Musik und Wort

Zu den
Sonetten


Vivaldi hat in jedem seiner vier Violinkonzerte Le quattro stagioni mit musikalischen Mitteln eine bestimmte Jahreszeit dargestellt. Damit die Zuhörer - und natürlich auch die Musiker - aber wissen, was sie eigentlich hören oder spielen, hat er zu jedem Konzert ein erklärendes Sonett abdrucken lassen und noch zusätzliche Worte im Verlauf der einzelnen Konzertsätze. Er war dabei recht penibel; mit Hilfe des Gedichtes und der zusätzlichen Worte in den Noten hat er ziemlich genau erläutert, was sich in der Musik ereignet. Ausserdem leistet das Sonett zum Verständnis der Konzerte noch etwas, was der Musik nicht zugänglich ist. Der Text stellt nämlich einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Tonmalereien und Nachahmungen her; er deutet eine Handlung an, er bietet Attribute und definiert Beziehungen zwischen Dingen, Personen und Ereignissen. Dass der bellende Hund im Frühlings-Konzert treu ist und zu dem Hirten gehört, teilt uns nur das Sonett mit. Die Musik malt die Klage des Hirten im Sommer-Konzert; doch um die Ursache der Klage zu erfahren, sind wir auf den Text angewiesen.

Ob Vivaldi der Dichter dieser - nicht sehr kunstvollen - Sonette ist oder jemand anders, ob die Musik nach den vorhandenen Sonetten komponiert wurde oder die Sonette nachträglich zu der bereits geschriebenen Musik entstanden, wissen wir nicht. Das Verfahren, Instrumentalmusik durch Worte zu erläutern, wurde allerdings nicht von Vivaldi erfunden. Es war schon vor ihm in Gebrauch, wenn auch seine Wahl der Form des Sonetts einen besonderen Fall darstellt. Andere Komponisten verfassten Vorreden, wie etwa der Leipziger Organist und Thomaskantor Johann Kuhnau, der in einer Komposition mit dem Titel Biblische Historien die Bedeutung jedes einzelnen komponierten Satzes sehr umständlich und ausführlich, nämlich auf einer ganzen Druckseite, verbal erläuterte.

Vivaldi gilt gemeinhin als der Begründer einer Tradition von zyklischen Vertonungen, die sich als ausserhalb der Musik liegenden Vorwurf die Jahreszeiten, die Monate oder auch die Tageszeiten wählen. Gregor Joseph Werner etwa, Kapellmeister und Amtsvorgänger Joseph Haydns in Esterhazá, komponierte einen Neuen und sehr curios- musicalischen Instrumentalkalender, in dem jeder Monat in Form einer kleinen Suite für zwei Violinen und Generalbass dargestellt ist. Auch Werner erläutert die Bedeutung der einzelnen Sätze mit Hilfe von Worten. Und Joseph Haydns Oratorium Die Jahreszeiten stellt das letzte bedeutende und neben Vivaldis Vier Jahreszeiten bekannteste zyklische Werk aus dieser Tradition dar. Da zu einem Oratorium aber ausser den Instrumentalisten auch ein Chor und Solosänger gehören, hatte Haydn es nicht nötig, erläuternde Worte in der Partitur zu schreiben: die Sänger singen ja den zum Verständnis der Musik, der Malereien und der Nachahmungen notwendigen Text ohnehin.

S.O.