Die Pilzberatung im BGBM ist lehrreich - und lebensrettend

Giftig oder nicht giftig?



Dr. Ewald Gerhardt leitet seit 1989 die Pilzberatung im Botanischen Garten. Wenn er gelegentlich von seinem Kollegen Dr. Hein vertreten wird, erweitert er seine Kenntnisse oder schreibt Pilzbücher. Hunderte von Ratsuchenden - in Spitzenzeiten bis zu 150 pro Woche - kommen zu Gerhardt in die "Pilzsprechstunde". Sammelnde Pilzfreunde sind zwar nicht seine einzigen Kunden, dennoch sieht Gerhardt in der Verhinderung von Pilzvergiftungen die Hauptaufgabe seiner Dienstleistung. Das "Produkt" ist der am Leben gebliebene Bürger.

FU-N: Herr Gerhardt, wieviele Leben haben Sie schon gerettet?

Gerhardt: Es passiert schon drei- bis viermal im Jahr, daß Leute tödlich giftige Pilze in ihrem Korb haben und überhaupt nichts davon wissen.

FU-N: ...die sind dann erleichtert, wenn sie hören, was ihnen erspart geblieben ist.

Gerhardt: Ja allerdings! Nehmen Sie zum Beispiel den Grünen Knollenblätterpilz. Der ist recht häufig unter Eichen und Buchen in Parks zu finden. Er ist absolut tödlich, wenn nicht sofort der Magen ausgepumpt wird. Ist das Gift schon weiter vorgedrungen, helfen nur noch Bluttransfusionen und eine Lebertransplantation.
Zum Glück gibt es nicht mehr so viele Vergiftungen wie früher. Kurz nach dem Krieg vergifteten sich in Berlin jährlich mehr Menschen als heute in die Pilzberatung kommen. Sie hatten nichts zu essen und sie wußten nicht Bescheid.
 
 
 
Nicht so giftig, wie man denkt: der Fliegenpilz 
(Foto: Ewald Gerhardt)
 
Tödlich giftig: der Grüne Knollenblätterpilz
(Foto: Ewald Gerhardt)

FU-N: Bei Giftpilzen denken wir ja zunächst immer an den Fliegenpilz. Zu Recht?

Gerhardt: Der Fliegenpilz ist auch giftig, aber nicht unbedingt tödlich. Viel giftiger ist ein naher Verwandter, der Pantherpilz. Der sieht ganz ähnlich aus, ist allerdings dunkelhütig. Tödlich giftig können auch Frühjahrslorchel und Ziegelroter Rißpilz sein. Karbolchampignons verursachen allenfalls Mal eine Magenverstimmung.

FU-N: Sie sagten, der Grüne Knollenblätterpilz sei recht häufig. Ist denn Berlin - davon abgesehen - eine gute Pilzgegend?

Gerhardt: Oh ja! In den Wäldern Berlins und in der Umgebung gibt es mehr als 1.500 Großpilzarten, darunter ein wirklich reichhaltiges Angebot an ergiebigen Speisepilzen.

FU-N: Ich habe nun beschlossen, "in die Pilze zu gehen". Was brauche ich, und worauf muß ich achten?

Gerhardt: Sie brauchen einen Korb, darin liegen die Pilze luftig. Sie brauchen ein Messer, um die Pilze abzuschneiden, herauszuheben oder vorzureinigen. Machen Sie entstandene Löcher wieder zu, denn das Myzel, die eigentliche Pilzpflanze, muß vor Lichteinfall geschützt werden. Sammeln Sie nicht bei nassem Wetter, sonst gibt es leicht Schimmel, und sammeln Sie maßvoll. Lassen Sie sehr junge und alte Pilzkörper stehen. Also, nicht alles abräumen! Unbekannte Arten bewahren Sie am besten getrennt auf - der Grüne Knollenblätterpilz kann z. B. durch Sporenwurf die anderen zu Giftpilzen machen.

FU-N: Unsere Großeltern kannten den Trick mit dem angelaufenen Silberlöffel, um Giftpilze zu entlarven. Ist da eigentlich was dran?

