von der Entfaltung zur Einfaltung
Ein Mann ohne Eigenschaften besteht aus Eigenschaften ohne Mann.
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften I
Die erste Formation, an der das Denken des Gleichen aufgezeigt wird, ist die der Analytik der Endlichkeit: Mit dem Zerfall der Repräsentation, welche für die Klassik eine Beständigkeit der Entsprechungen und somit ein Seinskontinuum garantierte, erfährt der Mensch in den Wörtern, in den Organismen und in den hergestellten Gegenständen deren je eigenes Sein. Der gemeinsame Ordnungsraum, von dem aus die repräsentativen Beziehungen geregelt wurden, seien es nun Beziehungen der Identität oder der Differenz, dieses kontinuierliche Tableau zerbricht. Den Dingen selbst wird nun eine innere Ordnung abgerungen.
Diese Verschiebung markiert die zentrale Stelle eines Umbruchs der Inbeziehungsetzungen und läßt sich, vielleicht zu abstrakt, wie folgt charakterisieren: Von der Identität/Differenz der Elemente, die einen Zusammenhang der Organisationsformen untereinander ermöglichten, erfolgt eine Umwendung hin zur Identität der Beziehungen zwischen den Elementen einer Organisationsform.
Mit dem Aufkommen einer Philologie, einer Biologie und Ökonomie werden diesen neu entstandenen wissenschaftlichen Feldern die Begründungen ihres je eigenen Erkenntnisgegenstandes abverlangt. Sie sind nun vor die Aufgabe gestellt, aus sich selbst heraus auf ihr je eigenes Sein zu verweisen und finden sich so aus dem Zusammenhang mit den anderen Seinsweisen herausgestellt. Zugleich taucht mit diesen unterschiedenen Seinsweisen der Mensch als dasjenige auf, was in diesen Bestimmungen seine konkreten Ausformungen findet: "Die Seinsweise des Lebens [... ist, J.W.] mir fundamental durch meinen Körper gegeben. Die Seinsweise meiner Produktion [... ist, J.W.] mir durch mein Verlangen gegeben. Die Seinsweise der Sprache [... wird, J.W.] mir nur entlang der feinen Kette meines sprechenden Denkens gegeben." *
* Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a.M. 1997, S. 380.
Eine Analytik der Seinsweise des Menschen wird also von diesen, ihm zugänglichen Positivitäten ausgehen. Der Mensch wird sich sein eigenes Sein nur im Verhältnis, also relational zu den ihm positiv zugänglichen Dingen, die eigentlich in einem Außen - in einer anderen Seinsweise - statthaben, denken. So erfährt die ordnungsstiftende Repräsentation der Klassik eine Wandlung, in der sie von einer Ebene außerhalb der Dinge in diese hineingenommen wird und dort einen inneren Raum erzeugt, der für den Menschen in einem Außen liegt:
Die Repräsentation fällt vom Sein ins Bewußtsein. In diesem (Auseinander)fallen der Repräsentation wird in eins dem Bewußtsein seine eigene Genese abgerungen, indem es sich im Verhältnis zu den Dingen selbst hervorbringen muß. **
** Peter Fuchs (in: Das Unbewußte in Psychoanalyse und Systemtheorie; Umschlagrückseite) drückt dies folgendermaßen aus: "Woher weiß ein Bewußtsein, daß es ein Bewußtsein ist? - Es ist ihm gesagt worden."; anzufügen wäre hier: von der Arbeit, vom Leben und der Sprache; neuerdings wohl eher von den Maschinen.
Somit wird auch die Ordnungsstiftung dem Bewußtsein überantwortet; es hat in den Dingen Regeln und Gesetze an den Tag zu bringen, die sich im Bewußtsein als Wirkungen auf dieses Bewußtsein ablesen lassen. Die >Wahrheit< eines in der Repräsentation geregelten >Ich denke, also bin ich<, verschiebt sich zu einer Wirkung eines >Ich bin<, das nicht mehr einem >Ich denke< entspricht, sondern sich in diesem äußert.
Jedoch verweisen diese Positivitäten - mein Körper, mein Verlangen, mein sprechendes Denken - auf eine dem Leben, der Arbeit und der Sprache eigene Geschichte. In der Erfahrbarkeit der Positivitäten kündigt sich dem Menschen eine diesen eigene Endlichkeit und Begrenztheit an. Die Erfahrung eines Seins der Sprache, eines je eigenen Seins des Lebens und der Arbeit läßt den Menschen sein eigenes Sein erkennen; zugleich erkennt er aber auch deren Endlichkeit und so, in einer Verdoppelung, seine eigene. Das Sein und die Endlichkeit des Menschen sind jedoch paradoxerweise gerade nicht bestimmt. Sie sind in ihrer Begrenztheit nur in den Dingen erfahrbar, finden ihre Bestimmung nur in der Verdopplung. So gerät die versuchte Entfaltung des Menschen aus sich selbst erstaunlicherweise zu einer Einfaltung der Dinge. Diese Faltung, diese Doppelung in einem Außen führt zu dem zentralen Gedanken des Gleichen.
"Man sieht, wie die moderne Reflexion beim ersten Verlocken dieser Analytik die Aufteilung der Repräsentation mit ihrer Entfaltung in einem Bild, so wie es das klassische Wissen ordnete, sich zu einem bestimmten Denken des Gleichen - wo der Unterschied dasselbe ist wie die Identität - umwendet." ***  Das fundamental Gegebene wiederholt sich als Positivität - und so als Differentes; es wird jedoch als ein Identisches gedacht, ist in der Reflexion immer nur als Identisches, als das Selbe (Gleiche) überhaupt erreichbar, begreifbar.
*** Michel Foucault: a.a.O., S. 381.