann, alles, was sich lohnt, in solche ausgelastete Leben und Terminkalender dennoch einzubauen. Und das hört man der Band und ihrer Platte an, wie wichtig sie ist, wie viel sie mit dem Leben zu tun hat (und selbst wenn es nur das Leben der vier sein mag), wie sehr sie einer unmittelbaren Wirklichkeit, einer Notwendigkeit entspringt.
obilé sind keine 'Künstler' im klassischen Sinne, keine klassischen 'Getriebenen', keine Wahnwitzigen oder Besessenen, die das alles machen MÜSSEN, weil sie sonst verrückt würden (ohne diesen Ansatz abzulehnen). Mobilé WOLLEN das alles und die Entscheidung dafür, diese Band zu machen ist freiwillig, sie hat mit Liebe und Hingabe zu tun und mit – ich sagte es bereits – Dingen, die wichtig sind.
ch spreche einen Toast aus auf die Teller und Gläser, auf die Nächte und Tage. Auf die Geschichten, die wir uns noch erzählen wollten, auf die Geschichten, die wir noch hervorbringen werden. Hoch die Tassen auf den löslichen Kaffee! Dein Geschenk ist gut angekommen. Danke dafür.

Björn Sonnenberg, April 2006


veröffentlichungen:
ep. 7''-vinyl und cd. dezember 2001.
nennen wir es den tag. album. loobmusik. august 2003.
pressestimmen zum album "nennen wir es den tag" (2003)
kartographie. album. sitzer records. juni 2006.
pressestimmen zu "kartographie" (2006)

samplerbeiträge:

soma.sampler. dezember 2002.
indispensable indoor indie sampler. mai 2003.
soma.sampler.zwei. dezember 2003.
wahrschauer #47. dezember 2003.
master of pop-pets. pop you-sampler#3. sputnik. april 2004.
indispensable indoor indie sampler 2. juni 2004.
nillson.de-onlinesampler. 2006.
rote raupe mixtape #3. mai 2006.
spex-cd. #300 7/06

mobilé sind:
frank neuer - bass (gitarre, gesang, orgel)
marius beutel - gitarre (bass, staubsauger)
peer göbel - gesang, gitarre, bratsche (bass, triola, orgel)
ralf neuer - schlagzeug

ehrenmitglied: martin weibezahn - schlagzeug, hintergrundgesang

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