Gerhardt: Nein, das vergessen Sie am besten. Auch eine mitgekochte Zwiebel nützt nichts. Ebensowenig sind Schneckenfraß oder Madengänge ein Zeichen für Genießbarkeit. Das einzige, was wirklich hilft, ist jeden Pilz genau zu kennen. Dabei hilft ein gutes Pilzbuch und natürlich die Pilzberatung. Da passiert es häufig genug, daß die Leute - wenn sie einmal hier sind - bleiben und zuhören, wie die anderen beraten werden. Fertig ist der kleine Pilzkurs. Sie gehen dann immer zufrieden hier raus, denn sie haben was gelernt, was sie interessiert.

Überhaupt nicht giftig: der Steinpilz (Foto: Ewald Gerhardt)

FU-N: Wenn jemand keine Zeit hat, zu Ihnen ins Botanische Museum zu kommen, kann er sich dann auch telefonisch beraten lassen?

Gerhardt: Das mache ich nicht so gern, denn der Gegenstand eignet sich nicht für die Ferndiagnose. Natürlich gibt es auch allgemeine Fragen, z.B. nach der Schadstoffbelastung der Pilze, oder es wird gefragt: kann ich Pilze einfrieren, kann ich Pilze wieder aufwärmen (ich kann übrigens), das ist kein Problem. Und wenn ich Zeit habe, bekommen Sie auch ein Rezept. Aber es gibt nur einen Pilz, den ich am Telefon diagnostiziere.

FU-N: ...welchen?

Gerhardt: Wenn Leute anrufen, die einen Pilz gefunden haben, mit dem die Kinder gerade Fußball spielen, handelt es sich mit Sicherheit um den Riesenbovist. Der schmeckt übrigens sehr gut, wenn man ihn brät.
 

FU-N: Sie sind ein renommierter und ziemlich bekannter Pilzexperte. Die Pilzsammler sind sicher nicht Ihre einzigen "Kunden"?

Gerhardt: Ja, das ist richtig. Manchmal schicken Krankenhäuser Mageninhalte von Vergifteten und von Verstorbenen. Hier muß in der Regel mikroskopiert werden. Außerdem mache ich  Pilzbestimmungen für das Lebensmitteluntersuchungsamt. "Kunden" sind aber auch Beamte des Landeskriminalamtes, die mutmaßliche Drogenpilze untersuchen lassen. Die kommen in der Regel aus den USA, Hawaii oder von den Philippinen. Inzwischen wird hier mit diesen Pilzen ein reger Handel getrieben, zum Teil in getrockneter Form, zum Teil aber auch zum Weiterkultivieren. Ich hatte auch schon besorgte Mütter hier, die wissen wollten, was ihr Sohn da unterm Bett züchtet. Häufiger sind aber die Beratungen für Naturschutz- und Grünflächenämter, die sich z.B. Baumpilze bestimmen lassen. Manchmal kommen auch Baufirmen, die wissen wollen, ob der Schwamm oder andere Schadpilze im Haus sind.

FU-N: Was war Ihre bislang aufregendste Situation?

Gerhardt: Ein Vater brachte sich in akute Lebensgefahr, als er mit einem Pilzrest auf dem weg zu mir war. Seinen kleinen Sohn hatte er ins Krankenhaus gebracht, weil der sich übergeben mußte, nachdem er von dem Pilz gegessen hatte. Und vor lauter Aufregung verursachte der Vater fast einen schweren Autounfall.

FU-N: Und der Pilz - giftig oder nicht giftig?

Gerhardt: Nicht giftig.

FU-N: Was kostet die Pilzberatung eigentlich?

Gerhardt: Die Pilzberatung ist kostenlos, und das sollte sie auch bleiben.

FU-N: ...keinen Pfifferling wert?

Gerhardt: Das gilt nicht mehr. Für die Pilzberatung sowieso nicht, und der Pfifferling ist im Gegensatz zu früher seltener geworden und damit auch ein bißchen edler.

FU-N: Wir sprachen vorhin von Rezepten. Verraten Sie mir Ihr Lieblingsrezept?

Gerhardt: Schneiden Sie Steinpilze in dünne Scheiben und braten Sie sie in Olivenöl kross. Würzen Sie nur mit Pfeffer und Salz. Das ist ebenso schmackhaft wie einfach.

FU-N: Vielen Dank!

Mit Ewald Gerhardt sprach Susanne Weiss


Die "Sprechstunde" bei Ewald Gerhardt (re.) ist zum Pilzkurs geworden (Foto: Uwe Thiel)


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